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(picture alliance) Albrecht Mayer mit seiner verführerischen Oboe

Albrecht Mayer - Die Verführung der Oboe

Albrecht Mayer sagt über sich selbst, er „wurde zur Oboe rekrutiert" und doch hat er die Oboe zum Verführungsinstrument gemacht. Wie er dies Wunderwerk vollbracht hat, portraitiert Eva Gesine Baur

Ein Mann in Pullover und Jeans in der Kaminecke seines Eigenheims, einem Bungalow mit Garten aus den sechziger Jahren. In der Hand hält er eine Tasse mit koffeinfreiem Espresso. Er blickt ins Grüne. Vollkommene Ruhe. Die Luft, die durchs offene Fenster dringt, riecht frisch. Deswegen wohnt er mit seiner Frau im Stadtteil Nikolassee im Südwesten Berlins. Seit zwei Jahren ist er verheiratet. Für den Antrag hatte er vor seinem Lieblingslokal in Salzburg ein Herz aus brennenden Teelichtern aufgestellt und der Angebeteten in dessen Mitte einen Brillantring angesteckt.

Der Mann in der Kaminecke ist ein Star, wie er heute gebraucht wird. Seine CDs erobern die Charts, das Wort Allüren kennt er nicht. Innerhalb einer Woche tritt er bis zu sieben Mal auf, brilliert im Pulverturm von Clausthal-Zellerfeld ebenso wie in der Carnegie Hall in New York. Auf den CD-Covers posiert er über den Dächern von Paris, dahinter der Eiffelturm, oder am Bug einer Gondel, dahinter der Markusdom. Im Fall Albrecht Mayer scheint alles klar zu sein. Jede Frage beantwortet er freundlich, klug und uneitel. Keine Fragen offen, bis auf die simpelste: Wie ist es ihm gelungen, ausgerechnet die Oboe zum Verführungsinstrument zu machen?

Er selbst wurde davon keineswegs verführt. „Ich wurde zur Oboe rekrutiert“, sagt Mayer. In seinem Gymnasium, einem musischen in Bamberg, fehlten Oboisten. „Mein Vater kam mit dem Instrument nach Hause, legte es auf den Tisch und erklärte, dass mein Bruder und ich das jetzt lernen sollten.“ Da war er zehn. Verführt, der Oboe treu zu bleiben, hat ihn, wie er unumwunden zugibt, der Geltungstrieb. Durch sie war er auf einmal nicht mehr nur der Mayer, Albrecht, sondern eine Ausnahmeerscheinung.

Mit 25 wurde Mayer Solooboist bei den Bamberger Symphonikern. Eineinhalb Jahre später wechselte er zu den Berliner Philharmonikern. Ganz jung war er ganz oben. Aber unglücklich. „In diesem Orchester wehte ein anderer Wind. Der Wind der Karajan-Ära.“ Mörderisch kalt. „Wir hatten kaum ein Mitspracherecht. Auch an mir wurde ausprobiert: Wie weit können wir den belasten, bevor er kollabiert?“

Auf der nächste Seite verrät Mayer, warum er Sieger und nicht zum Opfer wurde

Der junge Sieger wollte kein Opfer werden. Wem verdankt er, dass er es nicht wurde? „Mein Guru, so blöd das klingt, ist ein alter, weiser chinesischer Arzt.“ Der habe ihm beigebracht, was der Fluss des Qi, der Lebensenergie, im Organismus bedeute, und warum und wie der Atem in Fluss bleiben könne. Man kann Oboe so spielen, dass jeder hört, dass sie so viel Kraft kostet wie eine Trompete. Die Zuhörer von Albrecht Mayer fragen sich hingegen, wann er eigentlich Luft holt.

„Mein Arzt hat mir erklärt, was Tao bedeutet“, sagt Mayer. Nicht nur Weg, sondern auch Methode. Seine fasst er in einem Satz zusammen: „Aus dem Nichts kommend den Ton entwickeln und wieder ins Nichts gehen.“ Wu wei, das Nichtwollen, ist für diesen Ton wesentlicher als alles andere. Albrecht Mayer hat verstanden, dass es der Ehrgeiz, das zu starke Wollen ist, was verhärtet und gefährdet. „Ich übe immer, das Ego wegzuschieben“, sagt er. Wenn einer wie er umjubelt von dreieinhalbtausend Menschen an der Rampe in der Carnegie Hall steht, eine heikle Übung.

Ein Schluck Kaffee, Pause, noch einer. „Ja, alles andere wäre eine dreckige Lüge. Ich sage mir eben immer wieder vor: Ich bin nicht so wichtig.“ Das zu sagen, ist einfach, es so zu sagen, dass andere es glauben, ist schwer, es als Star selbst zu glauben, noch schwerer. Mayer trainiert es, wenn er drei Stunden lang durch eine fremde Stadt läuft, durch London oder Tokio.

Er trainiert es beim Zen des Zwiebelschneidens, wenn er kocht. Er trainiert es, wenn er sich „neben die ganz großen, ganz bescheidenen Vorbilder wie Placido Domingo“ stellt. Auch wenn er Wunderlich singen hört oder Lisa della Casa. „Es gibt für mich nichts Schöneres, als mit meinem Instrument der menschlichen Stimme nachzueifern, obwohl ich weiß, dass ich sie nie erreichen kann.“ Sehnsucht und Demut sind die Losungsworte zu Mayers Geheimnis. Sehnsucht hält die Seele in Bewegung, Demut hindert sie daran, im Stolz über das Erreichte zu erstarren.

Er wandert gern durchs Schilf um den Nikolassee. Im Tao Te King des Laotse ist die Rede vom Schilfrohr, das sich biegend im Wind besteht, verholzt und starr jedoch bricht. „Schilflieder“ heißt Mayers neue CD, wie die ersten Stücke darauf, benannt nach Nikolaus Lenaus Gedichten. Vertont hat sie August Klughardt, der selbst Kennern so fremd ist wie die anderen Komponisten auf dieser Einspielung, von Schumann abgesehen. Verführungskraft erweist sich ja gerade darin, jemanden dorthin zu bringen, wo er gar nicht hinwollte. Sehnsucht verführt zum Hinhören, weil jeder seine eigene darin zu finden meint.

„Es hat lange gedauert“, kommentiert Albrecht Mayer, der mit 44 noch immer Junggeselle war, seine Liebesgeschichte. Und mehr sollte, wer seine „Schilflieder“ hört, davon gar nicht wissen. Es sind melancholische, erotische Lieder ohne Worte. „Erotisch ist, was der Fantasie Spielraum lässt“, sagt er. „Und was ganz einfach wirkt.“

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