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Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Juli-Ausgabe von Cicero. Sie können das Heft hier nachbestellen oder durch ein Abonnement keine Ausgabe mehr verpassen
Während ich das schreibe, muss ich bangen, dass meine Tochter durchs Abi fällt. Nicht, weil sie eine schlechte Schülerin wäre, sie hat einen glatten Zweier-Schnitt. Nein, weil sie trotz ordentlicher Vornoten in Mathe die nötigen Prüfungspunkte nicht schaffen und deshalb durchfallen könnte. Klar, ergibt ja auch Sinn, dass eine einzige Prüfung höher bewertet wird als zwölf oder 13 Jahre Unterricht. Auch, dass wir Eltern den Gegenwert eines Mittelklassewagens in Mathe-Nachhilfe investiert haben, weil wir seit der 5. Klasse den Stoff selbst nicht mehr verstehen, ist sicher sinnvoll.
Zurzeit treffe ich täglich Abiturienten-Eltern, die mit Ringen unter den Augen unterwegs sind und Panik schieben. Eine Mitschülerin unserer Tochter musste mehrfach notfallmäßig zum Arzt gebracht und mit Spritzen gegen ihre Kopf- und Rückenschmerzen behandelt werden, eine andere kotzt aus Angst vor jeder Prüfung.
Warum muss jemand, der kein Verhältnis zu Zahlen hat und in seinem weiteren Leben nie mehr Mathe brauchen wird, Wahrscheinlichkeitsrechnung beherrschen? Und warum muss jemand, der Computer programmieren oder Maschinen bauen will, die höchsten Feinheiten lyrischer Reimformen kennen? Warum können Schüler sich nicht zu Beginn der Oberstufe auf das spezialisieren, was ihnen liegt, Spaß macht und später nützlich sein wird? Mit der verunglückten G-8-Reform wurde jedes individualisierte Lernen abgeschafft – zugunsten stumpfsinniger, standardisierter Paukerei. Gymnasiasten haben heute keine Zeit mehr für Sport, Musik oder Freunde, sie führen das Leben von Gefangenen, die sich einem absurden Zwangssystem unterwerfen, um irgendwann freizukommen.
Das alles treibt mich zur Verzweiflung. Es ist ein Verbrechen an jungen Menschen, die zu unkritischen, angepassten Lernmaschinen erzogen werden, die später reibungslos ins globale Wirtschaftssystem eingepasst werden können. Dabei werden sie um eine der schönsten und wichtigsten Erkenntnisse der menschlichen Existenz betrogen: dass Lernen eine Lust sein kann.
Alle, die an diesem Verbrechen beteiligt sind, sollten zur Strafe lebenslänglich in ein bayerisches Gymnasium gehen müssen. Und jedes Woche Abitur in ihrem Angstfach schreiben.
Amelie Fried ist Fernsehmoderatorin und Bestsellerautorin. Kurz vor Redaktionsschluss kam die Nachricht, dass ihre Tochter das Abitur bestanden hat