- Wie Peter Suhrkamp sich seinen Verlag ergaunerte
1936 mussten die rechtmäßigen Besitzer des Verlages S. Fischer Deutschland verlassen. Peter Suhrkamp übernahm übergangsweise - offiziell als Platzhalter. Nach dem Krieg aber wollte er den Posten dann nicht wieder abgeben
„Hierdurch bestimme ich, Heinrich Suhrkamp, genannt Peter Suhrkamp, (…) für den Fall meines Todes, dass der Suhrkamp Verlag, vormals S. Fischer Verlag Berlin, und der Suhrkamp Verlag, vorm. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, auf Herrn Dr. Gottfried Bermann Fischer, Frau Brigitte Berman Fischer, beide Old Greenwich, Conn. USA und Fräulein Hilde Fischer, New York übergehen soll. (…) Dieses Testament beruht auf folgendem Sachverhalt: Als ich im Dezember 1936 die Fortführung des S. Fischer Verlages Berlin antrat, tat ich das ausgesprochenermaßen als Platzhalter der Familie Fischer, die damals Deutschland verlassen musste. Der Kaufvertrag, durch den der Verlag in den Besitz der Kommanditgesellschaft überging, ist seinerzeit geschlossen worden, um diese Fortführung vor den derzeitigen Behörden zu legalisieren. Insofern habe ich den Verlag niemals als mein Vermögen betrachtet. Er soll auch noch zu meinen Lebzeiten formalrechtlich auf die Familie Fischer zurücküberführt werden, sobald die Gesetze der Militärregierung das zulassen. Spätestens aber im Zeitpunkt meines Todes soll, falls die Rücküberführung bis dahin noch nicht möglich gewesen sein sollte, dies auf dem Erbwege erfolgen. (…) Berlin, d.15. Juni 1947 gez. Heinrich Suhrkamp gen. Peter Suhrkamp“.
Dieses von Peter Suhrkamp aufgesetzte Testament ist ein Schlüsseldokument der deutschen Verlagsgeschichte. Es findet sich, für jedermann zugänglich und mit weiteren Belegen gleicher Art, im letzten Drittel einer Autobiographie, die Gottfried Bermann Fischer unter dem Titel „Bedroht – Bewahrt. Weg eines Verlegers“ schon 1967 im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main publiziert hat. Wer, wie die literarisch interessierte Mehrheit hierzulande, nur die Legende kennt, derzufolge der nur knapp dem KZ-Tode entronnene Peter Suhrkamp sich heldenhaft gegen eine drohende schändliche Entmachtung durch den Exilanten Gottfried Bermann Fischer zu wehren wusste und damit den Weg für den wichtigsten deutschen Nachkriegsverlag der alten Bundesrepublik bahnen konnte, wird sich nach der Lektüre dieses Testaments verwundert die Augen reiben und fragen: „Wie das? Suhrkamp bezeichnet sich selbst nur als Platzhalter der Familie Fischer? Und will ihn noch zu seinen Lebzeiten den eigentlichen Besitzern zurückgeben? Ja, warum ist es denn dazu nie gekommen?“
Auch darauf gibt Gottfried Bermann Fischer in seiner Autobiographie eine mehr als erstaunliche Antwort. Doch bevor wir aufklären, was nach dem 15. Juni 1947 alles geschah, sei uns zunächst ein kurzer Blick zurück auf das Jahr 1936 gestattet. Das ein Schicksalsjahr für den S. Fischer Verlag war. Schon drei Jahre zuvor hatte bekanntlich Adolf Hitler die Regierungsgeschäfte und damit die Macht in Deutschland übernommen. Für Juden – und die Familie Samuel Fischers war ebenso jüdisch wie sein Schwiegersohn Gottfried Bermann - begann ein Martyrium, dessen tödlicher Ausgang unter dem Namen Shoa nur allzu bekannt ist.
„Wir waren vogelfrei, der Willkür der Straße ausgesetzt. Nacht für Nacht erwarteten wir selbst in unserem abgelegenen Zufluchtsort den Überfall der losgelassenen Horden, die brüllend durch die Straßen zogen. (…) Aber was war zu tun? Es begannen jene nächtlichen Beratungen, die zu nichts führten. Sollte, konnte ich alles stehen und liegen lassen und auswandern?“, schreibt Bermann Fischer. Der, eigentlich Mediziner, seit seinem Einstieg in den schwiegerväterlichen hochrenommierten S. Fischer Verlag am 1. Oktober 1925 die Verlagsgeschicke nun schon fast ein Jahrzehnt lang maßgeblich mitgeprägt hatte.
