
Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
() Die Handschrift des weltbekannten Komponisten
Aus dem Leben eines Superstars
Franz Liszt, dessen 125. Todestag und 200. Geburtstag 2011 gefeiert werden, gilt als der erfolgreichste Weiberheld der Musikgeschichte. Wird er heute auch deshalb vor allem von Palmenhausorchestern und Kurortkapellen gespielt? Eine biografische und musikkritische Ehrenrettung.
Ich weiß, ich kompromittiere mich, wenn ich ein Wort für ihn einlege.“ So begann der große Pianist Alfred Brendel im Jahr 1961 einen Essay über Franz Liszt. Als halte er ein Plädoyer für eine musikalische Schlampe. Liszts Werk galt den meisten seiner Kollegen als ebenso unseriös wie sein Schöpfer. Brendel wusste warum. „Seine Musik spiegelt, anders als etwa jene Mozarts, in ungewöhnlicher Direktheit den Menschen.“ Also ließ sich mit dem Werk der Mann verurteilen, dem schon zu Lebzeiten „musikalische Hurerei“ vorgeworfen worden war, und mit dem Mann das Werk.
Großen missionarischen Erfolg hatte Brendel mit seinem Aufruf zur Ehrenrettung Liszts nicht zu verbuchen. 14 Jahre später entstellte Ken Russell den Komponisten in seinem Film „Lisztomania“ zu einem Popstar, belagert von hysterischen Groupies, besessen von sexueller Gier und Geltungssucht. Damit auch jeder verstand, was der Mittelpunkt seines Daseins war, präsentierte Russell in einer Szene einen zwei Meter großen Gummiphallus. Und 18 Jahre nach Brendels Appell erklärte der Biograf Berndt W. Wessling: „Liszt war egozentrisch, ein Erotomane, ein hypertropher Romantiker.“ Nun, zum 200. Geburtstag, stellen viele, die Liszt neu zu beleuchten versprechen, ihn wieder ins Scheinwerferlicht oder ins Schummerlicht der Boudoirs. Auf dem Porträt, mit dem das Burgenland für sein Festival „Lisztomania“ wirbt, trägt Liszt eine Sonnenbrille, sehr groß, sehr dunkel, sehr Hollywood. Darunter steht der Slogan „Born to be a superstar“. Der Amalthea-Verlag bringt eine Biografie von Anton Mayer mit dem Untertitel „Musikgenie und Frauenschwarm“ auf den Markt. Das Thema Liszt und die Frauen wird wieder einmal die Rettung für alle sein, denen es mit seiner Musik geht wie Johannes Brahms. Er schlief, während die h-Moll-Sonate gespielt wurde, ein.
Was aber führte dazu, dass Liszt zum Weiberheld stilisiert wurde und seine Musik zu dem, was Palmenhausorchester und Kurortkapellen aus ihr machten? Warum ist Oberflächlichkeit der beliebteste Vorwurf an seine Person und seine Musik? Warum wird behauptet, beiden fehle es an Tiefe?
Wer sich mit dem Komponisten beschäftigt, stimmt Brendel zu, dass der Mensch Liszt sich in seinem Schaffen deutlich spiegle. Es fragt sich nur, was für ein Mensch. Haben jene recht, die Liszt als gefallsüchtigen Erotomanen klassifizieren, dann müssten seine Kompositionen eitel und erotisch sein. Interpreten sind da anderer Meinung. „Liszts Musik ist dämonisch, experimentell, waghalsig. Erotisch ist für mich Chopin“, sagt die israelische Pianistin Yaara Tal. Ihre chinesische Kollegin Yuja Wang findet Erotik ebenfalls nicht bei Liszt, sondern bei anderen, „bei Skrjabin oder Rachmaninoff“. Liszts Musik ist für sie sinnlich, vor allem aber aus denselben Gründen unwiderstehlich, wie Liszt selbst es gewesen war: „Er hatte so viele verschiedene Seiten, auch eine profunde philosophische.“
Liszts Vielseitigkeit ist so unbestreitbar wie verwirrend. Er war Katholik und Saint-Simonist, Mystiker und Geck, Freimaurer und Dandy, selbstloser Förderer und Selbstdarsteller, Weltbürger und Weltentsager, Kabbalist und Abbé, Bohemien und Büßer, Karrierist und Wohltäter, Gesellschaftslöwe und Priester. Ein Facettenreichtum, der gerne als schillernd etikettiert wird und schon daher als suspekt gilt. Was schillert, ist nicht eindeutig. Es fasziniert, aber es irritiert und verunsichert auch.
