- „Ich war nicht auf der Suche“
Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans hat drei Jahre lang die Welt bereist. Seinem Gesamtwerk ist nun in Düsseldorf eine Ausstellung gewidmet. Er ist einer Wirklichkeit auf der Spur, die sich der Kamera dann doch entzieht
Seinen jüngsten Fotoband hat Wolfgang Tillmans „Neue Welt“ genannt. Darin versammelt der 44 Jahre alte Künstler Fotografien, die er auf einer dreijährigen Weltreise aufgenommen hat. Diese führte ihn von London über Feuerland bis an die Ränder Afrikas. Nach seinen Ausflügen in fotografische Abstraktionen ist Wolfgang Tillmans somit zurückgekehrt zur ästhetischen Herausforderung seiner Anfangsjahre. Erneut hat er sich mit „Neue Welt“ auf die Suche gemacht nach den unverbrauchten Bildern unserer Gegenwart. Vom 2. März an zeigt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf eine große Retrospektive seines Schaffens. Vorab spricht der Turner-Preisträger des Jahres 2000 über das Verhältnis der Fotografie zur Wirklichkeit, über die Kraft von Klischees sowie über eine Welt, die sich bei aller Fremdheit doch ähnlich zu sein scheint.
Herr Tillmans, seit Ihren frühen Aufnahmen von den Subkulturen der neunziger Jahre beschreiben Ihre Fotos ein Dilemma: Wo Sie Bilder machen, vermuten andere Wirklichkeit. Wie hält es Ihre Fotografie genau mit der Realität?
Fotos sind natürlich nicht Wirklichkeit. Diese Grunderkenntnis hat bei mir überhaupt erst dazu geführt, dem fotografischen Medium als meinem Artefakt zu vertrauen. Als ich zum Beispiel im Jahr 1990 gelernt habe, Farbfotos zu vergrößern, wurde mir klar, dass ein Farbfoto eigentlich nur einen Farbraum beschreibt. Es handelt sich um die Umsetzung von Wirklichkeit in etwas völlig Anderes; in etwas, das zwar von Wirklichkeit zeugt und über sie sprechen will, das aber eben nicht die Wirklichkeit ist. Ein Foto ist zunächst nicht mehr als ein Bildobjekt – ein Rechteck in einem Raum.
Dennoch hat die Kritik gerade bei Ihren frühen Bildern immer wieder die „Echtheit“ und „Authentizität“ Ihrer Aufnahmen gepriesen. Warum fällt es uns so schwer zu akzeptieren, dass Fotografie etwas Gemachtes und nicht etwas Gefundenes ist?
Darin liegt natürlich eine gewisse Spannung. Einerseits weiß ich natürlich, dass das Auge Fotografie als Wirklichkeit verstehen will. Auf der anderen Seite habe ich diesem Authentizitätsvertrauen oft genug widersprochen. Ich habe dem Publikum gesagt: „Das ist gar nicht die Dokumentation von Jugend in den neunziger Jahren; das sind sich kreuzende Linien von Inszenierung und Gefundenem.“ Die Bilder sind authentisch; aber sie sind natürlich nur authentisch in Bezug auf meine Intentionen.
Ein Maler müsste diesen Unterschied nie erklären. Nervt Sie als Fotokünstler nicht manchmal diese „Echtheitserwartung“?
Ich denke, man muss das als ein Geschenk dieses Mediums sehen, das in der Lage ist, ein massenindustriell hergestelltes Blatt Papier in etwas völlig Anderes zu verwandeln – in ein Bild, das mit Bedeutung, Schönheit und Emotion aufgeladen ist. Dass das möglich ist, ist doch immer wieder ein kleines Wunder. Die vermeintliche Leichtigkeit der Fotografie hat eben auch etwas sehr Trügerisches. Es scheint immer so einfach zu sein, ein halbwegs kompetentes Foto zu machen – heute mehr denn je. Dabei ist Fotografie ein eher schwieriges Medium. Vermutlich verrät dieser Widerspruch zwischen dem, was ein Foto ist, und dem, was die Leute darin sehen wollen, eine Menge über die Widersprüche des Menschen an sich – über die Art und Weise, wie wir gemeinhin eben mit Realität umgehen.
Auch Ihr jüngstes Projekt, „Neue Welt“, spielt mit diesem Widerspruch. Es versammelt Bilder von einer gut dreijährigen Reise um den halben Globus, die Sie unter anderem nach Nordafrika, Feuerland und Saudi-Arabien geführt hat. Was hat Sie eigentlich zu dieser Reise veranlasst?
