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() Auch in Carl Sternheims Stück "Die Kassette" (1911) dreht sich alles um das liebe Erbe.

Erbschaft - Das rätselhafte Testament der Jacqueline Heusch

Die Geschichte des Dritten Reiches ist noch voll ungelöster Fälle. Zum Beispiel dem der Möchtegern-Schauspielerin Jacqueline Heusch und des Spions Herbert Ranft, die sich 1942 im von der Wehrmacht besetzten Paris begegneten, ein Millionenvermögen anhäuften und Schiffbruch erlitten.
 

Im Februar 1984 treffen sich vier Männer vor einer versiegelten Wohnung im Haus Nummer 7 der Rue Cognacq-Jay im siebten Pariser Bezirk: ein Polizeibeamter, ein Notar, dazu ein Pastor und Daniel Groscolas, seit ein paar Wochen Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Groscolas ist aufgefordert worden, im Namen des Jugendwerks das Erbe einer im Alter von 66 Jahren verstorbenen alleinstehenden Frau namens ­Jacqueline Heusch entgegenzunehmen.

Niemand im Jugendwerk hat diesen Namen zuvor gehört. Der Notar, bei dem das Testament hinterlegt worden ist, hat die Erblasserin nicht persönlich gekannt. Hausbewohner berichten, ihre Nachbarin habe sehr zurückgezogen gelebt, kontaktscheu, allein. Niemand weiß etwas über Freunde oder Familie.

Das Testament, fünf in zierlicher Handschrift gefüllte Seiten, zählt Immobilien und Bankschließfächer mit Wertpapieren auf, Kunstwerke, Gold, Diamanten und Schmuck, kostbare Möbel und Bücher. Aber das Geheimnis wird nicht gelüftet: Warum ein Vermögen für die deutsch-französische Verständigung? Ein Brief an den Generalsekretär des Jugendwerks, von der Unbekannten in ihrer Wohnung hinterlassen, gibt wenigstens diesen Hinweis: „Nutzen Sie diese Hinterlassenschaft gut, sie soll die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland fördern, damit niemand mehr die Qualen erleiden muss, die ich durchgestanden habe.“

Durchstandene Qualen? Für Jacqueline Heusch war das die kurze Zeit mit dem Deutschen Herbert Ranft. Nur gut zwei Jahre haben die beiden in dem von der deutschen Wehrmacht besetzten Paris zusammengelebt. Für beide war es die eine leidenschaftliche Beziehung. Und die Katastrophe ihres Lebens.

Die Liebesgeschichte beginnt im April 1942. Jacqueline ist 24 Jahre alt. Ihr Versuch, Schauspielerin zu werden, ist misslungen, sie braucht dringend eine feste Arbeitsstelle. Ein gewisser Herbert Ranft, so erfährt sie, sucht eine mehrsprachige Sekretärin, Schwerpunkt Deutsch-Französisch. Sie trifft ihn zu einem Vorstellungsgespräch. Später wird sie diese Begegnung so beschreiben: „Ich stehe einem großen, soliden Mann in den Vierzigern mit einem durchdringenden Blick aus blauen Augen gegenüber, er macht einen sehr reifen, verantwortungsbewussten Eindruck; er erklärt mir, er wolle ein Ingenieur- und Beratungsbüro aufmachen, sei Diplom-Ingenieur und brauche eine Fremdsprachensekretärin. Ich merke fast unmittelbar, dass er, obwohl er perfekt Französisch spricht, Deutscher ist.“

Na und, denkt die Französin, ihre Familie hat deutsche Wurzeln, sie spricht gut Deutsch und braucht dringend einen Job. Und dann passiert das, was die Franzosen einen „coup de foudre“ nennen, die große Liebe auf den ersten Blick: „Unvermittelt merke ich, dass mich dieser Mann sehr anzieht und dass ich auf dem besten Weg bin, mich in ihn zu verlieben. So wie mir das nie zuvor passiert ist.“ Schnell wird die Sekretärin zu Ranfts Maitresse, das Paar zieht in ein luxuriöses Appartement nahe der Place de l’Etoile. Eine scheinbar perfekte deutsch-französische Beziehung.

Die alles andere als einfach ist. Die politische Situation ist kompliziert. Sie ist eine nicht sehr lebenstüchtige junge Frau, er ein um 16 Jahre älterer Draufgänger. Im November 1936 hat ihn ein Pariser Militärgericht wegen Spionage für die deutsche militärische Abwehr zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Und wer die Prozessakten studiert, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Ranft lügt wie gedruckt, sein Lebenslauf ist eine einzige Hochstapelei – und die Richter merken es nicht. Er nennt sich Diplom-Ingenieur, hat aber lediglich eine Mechanikerlehre gemacht. Er behauptet, er sei vor der antisemitischen Verfolgung in Deutschland geflohen – dabei ist er gar kein Jude.