Dabei hatte Liszts Laufbahn als die Art Erfolgsgeschichte begonnen, die sich todsicher verkauft: Ein Mensch aus kleinen Verhältnissen strebt zu großen Zielen. Der 1811 geborene Sohn eines Rentmeisters und eines ehemaligen Stubenmädchens aus dem burgenländischen Raiding wurde als Wunderkind durch Europa gezerrt, füllte bereits als Zwölfjähriger die Konzertsäle von Wien bis London, von Pressburg bis Paris, war schön, artig, liebenswürdig, ehrgeizig und berühmt. Noch keine 17, verliebte sich Liszt in seine Schülerin Caroline de Saint Cricq, Tochter des französischen Handelsministers. Die Mutter, vom jungen Pianisten bezaubert, bat ihren Mann, den Liebenden nichts in den Weg zu stellen. Der Vater aber befand den Standesunterschied unüberbrückbar und verbot den beiden nach dem Tod seiner Frau den Umgang.
Dass Liszt daraufhin bereits Priester werden wollte, wurde später ebenso als Teil der eigenen Legendenbildung belächelt wie der erfundene Weihekuss Ludwig van Beethovens, den dieser dem Zwölfjährigen auf die Stirn gedrückt haben soll. Liszts weitere Karriere profitierte davon, dass er nicht nur Solist, sondern auch solo war und jeder Verehrerin die Illusion beließ, er sei frei für sie. Es war vor allem eine Woge weiblicher Begeisterung, die Liszt nach ganz oben trug. Schon im Jahr 1824 beobachtete ein Rezensent: „Die zarten Hände der reizenden Zuhörerinnen waren unermüdlich.“ Da war Liszt 13 Jahre alt. Wenig später durchschaute er selbst: „Das ganze weibliche aristokratische Publikum ist überall für mich. Damit kommt man weit.“ Als er Anfang 20 war, fehlte ihm nur eins: dass ihm nichts fehlte. Nicht einmal der gute Charakter. Wenn er nachts zu spät von seinem Zwölfstundentag als Klavierlehrer aus den Pariser Palais zurückkehrte, schlief er im Treppenhaus, um die Mutter nicht zu wecken.
Zwei Jahre später begann er der Klatschsucht von Mit- und Nachwelt besseren Stoff zu liefern, und diese Sucht scheint bis heute unstillbar nach Dosiserhöhung zu verlangen. 1833 lernte Franz Liszt eine der begehrtesten Frauen in Paris kennen, Marie d’Agoult, Tochter des Grafen Maurice de Flavigny und der Frankfurter Bankierstochter Maria-Elisabeth Bethmann und Ehefrau des Grafen d’Agoult. Damit begann jene Gischt in seinem Leben zu schäumen, die seine Tiefe verdecken sollte, die Gischt des Don Juan. Nicht genug, dass er mit der Gräfin floh, dass sie drei Kinder von ihm bekam, darunter Cosima, spätere Wagner, zu denen er sich bekannte. Es wurde zum offenen Geheimnis, dass ihn bald schon die Eifersucht der Gräfin peinigte. Wo immer er auf Tournee war, wurden ihm Affären nachgesagt, mit Sängerinnen, Tänzerinnen und Schülerinnen. Nach der Trennung von Marie d’Agoult galt auch seine nächste langjährige Beziehung einer verheirateten Frau, der Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein. Dass er mit 53 die niederen Weihen erhalten und oft dem Papst alleine vorgespielt hatte, hielt ihn nicht davon ab, als beinahe 60-jähriger mit seiner Schülerin Olga Janina, Mitte zwanzig, anzubandeln. Was dann im November 1871 in Budapest geschah und den am liebsten kolportierten Skandal seines Liebeslebens darstellt, zeigt nüchtern betrachtet, wie es um den vermeintlichen Weiberhelden wirklich bestellt war: Die Janina drohte, Liszt und sich zu ermorden, weil er ihrer nach zwei Jahren überdrüssig geworden war – nach zwei Jahren, in denen sie ihn verfolgt hatte.