Davor hatte ich mich lange Zeit mit einer eher nicht gegenständlichen Fotografie beschäftigt; mit Bildern, auf denen etwa nur Strukturen zu sehen waren oder Farbflächen. Nach dieser Phase wuchs dann irgendwann der Wunsch, gegen die eigene Bildsprache anzugehen. Die permanente Gleichzeitigkeit des Geschehens in einer globalisierten Welt erschien mir damals als riesige, neue Herausforderung. Ich wollte mir von dieser ein eigenes Bild machen – in dem vollen Bewusstsein, dass dieses natürlich nie wirklich möglich ist. Aber es reichte mir nicht mehr, das nur von zu Hause aus zu betrachten. Also musste ich mich ganz altmodisch zu den anderen Orten und Realitäten hinbewegen.
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Hatten Sie vor Reisebeginn konkrete Etappenziele?
Die Reise war zunächst vollkommen ungerichtet. Es war ein Projekt ohne Plan und ohne gewünschtes Resultat. Es war zum Beispiel nicht meine Absicht, Globalisierung oder Ausbeutung zu zeigen. Ich bin keinen Motiven gefolgt. Natürlich: Es gab gewisse Orte, die ich unbedingt sehen wollte. Papua-Neuguinea zum Beispiel oder Feuerland. Aber hinter diesen Namen verbargen sich vor allem Kindheitsfantasien. Ich war nicht auf der Suche nach etwas gewesen. Ich wollte nichts Bestimmtes finden. Vielleicht ist das einer der wesentlichen Unterschiede zur journalistischen Fotografie: Wenn man etwas sucht, ist das, was man dann findet, immer stark von dem beeinflusst, was man gesucht hat.
Dennoch: Wer reist, hat Bilder im Kopf – Bildklischees von einer Welt, die in gewisser Weise längst „zu Tode fotografiert“ ist. War es schwer, sich von diesen Klischees zu lösen?
Ich habe diese Klischees gar nicht bewusst vermieden. Wenn man bewusst etwas vermeiden will, hat man es ja schon wieder im Kopf. Das ist generell meine Einstellung zu Popularität: Bestimmte Dinge sind megapopulär, weil sie gut sind. Michael Jackson zum Beispiel hat Millionen von Platten verkauft, weil er ein herausragender Künstler gewesen ist. Und so verhält es sich auch mit Bildern. Nur weil die Leute die Pyramiden von Gizeh fotografieren oder die Iguazu-Wasserfälle, muss ich nicht sagen: „Das kommt nicht auf meine Reiseliste.“ Wäre ich so an die Sache herangegangen, hätte ich mich selbst unfreier als nötig gemacht. Ich fand es geradezu interessant zu sehen, dass manche berühmten Dinge eben in der Tat faszinierend sind. Und manchmal gelingt einem dann sogar ein interessantes Bild, manchmal eben nicht.
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Sie haben auch Bilder auf der Arabischen Halbinsel gemacht – in Dubai oder in Saudi-Arabien. Wie erlebt man diese Länder jenseits der medialen Nachrichtenfilter?
Dschidda in Saudi-Arabien war für mich eine Art Augenöffner. Würde ich dort leben, befände ich mich ja als schwuler Mann stets in Lebensgefahr. Deshalb fahre ich natürlich nicht ohne Vorurteile an einen solchen Ort. Doch dann bin ich hier auf Menschen gestoßen, die in erster Linie zunächst einmal ihr Leben leben und glücklich sein wollen. An Sonntagnachmittagen sitzen sie zu Tausenden am Strand herum und picknicken. Sichtbar wird hier vor allem das, was uns als Menschen eint; nicht das, was uns vielleicht trennen mag. Ich denke, das ist das grundsätzlich Faszinierende am Reisen: Es ist immer ein Switchen zwischen dem total Anderen und dem Ähnlichen.
Zudem gilt Reisen auch als eine Bewegung zwischen Weltfindung und Selbstfindung. Würden Sie sagen, dass Sie in gewisser Weise als verändert von diesen Reisen zurückgekehrt sind?
Natürlich hat es meine eigene Position relativiert. Die Idee war ja, sich etwas sehr bewusst anzuschauen, das man zuvor nicht gekannt hat. Und mal zu sehen, was dabei mit einem passiert. Normalerweise sehen wir ja immer nur Fragmente des Ganzen. In Kontexten, die gar nicht so weit weg sind, ist die Welt schon wieder eine vollkommen andere.
