- „Nicht die Bäume sind bedroht – der Mensch ist es!“
Luc Jacquet bekam für „Die Reise der Pinguine“ den Oscar. In seiner neuen Dokumentation „Das Geheimnis der Bäume“ widmet sich der Regisseur nun der Geschichte des Urwaldes und dem Baumsterben. Im Interview verrät der promovierte Zoologe dann aber, dass er sich eigentlich nicht um die Bäume sorgt - sondern um den Menschen
Herr Jacquet, im Deutschen sagt man, ein Mann ist erst dann ein richtiger Mann, wenn er ein Haus gebaut, ein Kind gezeugt und einen Baum gepflanzt hat. Das Haus steht für das Heim, das man seiner Familie gibt, das Kind für die Zukunft, die man seinem Stamm einräumt. Wofür steht Ihrer Meinung nach der Baum?
Vielleicht für die Bescheidenheit und für das Bewusstsein, dass der Mensch nicht für die Ewigkeit ist.
Wie meinen Sie das?
Wenn man vor einem 1000 Jahre alten Baum steht, bekommt man ein ganz anderes Verhältnis zur Zeit. In Tasmanien beispielsweise gibt es einen Baum, der bis zu 30 000 Jahre alt werden kann. Wenn ich also einen Baum pflanze, weiß ich im gleichen Moment, dass er mich überdauern wird. So macht er dem Menschen indirekt die eigene Endlichkeit bewusst.
Was macht für Sie die Schönheit der Bäume aus?
Sie haben etwas Erhabenes. Wenn ich vor einem Baum stehe, muss ich den Kopf heben. Das bekommt dann beinahe schon göttliche Qualität. Vergleichbar mit einer großen Kathedrale: Sie symbolisieren das Höhere. Wir Menschen haben nicht genügend Worte, um diese Schönheit vollends zu beschreiben. Der Botaniker Francis Hallé, mit dem ich diesen Film realisiert habe, hat es einmal so formuliert: Ein Baum ist anders in jeder Hinsicht. Die Schönheit der Bäume ist eine sehr bescheidene Schönheit. Sie ist intim und tief, sie überwältigt einen, jedoch nicht so offensichtlich wie es eine Rose tut, sondern auf sehr viel subtilere Art und Weise.
Sie erzählen die Geschichte des Baumes nicht aus Sicht eines Botanikers, sondern aus der Sicht der Bäume selbst. Damit geben sie dem Baum als Lebewesen Gewicht. Wir erleben ihn als atmenden, kämpfenden, flüsternden, intelligenten, ja sogar als liebenden Organismus. Findet hier eine Vermenschlichung des Baumes statt?
Mit diesem Film möchte ich die Menschen dazu bringen, die Bäume zu verstehen. Und das geht nur über Gefühle. Es geht nicht darum, den Baum zu vermenschlichen, sondern darum, Analogien zu schaffen, die sich nachvollziehen lassen. Bäume sind große Verführer. Sie sind so unglaublich raffiniert darin, Düfte und Farbe zu produzieren, Blumen und Früchte zu schaffen, denen sich der Mensch nicht entziehen kann. Das hat System. Denn das Ziel des Baumes ist es, den Menschen zu manipulieren, und das nur aus einem einzigen Grund: Um seinen Samen zu verbreiten, um zu überleben. Die Natur erschafft Blumen nicht deshalb, weil sie schön sind, sondern damit wir sie schön finden. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wir glauben immer, wir hätten Macht über die Natur. Dabei ist es eigentlich ganz anders.
Haben Sie das damit gemeint, als Sie sagten, Bäume würden uns Bescheidenheit lehren?
Ja. Sehen Sie sich nur einmal an, wie sich die Orchidee über die Jahre hinweg weltweit ausgebreitet hat. Da kann man nur sagen: Die Orchidee hat gewonnen. Und was macht der Mensch? Er läuft mit geschwollener Brust durch die Gegend und rühmt sich als König der Welt.
Die Protagonisten in Ihren Dokumentarfilmen sind gleichzeitig auch immer die Sympathieträger. Sie stellen sich als Regisseur nicht einfach nur beobachtend an die Seite des Geschehens, sondern schaffen eine bisweilen sogar sehr anrührende Dramaturgie. Klammern Sie damit das dokumentarische Moment nicht unwillkürlich aus?
Das ist mir vollkommen egal. Ich mache Kino. Eine hybride Form, die weder reine Dokumentation noch reine Fiktion ist. Ich nehme die Realität als Ausgangspunkt, um Geschichten, um Märchen zu erzählen – und das ist eine sehr bewusste Entscheidung. Und wer glaubt, dass es eine Wahrheit im Dokumentarfilm gibt, den muss ich auslachen.
Wenn es keine Wahrheit im Dokumentarfilm gibt, warum sollte ich Ihren Film dann überhaupt ernst nehmen?
Weil ich etwas zu sagen haben, weil ich etwas bewegen will. Ich zeige dem Zuschauer Welten, die ihm völlig fremd sind. Die Menschen glauben immer, sie wüssten alles, würden sich überall auskennen, nur weil es Google gibt. Dabei haben sie von den meisten Dingen keine Ahnung.
Sie glauben also, dass der Wald dem Menschen fremd ist?