Liszt war oft nicht Jäger, sondern der Gejagte und war es bereits in jungen Jahren gewesen. „Wenn ich noch mal eine Frau entführen sollte, würde ich den Gatten mitnehmen“, stöhnte er erschöpft, nachdem er mit Marie d’Agoult durchgebrannt war. Sie war es, die um ihn mit allen Mitteln warb und den Skandal in Kauf nahm, den sie auslöste. Es war die Fürstin zu Sayn-Wittgenstein, die wie Marie d’Agoult aus eigenem Willen alles aufgab, um den öden Gatten durch Liszt zu ersetzen. Und schließlich verfolgten nicht nur die Frauen den Komponisten, sondern auch Unterstellungen. Mit Lola Montez, hieß es, habe er erhitzte Nächte in Dresden und Bonn verbracht, noch bevor sie die Mätresse des bayerischen Königs wurde. Belege dafür gibt es nicht, Zweifel daran durchaus, denn die Montez hätte sich eine Eroberung namens Liszt ans Dekolleté geheftet, was sie nicht tat.
Liszts Hoffnung, in der Zweisamkeit das zu finden, was ihm seine vergötterte Mutter geschenkt hatte, Geborgenheit, Wärme und Ruhe, lesen wir in den Beteuerungen seiner Treue an die Gefährtinnen Marie und Carolyne, mit denen er jeweils über zehn Jahre liiert war. Deren Verdächtigungen, die Tourneen ihres Liebsten führten nicht nur durch zahllose Konzertsäle, sondern auch durch zahllose Schlafzimmer, waren keineswegs unbegründet, doch es waren auch unterwegs die Frauen, die sich Liszt auf die Schwelle oder ins Bett legten. Die Wahl seiner langfristigen Gefährtinnen beweist, dass er nicht nur körperlichen, sondern geistigen Kitzel suchte, die Intelligenz und Belesenheit der Gräfin d’Agoult waren ebenso gefürchtet wie ihre scharfe Zunge, und die Fürstin zu Sayn-Wittgenstein, gebildet und wissenshungrig, bezeichnete sich selbst als unschön.
Wo aber liegen die Gründe für das Interesse der Öffentlichkeit, Liszt als Frauenhelden zu zeichnen? „Liszt – die Schule der Geläufigkeit – nach Frauen“: Die Worte, mit denen Friedrich Nietzsche den Zeitgenossen herabwürdigte, führen auf die richtige Spur. Denn nicht der Exzentriker, nicht der verinnerlichte Künstler, sondern der fingerfertige Virtuose galt in jener Zeit als Sexsymbol, erregte die Begierde der Frauen und den Neid der Männer. Wenn einer sein Instrument so perfekt beherrschte, war die Vermutung naheliegend, dass er sich auch in anderen Spielen als dem Klavierspiel als meisterlich erweise. Ein Virtuose bot Frauen, was sie von einem Mann erwarteten und bei ihrem Ehemann vermutlich vermissten. Er verachtete Sicherheiten, er wollte es wissen. Das Gewohnte langweilte ihn, er überraschte und verblüffte. Immer war er imstande, sich noch weiter zu steigern, indem er exzessiv differenzierte. Der Virtuose verwischte die Grenze zwischen Können und Wunder, er versprach jene Sensationen im doppelten Sinn, nach denen sich die Frauen verzehrten, die im Namen der rechnerischen Vernunft Grafen, Fabrikanten und Minister geheiratet hatten. Er versprach das Abenteuer, das sie vermissten, er reizte die Grenzen des Machbaren aus, erfand Schwierigkeiten, um sie zu bewältigen. Er spielte ein Werk für zwei Hände mit der linken Hand allein, oktavierte Akkorde, verdoppelte Läufe, wagte alles. Er überwand für andere die Angst.
Das Paris des Franz Liszt war die Metropole der Virtuosen, von den österreichischen Komponisten und Pianisten Sigismund Thalberg und Henri Hertz über den aus Böhmen stammenden Alexander Dreyschock bis zum Italiener Adolfo Fumagalli. Liszt bot mehr als sie, indem er weniger machte. Berufene Zeitzeugen erkannten das. In seinen „Erinnerungen an Liszt“ schrieb der russische Komponist Alexander Borodin 1877: „Obwohl ich so oft und so viel darüber gehört hatte, überraschte mich die große Schlichtheit, Nüchternheit und Strenge seines Vortrags“, und er betonte, „alles, womit nur auf äußeren Effekt abgezielt wird, fehlt vollständig.“ Musikalische Anmache war für Borodins Empfinden nicht wahrzunehmen. „Er treibt nicht und wird nicht hitzig. Dennoch hat er unerschöpfliche Energie, Leidenschaft, Begeisterung, Feuer.“ Der Ton sei „voll und stark“, sagte Borodin, der Nuancenreichtum wunderbar. Diese Qualitäten waren es, die Chopin, ein schmales Hemd von 45 Kilo, seufzen ließ, er neide Liszt die Art, wie er seine, Chopins Werke spiele.