Könnte man sagen, dass die Fotografien aus „Neue Welt“ weniger etwas über die Welt dort draußen erzählen als vielmehr etwas von dem, wie Sie als Künstler auf die Welt reagiert haben?
Auf jeden Fall. Sie erzählen immer von den Absichten, die mich in die jeweilige Situation gebracht haben. Diese Absichten kommen auch in den Fotos immer irgendwie zum Ausdruck. Eine dieser Absichten ist es sicherlich auch gewesen, die Dinge so stehen lassen zu können, wie sie sich mir gezeigt haben, und sie nicht einzuordnen. Das ist für mich keine Gleichgültigkeit, sondern eine Position der Stärke. In meinen Bildern aus den neunziger Jahren bin ich ja ganz ähnlich vorgegangen. Auch damals schon ging es mir darum, Widersprüche und Ambivalenzen aufzuzeigen und in gewisser Weise stehen zu lassen. Ich denke, mehr kann das Zeitgenössische in der Kunst nicht leisten.
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In der deutschen Fotokunst-Tradition indes scheint es mir einen sehr starken Drang zu Objektivierung und Ordnung zu geben. Dieser reicht von der Neuen Sachlichkeit bis zur frühen Fotoschule Bernd und Hilla Bechers. Sehen Sie es als Vorteil, dass Sie Ihr Studium zunächst in Großbritannien absolviert haben und somit früh in andere Kontexte hineingekommen sind?
Das war keine strategische Entscheidung. Ich denke, in mir existieren nach wie vor beide Pole: der deutsche und der britische. Auch Einflüsse der Neuen Sachlichkeit sind ja in meinen Arbeiten erkennbar. Ich bin sicherlich mehr beeinflusst von Albert Renger-Patzsch als von Bill Brandt. Auch habe ich nie eine Opposition zur Becher-Schule verspürt. Ich habe lediglich gedacht, dass ich das nicht mehr machen muss. Es ist vielleicht ein Vorteil, kein Teil einer Schule zu sein. Dann gibt es auch keine Väter, die man auf dem eigenen Weg überwinden müsste. Meine Vorbilder waren eher „New Order“, Laurie Anderson oder „Soft Cell“. Auch wenn das viele vielleicht gar nicht gesehen haben.
Das heißt, Sie haben Ihre Inspiration zunächst eher in der Popmusik denn in der Bildenden Kunst gesehen?
Die Plattencover von „New Order“ waren sicherlich bestimmende Inspirationsquellen für mich; ebenso das Underground-Leben, wie es etwa „Soft Cell“ in ihrer Musik geschildert haben. Auch die Art, wie Laurie Anderson oder Jenny Holzer Medien zur Gefühls- und Bedeutungserzeugung nutzten, war wichtig für mich. Niemand von diesen Künstlern arbeitete natürlich explizit mit Fotografie. Aber das alles hatte Einfluss auf mich und auf die Art, wie ich über das Kunstmachen dachte.
Sie schauen mittlerweile auf eine gut 25‑jährige künstlerische Entwicklung zurück. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen hat das unter anderem zum Anlass genommen, Ihr Werk nun in einer Übersichtsschau zu würdigen. Verändert der zeitliche Abstand den Blick auf das eigene Schaffen?
Ich habe meine Entwicklungen immer als Evolution und nicht als Revolution verstanden. Vieles – etwa mein Schritt hin zu den abstrakten Arbeiten – mag von außen her betrachtet vielleicht wie ein Bruch erscheinen. Ich glaube indes, dass die Anlage dazu auch schon in vorangegangenen Arbeiten zu sehen gewesen ist. Im Nachhinein habe ich auch nicht den Eindruck, dass ich irgendeine meiner „Phasen“ bereuen oder unterdrücken müsste. In der Düsseldorfer Ausstellung gibt es keine Phase, die ich bewusst aussparen müsste. Es ist ein großes Privileg, meine Arbeit in dieser Breite zeigen zu können, und das auch noch in Düsseldorf. Ich bin ja in Remscheid groß geworden – in einer Stadt, die nur 45 Autominuten von Düsseldorf entfernt ist. In Düsseldorf habe ich einst erste Schritte in die Kunst und ins Nachtleben unternommen. Ich erinnere mich noch sehr gut an einige Ausstellungen, die ich damals in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen gesehen habe. Jetzt, gut 30 Jahre später, in derselben Institution ausstellen zu dürfen, ist schon etwas Besonderes.
Das Gespräch führte Ralf Hanselle.
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