Wirklich fremd ist er ihm nicht, nein. Schließlich ist der Mensch aus dem Wald hervorgegangen. Doch der Mensch hat sich im Zuge der Globalisierung entwöhnt. Was nicht verwestlicht ist, verschwindet mit der Zeit. So verschwinden die Urwälder und mit ihnen die Ureinwohner. Streng genommen sehen wir gerade einer ganzen Kultur beim Verschwinden zu – und wir stehen einfach nur daneben.
Sehen Sie darin die eigentliche Gefahr? In der Verwestlichung des Menschen?
Wenn wir 100 Jahre zurückblicken, hatte der Mensch noch ganz andere Möglichkeiten zu leben. Er konnte in der Wüste oder im Wald aufwachsen, ein Amerikaner lebte ganz anders als ein Australier. Heute hat die Menschheit ein zentrales Problem: Sie ist zu standardisiert. Wenn plötzlich ein Krieg auf sie zukäme, ein Virus, eine Hungersnot oder ein Klimawandel, dann wäre sie heute nicht mehr in der Lage, sich anzupassen. Der Mensch hat sich zu sehr spezialisiert. Man kann fast schon sagen: Der Mensch ist zu clever geworden.
Doch wenn im Fortschritt keine Lösung liegt, worin dann?
In der Utopie, dass man die Welt verändern kann. Dass man verhindern kann, dass sich die Menschheit mit rasender Geschwindigkeit selbst in Gefahr bringt.
Nun sind Utopien bekannt dafür, dass sie in der Realität nicht funktionieren.
Vielleicht funktionieren sie nicht, aber sie bringen einen weiter. In der Aufklärung galten viele Ideen als Avantgarde. Und genauso sehe ich es: Die Utopie als Avantgarde für die Zukunft. Man muss den Kampf annehmen. Und lieber hänge ich einer Utopie nach als die Flinte sofort ins Korn zu werfen und darüber zu verzweifeln. Ich verstehe mich in dieser Hinsicht durchaus als politischer Künstler und ich traue mich zu sagen: So wie sich die Welt zeigt, entspricht sie mir nicht. Und auf diesem Mikrolevel, auf dem ich wirke, möchte ich etwas bewegen.
Sie haben einmal gesagt: „Der beste Weg die Erde zu beschützen, ist, die Menschen dazu zu bringen, sie zu mögen.“ Ein schöner Gedanke, aber vielleicht auch etwas naiv?
Seit Langem gibt es eine Debatte, die darauf abzielt, dass sich der Mensch permanent dafür schuldig fühlt, was er der Natur antut. Und zwar indem man sagt, kauft nicht dieses oder jenes, boykottiert dies oder das. Das funktioniert aber auf die Dauer nicht. Niemand will das mehr hören. Deshalb muss man versuchen, diese Botschaft auf andere Weise zu transportieren. Ich möchte versuchen, den Menschen wieder mit der Erde zu versöhnen, auf universelle Weise, durch Liebe und Empathie. Denn ich bin sicher, dass man sein eigenes Kind besser schützt, als ein fremdes. Indem ich den Menschen also das Gefühl gebe, den Wald zu kennen, ihn als Teil von sich selbst zu begreifen, sorgen sie sich auch besser um ihn. Das mag naiv sein, aber immer noch besser als so zu tun, als ob uns das alles nichts angeht.
Im Film heißt es: „Tiere herrschen über den Raum – Bäume über die Zeit.“ Wann man nun den Begriff „Tiere“ durch „Menschen“ ersetzt, dann hieße das in letzter Konsequenz, dass der Baum den Menschen nicht zu fürchten braucht. Warum sorgen Sie sich dann überhaupt um den Wald?
Mir geht es nicht um das Überleben der Bäume, sondern um das Überleben der Menschheit! Die Bäume können sich selbst genügen. Ein Wald beispielsweise kann sich innerhalb von 700 Jahren völlig regenerieren und neu erschaffen. So viel Zeit hat der Mensch nicht. Die Bäume brauchen uns nicht, aber wir brauchen die Bäume!
Moment, dann sind Sie im Grunde gar kein passionierter Biologe sondern eigentlich Humanist?
Der größte Fehler der ökologischen Bewegung der 1970er Jahre war, dass man sich um den Schutz von allen möglichen kleinen Tierarten und dergleichen gekümmert hat. Das war ein absolut illusorisches Vorhaben. Stattdessen hätte man sich um den sicheren Fortbestand und den Schutz des Menschen kümmern müssen. Denn die einzige Art, die wirklich lebensbedroht ist, ist der Mensch!
Aber warum drehen Sie dann ein so aufwendiges Epos über das Sterben der Primärwälder? Hätten Sie mit diesem Ansatz, der ja durchaus originell ist, nicht eigentlich den Menschen in den Fokus Ihrer Betrachtung stellen müssen?
Nein, weil der Mensch nichts weiter ist als eine Art Messenger. Was mich persönliche am meisten in meinem Denken verändert hat, war zu entdecken, was mir bis dahin komplett unbekannt war: das Reich der Pflanzen. 45 Jahre lang habe ich nur die Hälfte der Welt wahrgenommen. Und diese Erkenntnis habe ich wie frischen Sauerstoff eingesaugt. Eine unglaubliche Bereicherung.
Herr Jacquet, vielen Dank für das Gespräch!
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