Liszt war Virtuose in dem Sinn, in dem der russische Pianist Arcadi Volodos den Begriff heute verwendet: „Für mich sind Virtuosen Zauberer, Magier. Bei denen geht es ja auch nur zum Teil um die Technik. Viel wichtiger ist die Illusion, der Aufbau der fantastischen Welt, das Spiel mit Schein und Sein.“ Nicht nur in seinem Klavierspiel riskierte Liszt alles, sondern auch in seinen Kompositionen. Genau darin unterschied er sich von seinen Kollegen, die sich immer neue Zirkusnummern komponierten, von Herz, von Thalberg, von Dreyschock oder von Moscheles. Deren Werke sind heute zu Recht vergessen. Sie machen hörbar, was leeres Virtuosentum in der Musik meint: Es führt nur vor, was einer kann. Die Technik ist Selbstzweck.
Liszt gab sich preis in seiner Musik mit all seinen Schwächen. Er zeigte sich, er zog sich aus, obwohl er ahnen konnte, dass man deshalb über ihn herfallen würde. „Seine Musik macht den Komponisten und den Interpreten nackt“, sagt die deutsch-japanische Pianistin Alice Sara Ott. Man kann Liszt nicht näher sein als in seiner Musik.“ Die Technik war für ihn nur Mittel zum Zweck. „Er selbst behauptete immer“, erklärt die lettische Pianistin Diana Ketler, Professorin an der Londoner Royal Academy, „er verdanke seine unglaubliche Technik dem Geist. Sein Leben war eine Pilgerfahrt durch Liebe, Leiden und Transformation, so als könnte er sich erlösen durch die Kraft der Selbstkontrolle, durch die kreative und intellektuelle Anstrengung.“ Diana Ketler ist auch der Ansicht, Liszt sublimiere das Sexuelle in seinen Werken. „Liszts Musik verlagert sich vom Fleischlichen ins Universale, und seine Technik transzendiert vom körperlichen Ursprung weg.“ Es gehe nicht mehr um die physische Vereinigung zweier Personen, vielmehr um „die Idee von Sexualität als Schöpfungsakt“. Das Intime wird entgrenzt.
Schließlich empfand auch Liszt selbst das Virtuose als einengend. Ihm war, als bediene er damit Erwartungen, hindere sich selbst aber an der Entfaltung. Schon im Winter 1847 schrieb der 35-jährige aus dem polnischen Woronince an Karl Alexander, den Erbprinzen von Weimar: „Der Moment ist gekommen, da ich die Puppe meines Virtuosentums aufbrechen und meine Gedanken dem freien Flug überlassen kann.“
Das Gelingen dieser Befreiungsaktion, der er sich mit zunehmendem Alter mit wachsender Energie verschrieb, wollten ihm die wenigsten zugestehen, selbst treue Bewunderer nicht. Sie hörten, was sie hören wollten. Der Virtuose, heißt es, verliere mit der Jugend seine Potenz und mit der Potenz die Anziehungskraft. Er erlahmt. Deshalb deutete auch Liszts erster Schwiegersohn, ansonsten voll der Verehrung, das Spätwerk als schöpferische Verfallserscheinung. Wer sich allerdings darin vertieft, entdeckt, dass vielmehr das Gegenteil der Fall ist. Jene Waghalsigkeit und Experimentierfreude, die Yaara Tal hervorhebt und viele ihrer Kollegen schätzen, trat darin erst in voller Kraft zutage. Kühn betrat Liszt mit Ende 60, Anfang 70, das Niemandsland zwischen Tonalität und Atonalität. „Via Crucis“ aus den Jahren 1878/79, „Nuages Gris“ von 1881 und die „Mephisto-Polka“ aus dem Jahr 1883 machen verständlich, warum Arnold Schönberg und Béla Bartók in ihm einen Wegbereiter erkannten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Liszt alle seine früheren Existenzen abgelegt wie abgetragene Kleidungsstücke: Die Genügsamkeit des Wunderkindes, das mit Stachelbeerkuchen mehr zu beglücken war als mit Geschenken. Die Zurückgezogenheit des liebeskranken 17-jährigen, den der Pianist Wilhelm von Lenz 1828 „tief nachdenklich, in sich verloren, auf einem breiten Sofa“ lagernd vorfand, wo er, „unter drei herumstehenden Klavieren, an einer langen türkischen Pfeife“ rauchte. Die „Erscheinung“, die Marie d’Agoult überwältigt hatte, als ihr der „außergewöhnlichste Mensch“, den sie „jemals gesehen hatte“, begegnete, „hoch gewachsen, überschlank, ein bleiches Antlitz mit meergrünen Augen, in denen plötzlich Lichter aufblitzen konnten“. Der Bohemien, den George Sand in Genf so erlebte: „sehr enge Bluse, langes, unordentliches Haar, seilartig aufgerollter Schlips, und gewöhnlich trällert er mit froher Miene das Dies irae“. Der Triumphator, der in Berlin mit ungarischem Ehrensäbel auftrat und danach mit einer sechsspännigen Kutsche im Triumphzug durch die Stadt gefahren wurde. Diese Existenzen gehörten für Liszt unwiderruflich der Vergangenheit an.