Warum er 1925 nach Frankreich kam, bleibt unklar. Er schlägt sich mit Jobs als Dreher, technischer Zeichner und Vertreter durch. Erwiesen ist, dass Ranft sich im Oktober 1935 von der Abwehr des Admirals Canaris als Spion engagieren lässt. Angeblich bei einem kurzen Aufenthalt in einem Berliner Obdachlosenasyl von einem gewissen Otto Suhr. Als er sich ein paar Wochen später mit (wenig geheimen) Dokumenten zu einem Treff nach Amsterdam aufmacht, wird er im Pariser Nordbahnhof von der Sicherheitspolizei verhaftet. Im Prozess hat er wenig zu seiner Verteidigung vorzubringen. Auch dass sein Pflichtverteidiger, Maître Albert Naud, einer der bekanntesten Anwälte jener Jahre ist, nützt ihm nichts. Ranft muss für zehn Jahre ins Gefängnis.

Die sind allerdings frühzeitig vorbei. Nämlich an dem Tag, als die deutsche Wehrmacht Frankreich besetzt. Sie hat eine Liste mit den Namen von 97 Deutschen im Gepäck, die als Spione für das Deutsche Reich in französischen Gefängnissen sitzen. Ranft hat die Nummer 64, ausgerechnet am 14. Juli 1940, dem Nationalfeiertag der Franzosen, holen ihn die Besatzer aus seiner Zelle und machen ihn zum freien Mann.

Ranft bleibt in Paris und tritt in die Dienste der Messerschmitt AG, die wie fast alle deutschen Flugzeugbauer einen Teil ihrer Produktion nach Frankreich auslagert. Im Frühjahr 1942 macht er sich selbstständig, und seine neue Sekretärin Jacqueline Heusch beschreibt ihre Aktivität so: „Meine Arbeit, die ich gewissenhaft verrichte und für die ich das vereinbarte Monatsgehalt bekomme, besteht für mich vor allem darin, den Transport von Waren quer durch Frankreich zu überwachen.“

Das kann nur eine Scheinaktivität sein. Denn in Wahrheit arbeitet Ranft mit dem Rang eines Stabsingenieurs für die Organisation Todt, die zu dieser Zeit vor allem den Atlantikwall und gewaltige U-Boot-Bunker baut. Und Ranft lebt in Saus und Braus, hat ein ausschweifendes Liebesleben. Seine „offizielle“ Geliebte weiß das natürlich, aber sie schätzt den Luxus, und Ranft verwöhnt sie. Da er ihren großen Wunsch kennt, Schauspielerin zu werden, kauft er ihr kurzerhand eines der schönsten Pariser Theater, das „Edouard VII“ nahe der Oper. Dort installiert er sie als Direktorin, die auch mit mäßigem Erfolg auftritt.

Sicher stellt sich Jacqueline Heusch die Frage, wo Ranft eigentlich das viele Geld und zum Beispiel seine kleine, aber feine Gemäldesammlung herhat. Immerhin hängen in der gemeinsamen Wohnung, die übrigens von der Wehrmacht requiriert worden ist, ein Cézanne, ein Manet und ein Millet, Kunstgegenstände aller Art sind in Vitrinen ausgestellt, vor der Haustür stehen zudem zwei Luxuslimousinen. Vor seiner Verurteilung als Spion ist Ranft alles andere als wohlhabend, er kann sein Vermögen nur während der vier Jahre deutscher Besatzung angehäuft haben.

Auch wenn es darüber keine gesicherten Erkenntnisse gibt, bleiben nur zwei Möglichkeiten: die unrechtmäßige Aneignung jüdischen Eigentums und der Schwarzmarkt. Unzählige Juden sind während der Besatzungszeit Opfer von Betrug und Erpressung, müssen ihre Wohnung Hals über Kopf verlassen, werden in die Vernichtungslager deportiert. Was zurückbleibt, wird von den Besatzern eingesammelt und ins Reich geschafft, landet beim Pariser Kunsthandel oder ganz einfach in der Wohnung von Nachbarn, Polizisten, echten oder falschen Kunstsammlern.

Alles spricht dafür, dass Ranft sich auf diesem Weg seine Kunstwerke beschafft hat. Etwa den Cézanne, eine Darstellung aus dem Garten des Künstlers. Interessantes Detail: Im maßgeblichen Werksverzeichnis ist Ranft als Ersteigentümer aufgeführt, Jacqueline Heusch als zweite Eigentümerin. Die Frage allerdings, wem das Bild vorher gehörte und wie Ranft es „erworben“ hat, bleibt auch bei späteren Auktionen ohne Antwort. Das ist in aller Regel der Hinweis darauf, dass niemand daran interessiert ist, die wahre Herkunft zu ermitteln.

