Das Journal - Das Leben und Schreiben von Arno und Alice

Ihr Tagebuch zeigt Alice Schmidt als funktionierende Schriftstellergattin. Ebenso gut lässt es sich aber als Gegenstück zu Arno Schmidts Werken lesen

Sein später Erfolg war teuer erkauft, aber Arno Schmidt hat die Lasten seiner Schriftsteller-Existenz bekanntlich nicht allein getragen. Nur ist es den Romanen und Erzählungen seines Frühwerks trotz starker autobiografischer Unterfütterung nicht abzulesen, dass sie der Feder eines (seit 1937) verheirateten Mannes entstammen. Als er seine Frau dann auftreten ließ, im ersten Satz seines «historischen Romans aus dem Jahre 1954», sah das so aus: «In unserem Wassertropfen: Ein metallisch blauer Kegel kam mir entgegen; im Visierei 2 stumpfe Augenkerne.» Nicht einmal Alice Schmidt selbst hat sich in dieser Darstellung mit ihrem «stahlblauen Cape» wiedererkannt – auch «nach langem Nachdenken» und zur großen Enttäuschung ihres Mannes nicht, wie sie unter dem Datum des 8.12.1954 in ihrem Tagebuch festhielt.

Alice Schmidts sorgfältig und aufwändig ediertes «Tagebuch aus dem Jahr 1954» ist also nicht nur eine erstrangige biografische Quelle zum Leben Arno Schmidts sowie zur Entstehung jenes 1956 als «Das steinerne Herz» veröffentlichten «historischen» Romans. Es bildet, bei aller Affir­mation, aller Selbstverleugnung der Schriftstellergattin, auch eine kritische Gegen-Instanz zur Autorschaft Arno Schmidts (und ist damit mehr, als Jan Philipp Reemtsma dem Buch im Vorwort nach einigem philologischen Händeringen zugesteht).

Dieses Tagebuch zeigt nicht nur die materiellen Folgen der Kompromisslosigkeit, mit der sich Arno Schmidt im Einverständ­nis mit seiner Frau 1946 für die Existenz als freier Schriftsteller entschieden hatte: die Armut, die Abhängigkeit von den Care-Paketen der Schwester Lucy Kiesler, die Wohnungsnot, die nur zähneknirschend akzeptierten «Brotarbeiten», deren Honorare entsprechend mager ausfielen. Es zeigt auch, wie im Beispiel vom blauen Kegel, wo die Intentionen des Autors Arno Schmidt ins Leere laufen, weil nicht alle poetischen Bilder den gewünschten Effekt erzielen. Dabei ging Schmidt mit seinen Einfällen sehr haus­hälterisch um: «Er hat übrigens sich auch ein Mäppchen angelegt für Briefredensarten, schreibt er dann dazu, an wen schon gebraucht», hält Alice Schmidts Tagebuch im Januar fest.


«A. knickt mir wieder meine Flügel»

Diese Aufzeichnungen zeigen die Kriegsfurcht, zeigen Arno Schmidts beständige Angst, im Westen nicht mehr schreiben zu dürfen, die in den folgenden Jahren durch den Pornografie-Vorwurf gegen seine Erzählung «Seelandschaft mit Pocahontas» kaum gemildert wurde. Und sie zeigen immer wieder den fatalen Kleineleute- und Autodidakten-Stolz, der Arno Schmidt auf die echten und eingebildeten Kränkungen eines deutschen Dichterlebens mit groben Gegenattacken reagieren ließ.

Daneben aber beschreibt das Tagebuch auch Etappen einer Selbstverkapselung, mit der sich die 1916 geborene Alice Schmidt in die Rolle des Faktotums an der Seite ihres Schriftstellergatten ergab. Eigene Höhenflüge waren dabei nicht vorgesehen: «A. knickt mir wieder meine Flügel», notiert Alice Schmidt am 1. Februar. Sie hat das Sakrileg begangen, eine Erzählung ihres Mannes zum Hörspiel umarbeiten zu wollen. Solle sie sich doch an Cooper oder Scott versuchen, erklärt dieser: «Und seinen Namen oder seine Bekanntschaften dürfte ich nicht dazu verwenden, sondern höchstens anonym und mir selbst den Weg bahnen», teilt er ihr am 28. Juni mit.