Der Komponist war von den verlassenen Geliebten, von Marie d’Agoult wie von Olga Janina, in Schlüsselromanen vor der Weltöffentlichkeit übel denunziert worden. Man hatte ihn aus Weimar verjagt. Er hatte zwei seiner drei Kinder in jungen Jahren sterben sehen. Er hatte sich damit abfinden müssen, dass der Versuch, Carolynes Ehe annullieren zu lassen, um sie zu heiraten, am Vortag der Hochzeit scheiterte. Seine finanzielle Großzügigkeit war schamlos ausgenutzt worden. Er wurde dafür abgestraft, dass seine Tochter Cosima ihren Ehemann Hans von Bülow verlassen hatte und mit Richard Wagner in wilder Ehe zusammenlebte, und war von Wagner, der seiner Unterstützung alles verdankte, noch beim letzten Treffen in Venedig mit Eifersucht gegeißelt worden.
Liszts Publikum aber ließ nicht zu, dass er sich in einen ernsthaften Komponisten verwandelt hatte, weder zu Lebzeiten noch danach. Die Welt hatte sich ein Bild von ihm gemacht und gedachte nicht, sich davon zu verabschieden. Sie ignorierte, dass Liszt vor dem Bettler, dem er ein Almosen gab, den Hut zog, sie wollte nicht wissen, dass er als Greis auf dem Sofa schlief, um einem Gast das Bett zu überlassen, sie empörte sich wie Carolyne zu Sayn-Wittgenstein über sein offen zur Schau getragenes Desinteresse am Äußeren. „Sein Anzug ist schrecklich unelegant geworden“, lamentierte sie. Er sehe aus „wie ein alter Organist“. Seine Tochter verstand ihn. „Er war arm und wollte es sein“, sagte Cosima Wagner. Vielleicht, um sichtbar zu machen, dass er ein anderer war, und so die Menschen dahin zu bringen, sein Spätwerk mit offenen Ohren zu hören.
„Ich liebe die späten Stücke am meisten“, sagt Diana Ketler, „sie sind bar alles Überflüssigen, Meditationen über das Leben und den Tod und den Platz des Künstlers in der Welt.“ Dieser Platz lag nicht dort, wo die breite Öffentlichkeit Franz Liszt verortet. So betrachtet war und ist er doch, als was ihn die Kampagne seiner Heimat verkauft, ein Superstar. Dem Superstar wird fast immer das Recht zur Verwandlung verweigert. Indem wir ihn nötigen, das zu bleiben, was er einmal war, bannen wir die eigenen Verfallsängste und versuchen, die Zeit anzuhalten. Der Weiberheld, der Virtuose mit Sexappeal, er durfte das Rollenfach nicht wechseln.
Doch Franz Liszt spielte nicht mit in diesem Stück. Das beste Rezept gegen ungerechte Kritik sei, sagte er, sich „ganz ruhig zu verhalten und im Übrigen seinen Weg fortzusetzen“. Bis zum Tod blieb er seinem Vorsatz treu: „Glücklich, wer mit den Verhältnissen zu brechen versteht, ehe sie ihn gebrochen haben.“
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.