Kurz und Bündig - Chantal Mouffe: Über das Politische

Chantal Mouffe ist weltweit ein gern gesehener Gast, wenn es auf Konferenzen und Symposien um linke Politik geht. Ihren guten Ruf erwarb die Bel­gierin, als sie in den 1990er Jahren, kurz nach dem Mauerfall, ihren an Antonio Gramsci geschulten Marxismus zu einem Projekt namens «radikale Demokratie» weiterentwickelte.

Chantal Mouffe ist weltweit ein gern gesehener Gast, wenn es auf Konferenzen und Symposien um linke Politik geht. Ihren guten Ruf erwarb die Bel­gierin, als sie in den 1990er Jahren, kurz nach dem Mauerfall, ihren an Antonio Gramsci geschulten Marxismus zu einem Projekt namens «radikale Demokratie» weiterentwickelte. Im Zentrum dieses Ansatzes stand der mündige Staats­bür­ger: Dessen Partizipationsmöglichkeiten und Rechte sollten innerhalb des demokratischen Systems «radikal» gestärkt werden. Dieses Konzept war keineswegs neu und brachte die selbsterklärte Linke in die Nähe der liberalen Demokratietheorie etwa von John Rawls oder Jürgen Habermas. Von diesen Denkern versucht sich Mouffe, die in London Politische Theorie lehrt, daher seit 15 Jahren abzusetzen – ohne Erfolg. In ihrem neuen Buch «Über das Politische» attackiert sie nun wiederum liberale Denker – diesmal Ulrich Beck und Anthony Giddens. Diesen wirft sie vor, dass sie Politik primär als einen Aushandlungsprozess zwischen Individuen über «Lebensführung» betrachteten; als einzige Opposition zum gegenwärtigen System ließen sie nur noch «Traditionalisten» oder «Fundamentalisten» zu. Dagegen bringt Mouffe einen Politik-Begriff in Stellung, den sie ausgerechnet von Carl Schmitt, dem Vordenker des Führerstaats, bezieht. Schmitt wird zum Säulenheiligen der radikalen Demokratie in dem Sinne, dass Politik für ihn wesentlich die Unterscheidung zwischen Freund und Feind bedeutet. Die Feinderklärung durch kollektive Akteure braucht man nach Mouffe auch in der Demokratie. Die Aufgabe demokratischer Institutionen sei es nämlich, den Konflikt in eine Form zu bringen, die es erlaube, ihn auf friedliche Weise auszutragen. Nun mag einiges an dieser Sicht bedenkenswert sein: Das Fehlen echter Op­position in real existierenden Demokratien löst bei vielen Menschen Unbehagen aus. Doch anstatt diesen Vorgang im wirklichen Geschehen zu untersuchen, suggeriert Mouffe, dass Beck und Giddens für diese Entwicklung verantwortlich seien. Deren Theorien basieren aber durchaus auf empirischen Beobachtungen. Becks Analysen in «Risiko­gesellschaft» (1986) waren motiviert durch die Praxis etwa der Ökologiebewegung – und die hatte eben eine höchst individualistische und auf «Le­bensführung» gerichtete Grun­­dierung. Anthony Giddens wiederum hat Tony Blair maßgeblich dabei geholfen, «New Labour» aus der Taufe zu heben, wobei tatsächlich eine Neudefinition sozialdemokratischer Politik im Hinblick auf den Einzelnen entstand. Das kann man kritisieren (was andere vor Mouffe bereits getan haben). Allerdings reicht es nicht, sich darüber zu beschweren, dass diese Ansätze den Kapitalis­mus akzeptiert haben; bei Chantal Mouffe selbst ist das nicht anders. Dagegen wüsste man über ihre konkreten Vorstellun­gen gern Genaueres, als sie in ihrem Buch verrät. Auch in der Politischen Theorie ist es nicht genug, wenn die einzige Forderung in der Beschwörung «des Politischen» besteht.

 

Chantal Mouffe
Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion
Aus dem Englischen von Niels Neumeier.
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2007. 170 S., 9 €

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