An der schließlich erfolgten Emigration führte – ums Überleben willen - kein Weg vorbei. Doch bevor Bermann zusammen mit seiner Frau Brigitte nach Österreich – und später via Italien, Schweiz und Schweden in die USA floh, sorgte er dafür, dass dem in Deutschland verbleibenden Verlagsteil alle Möglichkeiten zu einem gedeihlichen Fortbestand erhalten blieben. Was naturgemäß auch für alle 1936 noch in Deutschland erlaubten Fischer-Autoren ein Segen war – zu denen neben gewichtigen anderen Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Hermann Hesse und Joseph Conrad gehörten.
Bermann schaffte es nämlich nicht nur, seinen Lektor und Mitarbeiter Peter Suhrkamp als neuen Verlagschef zu etablieren – und wehrte so geschickt die drohende Gefahr einer kalten Arisierung ab –, sondern es gelang ihm überdies auch, für den mittelosen und somit rechtlich gesehen geschäftsunfähigen Suhrkamp die finanzstarken Philipp Reemtsma, Christoph Rathjen und Clemens Abs zu finden, deren Einlagen die kaufmännische Basis zum Fortgang der Geschäfte im Reich bilden sollten. Und „die bereit waren, eine Kommanditgesellschaft unter dem Namen S. Fischer Verlag KG zu gründen, die jene nicht zur Auswanderung bestimmten Werte und Rechte aus der der alten S. Fischer AG erwerben sollte“, bringt Bermann die damaligen hochkomplexen Vorgänge auf den einfachen Punkt. Und fährt fort: „Suhrkamp sollte als persönlich haftender Gesellschafter das Unternehmen leiten.“
Wer wissen möchte, wie es Gottfried Bermann Fischer gelang, unter immer neuen schier unüberwindlichen Hindernissen und Gefahren für Leib und Leben seinen nunmehr existierenden Bermann Fischer-Verlag erfolgreich durch den Zweiten Weltkrieg zu bringen, der lese dessen Autobiographie. Wir jedoch überspringen dieses zweifelsohne hochinteressante Kapitel des Hauses S. Fischer und kehren zum Testament von Peter Suhrkamp zurück. Denn obwohl es spätestens ab 1949 die rechtliche Möglichkeit gab, den Verlag noch zu seinen Lebzeiten formalrechtlich auf die Familie Fischer zurückzuführen, hatte es sich der „Platzhalter der Familie Fischer“ inzwischen anders überlegt.
„Die ersten Differenzen zeigten sich am Anfang des Jahres 1949“, schreibt Bermann Fischer. Und nennt als wichtigen Grund: „Suhrkamps Vorstellung vom Verlegen war die des ‚Elite-Verlages‘, d.h. Bücher durften eigentlich nur in die Hände Berufener kommen und dementsprechend durfte nicht für die große Masse produziert werden. Dass er sich damit (…) in Gegensatz zu den Grundprinzipien S. Fischers stellte, wollte er nicht hören. (…) Als Suhrkamp schließlich meiner Bitte nach der Wiederherstellung des alten Namens nicht nachkam, und sein Zögern damit begründete, dass es noch zu früh und mit der immer noch notwendigen Genehmigung der amerikanischen Behörden nicht zu rechnen sei, nahm ich diese Angelegenheit selbst in die Hand.“
Wodurch Bermann Fischer zu seinem Entsetzen erfahren musste, dass Suhrkamp ihn belogen hatte. Denn es war nicht nur so, dass bereits alle militärrechtlichen Möglichkeiten zur Rückführung des Suhrkamp Verlages zum wahren Inhaber längst gegeben waren, sondern dass sich fatalerweise das dafür vorhandene Zeitfenster sogar ganz bald wieder schließen würde. Weil nämlich nach den damals geltenden Gesetzen ehemals jüdisches Eigentum zugunsten notleidender Juden verwendet werden konnte, wenn sich der ursprüngliche Besitzer nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeldet hatte.