Im Stab der Organisation Todt sitzt Ranft zudem an der richtigen Stelle, um auch am Schwarzmarkt mitzumischen. Gleich nach 1940 entstehen in Paris die sogenannten Beschaffungsbüros, die zunächst die Versorgung der Besatzungstruppe sichern sollen, sich dann aber zu einem regelrechten Wirtschaftszweig auswachsen. Mittendrin steckt die Organisation Todt, sie kann den immensen Bedarf an Baumaterial gar nicht auf dem regulären Markt befriedigen. Vieles wird in private Taschen abgezweigt. Ranft bleibt dabei noch eine andere Profitquelle. Mit ziemlicher Sicherheit organisiert und koordiniert er die Bauarbeiten der Todt-Truppe. Seine Partner sind bedeutende Baufirmen aus dem Reich und praktisch die gesamte französische Baubranche. Wer einen Auftrag bekommen will, zahlt gerne eine Kommission.

Im August 1944 befreien die Alliierten Paris von den letzten Nazi-Truppen. Da haben Jacqueline Heusch und Herbert Ranft schon das Weite gesucht. Sie hat sich zu ihren Eltern in die Normandie geflüchtet, vor allem um der Säuberung zu entkommen, deren Ziel gerade Frauen sind, die sich der „horizontalen Kollaboration“ schuldig gemacht haben. Bald lernt sie dann einen hochdekorierten Widerstandskämpfer kennen, der sie heiratet und damit endgültig jeglicher Verfolgung entzieht.

Ranft setzt sich mit einem falschen Pass via Toulouse nach Spanien ab und von dort nach Brasilien, wo er sich eine neue Existenz aufbaut. Zahlreiche Briefe aus den folgenden Jahren sind erhalten, ihre Lektüre verschlägt einem den Atem. Zärtliche Billets sind nicht dabei, stattdessen viele Zeugnisse eines völlig zerrütteten Verhältnisses. Dahinter steht die Hassliebe zweier Menschen, die nicht voneinander loskommen, bei denen sentimentale Erinnerungen mit zynischen Wortgefechten abwechseln, Drohungen mit Versprechen.

Dann, im Herbst 1949, die unerwartete Wende. Jacqueline Heusch schreibt Ranft nach São Paulo: „Ich weiß jetzt, dass die einzige Lösung für mich darin besteht, zu Dir zurückzukommen.“ Doch als sie zum großen Neubeginn rüstet, nimmt ihr das Schicksal die letzte Entscheidung aus der Hand. Der herzkranke Ranft fliegt nach Genf und stirbt dort im Januar 1950 in einer Spezialklinik an seinem zweiten Infarkt.

Bald scheitert auch die Ehe Jacqueline Heuschs, sie zieht sich in ihre Pariser Wohnung zurück, lebt allein. Und sie verfasst ihr Testament. Natürlich weiß sie, dass sie nicht ihr Vermögen vererbt, sondern das von Ranft. Skrupel lässt sie deswegen nicht erkennen. Jahrelang hat Ranft aus seinem Exil vergeblich darum gebeten, ihm wenigstens einen Teil davon zukommen zu lassen, hat ihr die „Mentalität einer Diebin“ vorgeworfen. Nichts spricht dafür, dass Ranfts Vermögen vor oder mit seinem Tod rechtmäßig an seine Ex-Geliebte übergegangen ist. Und die weiß zweifellos, dass Ranft nicht auf ehrliche Weise zu Reichtum gekommen ist. Von der scheinbar noblen Geste zum Besten der deutsch-französischen Verständigung bleibt da kaum mehr übrig als ein Akt moralischer Geldwäsche.

Nach Heuschs Tod weiß man im Jugendwerk nicht so recht, was man von der Erbschaft halten soll. Eilig angestellte Recherchen kommen zu dem Schluss, dass der Spion Ranft kein großes Unheil angerichtet hat und kein Blut an seinen Händen klebt. Also wird die Erbschaft angenommen. Die Immobilien werden verkauft, die verschiedenen Wertgegenstände vom Pariser Auktionshaus Drouot versteigert. Am Ende steht ein Nettoerlös von 4,6 Millionen Francs, die in neue Büros investiert werden. Eine „Salle Jacqueline Heusch“ erinnert an die Spenderin.

Und Herbert Ranft? Er hat keine Spuren hinterlassen. Genau genommen hat der 1901 in Mannheim geborene Mann dieses Namens in dem Moment aufgehört zu existieren, als er im Frühjahr 1945 Frankreich in Richtung Spanien verlässt. Er hat so oft Namen und Identität gewechselt, dass ihn am Ende keiner mehr kennen will. Als der Vater vom Tod seines Sohnes in Genf erfährt, erhebt er Anspruch auf dessen Habseligkeiten. Nicht Herbert Ranft heiße der Tote, wird ihm mitgeteilt, sondern Juan Bertran-Raventos. Und er habe keine deutschen Papiere, sondern einen spanischen Pass und einen chilenischen Personalausweis hinterlassen. Dem Vater gelingt es trotz jahrelanger Bemühungen nicht, die wahre Identität seines ältesten Sohnes nachzuweisen. Das Einzige, was von ihm schließlich bleibt, ist ein anonymes Grab auf einem Genfer Friedhof mit der deutschen Aufschrift „Auf Wiedersehen“.

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