«Fast alle meine Sätze werden getadelt», notiert sie am 15. November über die Aufnahme eines «Zeitungsartikelentwurfs». Ihre Bemühungen um eine Cooper-Übersetzung kommentiert der Ehemann mit den Worten, «er bedauere, mir ein solch schönes Buch zum völligen Ruinieren gegeben zu haben». Ob Alice Schmidt so viel Talent besaß, dass sie ihren Arno hätte überflügeln können, ist ebenso zweifelhaft wie die Vorstel­lung, sie hätte 1954 vom «Namen Schmidt» profitieren oder ihn mit eigenen Publikationen in den Schmutz des Kommerziellen ziehen können. Zumindest als Tagebuchschreiberin beweist sie aber Gespür für Alltagsschilderungen, und das soll sie ja auch, denn dies gehört – neben Kochen, Flicken, Saubermachen, Post und Schreibarbeiten – zu den Pflichten einer Schriftstellergattin. Den richtigen formalen Aufbau («Erst mal s Wetter, Temperatur, Barometer, Wind; Bewölkung, Niederschläge, Himmelserscheinungen») hatte Arno Schmidt schon in seiner Erzählung «Die Umsiedler» (1953) vorgegeben. Und Alice hält sich daran.

Doch sie schreibt auch ausführliche Berichte, etwa über die gemeinsame Reise nach Ahlden und Ostberlin, den Schauplät­zen von «Das steinerne Herz». Kaum einer der zahlreichen Reiseeindrücke dieser mühsam zusammengesparten Recherche-Fahrt scheint später Verwendung gefunden zu haben. Doch macht das Tagebuch deutlich, dass Arno Schmidt die DDR nach dieser Autopsie viel skeptischer beurteilte als sein literarisches Alter Ego.

Noch bemerkenswerter als diese werk­geschichtlich aufschlussreichen Aspekte sind jene Passagen, in denen Alice über ihre eigenen Empfindungen berichtet. Zu Hause werden diese – wo sie nicht von Arno alias «Nödel» und dem Schriftsteller-Haushalt vereinnahmt sind – von einer nur schwer überschaubaren Schar ständig hungriger Katzen beansprucht, die ihren männlichen Namen zum Trotz hartnäckig Nachwuchs zur Welt bringen. Die Tötung überzähliger Kätzchen und den quälenden Gifttod einiger ihrer Lieblinge begleitet Alice Schmidt gewöhnlich mit Schmähungen des Leviathans (der grausame Schöpfer-Dämon der Schmidt­schen Privattheologie) sowie mit ausführlichen Beschreibungen von Tränen­ausbrüchen und lang anhaltenden Trauerphasen.


Katzentode, Schwimmversuche

Seit dem Tod ihres jüngeren Bruders Werner habe sie nichts so erschüttert wie der ihrer Katze Topper, hält sie am Rande einer mehrere Seiten füllenden Sterbeszene fest. Solcher Katzenwahn wirkt irritierend und könnte zum simplen Psychologisieren verführen. Doch lässt sich mutmaßen, dass das Bemuttern und Betrauern von Katzen das einzige nach außen gewandte emotionale Engagement war, das Arno Schmidt nicht als Bedrohung ihrer abgeschotteten Lebens­gemeinschaft empfand. Damit sie ihm nicht wegfliegen konnte, knickte er ihr die Flügel.

Doch beinahe wäre sie ihm einmal weggeschwommen. Während der gschamige Herr Schmidt zögernd am Allerufer steht, aalt sich Alice im Fluss: «Wie gern ich schwim­me! Glückselig bin ich im Wasser!» Als
Arno endlich folgt, verkrampft sich sofort alles in ihm, und er rettet sich ans Ufer.

Arme Undine! Ihr Tagebuch umfasst übrigens sehr viel mehr als nur das Jahr 1954, und es erzählt – über alle persönlichen und literaturhistorischen Aspekte hinaus – auch eine Geschichte der Nachkriegsarmut in Deutschland. Auch darin ist es ein Gegenstück zum (Früh-)Werk Arno Schmidts und zugleich eine eigenständige Leistung Alice Schmidts, die man gerne vollständig veröffentlicht sähe.

 

Alice Schmidt
Tagebuch aus dem Jahr 1954
Hg. von Susanne Fischer.
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004. 334 S., 38 €

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