Kurz und Bündig - Dahlhaus, Miller: Europäische Romantik in der Musik. Band 2

Ehrfurchtgebietend, ein biss­chen einschüchternd liegt der 1200 Seiten starke zweite Band eines Unternehmens in der Hand, dessen erster Teil vor neun Jahren erschienen ist: «Europäische Romantik in der Musik» greift schon im Titel über die üblichen Grenz­ziehungen der Musikgeschichte hinaus, die – hierzulande jedenfalls – Romantik gern als irgendwie speziell deutsche Angelegenheit verhandelt.

Ehrfurchtgebietend, ein biss­chen einschüchternd liegt der 1200 Seiten starke zweite Band eines Unternehmens in der Hand, dessen erster Teil vor neun Jahren erschienen ist: «Europäische Romantik in der Musik» greift schon im Titel über die üblichen Grenz­ziehungen der Musikgeschichte hinaus, die – hierzulande jedenfalls – Romantik gern als irgendwie speziell deutsche Angelegenheit verhandelt. Zur Weitung des Horizonts führt nicht nur, dass sich das Werk dem «langen Gespräch» zwischen einem Musik- und einem Literaturwissenschaftler verdankt – wie auch anders bei einem musikalisch-literarisch-ideengeschichtlichen Phänomen wie der Romantik. Zwei Koryphäen, der Germanist Norbert Miller und der (schon 1989 gestorbene) Musikdenker Carl Dahlhaus, machen hier vor, was ein interdisziplinärer Dialog sein kann: Beide sind eben keine Fachidioten und nehmen, als wäre das selbstverständ­lich, das Fach des jeweils anderen in den Blick, dazu Malerei, bildende Kunst, Politik-, Geistes- und Mentalitätsgeschichte. Es macht einen schwindlig, manchmal geradezu euphorisch, wie weitsichtig hier gedacht wird. «Von E. T. A. Hoffmann zu Richard Wagner. 1800–1850» heißt der zweite Band – wobei nicht Wagner der Hauptheld des Buchs ist, sondern der Dichter, Musikschriftsteller und Komponist Hoffmann. Denn er liefert nicht nur einen Kerngedanken zum Thema, wenn er die Symphonie als «Oper der Instrumente» bezeichnet. 1809/10 erscheinen auch, kurz nacheinander, Hoffmanns bahnbrechende Besprechung von Beethovens Fünfter und sei­ne poetische Beschwörung des «Ritter Gluck». Auf einen Doppelschlag exponiert er so die romantische Deutung der «klassischen» Symphonie – und im suggestiven Rückgriff auf den Opernreformator Gluck eine Vision des Musikdramas, das Fülle und Tiefe aus den Fortschritten der absoluten Musik zieht. Wie diese neue Oper durch den «symphonischen Stil» inspiriert wird, wie die Symphonie durch das Dramatische poetisiert wird, wie das «Klassische» und das «Romantische» in der Musik als produktive Wechselbeziehung zu sehen sind, wie zugleich die Existenz einer Vor-Romantik plausibel begründet wird – das erzählen Miller und Dahlhaus anschaulich und ohne chro­nologische Sturheit, immer geleitet vom Erkenntnisinteresse an dem, was hinter der Musik wirkt und west. Eine Großtat. Man sollte beide Bände lesen – und sich über die vielen Setzfehler im zweiten Teil nicht zu sehr ärgern.

 

Carl Dahlhaus, Norbert Miller
Europäische Romantik in der Musik. Bd. 2: Von E. T. A. Hoffmann zu Richard Wagner. 1800–1850
Metzler, Stuttgart 2008. 1246 S., 79,95 €

 

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