Bermann Fischer war zunächst noch geneigt, „dieses schwere Versäumnis der Unkenntnis Suhrkamps über die Restitutionsgesetze zuzuschreiben, doch sein Verhalten bei einer gemeinsamen Besprechung mit meinem Anwalt belehrte mich darüber, dass er seine feierlich erklärte Rückgabeverpflichtung nicht mehr anerkannte.“
Und zwar tat Suhrkamp das mit der erstaunlichen Begründung, er würde dadurch als „Ariseur“ diskriminiert. Und er ließ sich davon weder durch vernünftige Argumente noch durch ein Vertragsangebot Bermann Fischers abbringen, in dem Suhrkamp „als allein zeichnungsberechtigter Verlagsleiter mit 25 Prozent Gewinnbeteiligung und Pensionsberechtigung für sich und seine Frau angestellt werden sollte.“ Selbst sein Gehalt hätte er selbst bestimmen können. Peter Suhrkamp lehnte dies alles ab. Doch bevor Bermann Fischer den Klageweg vor einem Restitutionsgericht gehen musste, stellte sich ihm Eugen Kogon als Vermittler einer außergerichtlichen gütlichen Einigung zur Verfügung.
Die gelang mit dem Datum des 26. April 1950 und sah u.a. vor, „dass diejenigen Autoren, die während der Nazizeit in Deutschland bei Suhrkamp verblieben waren, resp. sich ihm in dieser Zeit angeschlossen hatten, befragt werden sollten, welchem der beiden nunmehr getrennt arbeitenden Verlage sie sich anschließen wollten.“ Von den infrage kommenden 33 Autoren die sich für Suhrkamp entschieden, seien hier nur Bertolt Brecht, T.S. Eliot, Max Frisch und Hermann Hesse genannt.
Wie es Peter Suhrkamp gelang, seine mediokre Rolle als untreuer Platzhalter zu vertuschen und aus seinen zweifellos lebensbedrohenden zehn Monaten in einem NS-Konzentrationslager bei den befragten Schriftstellern moralischen Gewinn zu schlagen, das offenbart ein Brief von Hermann Hesse von Anfang Juli 1950 an seinen Jugendfreund Otto Hartmann.
„Auch ich wurde jüngst sehr an böse Zeiten erinnert. Suhrkamp, mein lieber treuer Freund, war 10 Tage da, und an einem Abend taute er, der sonst kaum je ein Wort davon spricht, auf und erzählte vom Martyrium in den Gefängnissen und Konzentrationslagern, den Verhören und Folterungen, den ewigen Transporten und Hinrichtungen. Er erlitt das alles (sic!) für die Rettung des Verlages S. Fischer aus den Händen der Partei, den Erben Fischers zulieb, die jetzt aus Amerika zurück kamen und ihren Verlag wieder an sich genommen haben, während Suhrkamp auf der Straße steht und von vorn anfangen muss. Ich musste alles mit ihm gründlich durchsprechen und ihm vor allem helfen, einen Teil des nötigen Kapitals zum Neubeginne hier in der Schweiz aufzubringen (einige Kommanditäre), was auch gelungen ist.“
Auch ein Brief wie dieser ist der Ursprung für die sich dann weiter nährende Legende vom schändlich ausgebooteten Treuhänder Suhrkamp. Eine Legende, die trotz ihrer grotesken Geschichtsklitterungen bis heute fortlebt. Suhrkamps Verrat schmälert gewiß nicht die außergewöhnlichen Verdienste, die sich Siegfried Unseld nach Peter Suhrkamps Tod 1959 als dessen alleiniger Nachfolger erworben hat. Gleichwohl muss es erlaubt sein, einem so mythenträchtigen Unternehmen wie Suhrkamp die Frage zu stellen, ob die substantiellen Prozesse der letzten Jahre bis hin zu der jüngst beschlossenen „Schutzschirm-Vor-Insolvenz“ nicht das sind, was man den Fluch der bösen Tat nennen kann.
Wobei dieser Fluch auch den erbitterten Streit einschließt, den Siegfried Unseld mit seinem am 1. Januar 1988 als natürlichen Nachfolger ausgerufenen Sohn Joachim geführt hat. Der mit der Vertreibung des Sohnes 1991 und der Etablierung von Ulla Unseld-Berkèwicz schlussendlich zu eben jenem desaströsen Endspiel geführt hat, das die Öffentlichkeit derzeit erlebt.
Und als ob es ein Satyrspiel aus der Feder von Thomas Bernhardt wäre, sei schließlich noch erwähnt, dass Ernst Barlach, dessen Enkel Hans Barlach als Suhrkamp Gesellschafter mit Ulla Unseld-Berkéwicz im gerichtlichen Dauerclinch liegt, zu jenen Autoren gehörte, die es 1950 vorzogen, zum S. Fischer Verlag zurückzukehren.
Unrecht Gut gedeihet nicht, sagt das Sprichwort. Nun braucht es nur noch einen Dramatiker, der die wahre Geschichte vom Aufstieg und Fall des Suhrkamp Verlages zu Papier bringt. Eine Bühne dafür wird sich dann wohl schon finden.
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