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Aufklärung an niedersächsischen Schulen - Sex ist die neue Algebra

Kisslers Konter: Der Hannoveraner Landtag hat beschlossen, dass künftig in allen Jahrgängen und allen Fächern „geschlechtliche Identitäten“ behandelt werden müssen. Doch was als Fortschritt erscheint, ist ein Rückfall in die Zensur und die staatliche Bevormundung – auf dem Rücken der Kinder

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es liegt so vieles im Argen an unseren deutschen staatlichen Schulen. Die Klassen, hört man, sind zu groß, die Leistungsunterschiede der Schüler sind es nicht minder. Adenauer und Honecker auseinander zu halten, gelingt nicht jedem Gymnasiasten, warum und ob da eine Mauer in Berlin stand, entzieht sich mancher Kenntnis, und generell müsse man froh sein, wenn die Hochschulreife ausreicht, eine Bewerbung als Mechatroniker oder Hair-Stylist eigenhändig aufzusetzen. Ganz zu schweigen von den Herausforderungen an Gesamt- und Hauptschulen, wo Erziehung oftmals Betreuung und Umgangsformentraining bedeutet.

Sex für alle Klassenstufen
 

Die niedersächsische Landesregierung hat vor diesem Hintergrund messerscharf geschlossen: Wir müssen über Sex reden. Und zwar viel mehr und viel öfter als bisher. Das Geschlechterwissen soll die neue Schlüsselqualifikation an unseren Schulen werden. Wer kann dagegen etwas sagen? Tatsächlich boomt die Körperindustrie in nie gekanntem Ausmaß, da mögen sich schon die Kleinsten beizeiten in den richtigen Termini rüsten. Wer zu welchen Zwecken unter welchen Bedingungen mit wem in die Kiste steigt: Darauf lässt sich ein Karriereplan gründen. Es lockt sowohl das darstellende wie auch das betreuende Gewerbe, die Sozial- ebenso wie die Sexindustrie. Und ist es nicht herrlich emanzipatorisch, wenn auch an niedersächsischen Grundschulen nun endlich „Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität (…) verbindlich thematisiert werden“ müssen?

So steht es im gestern von den Regierungsparteien SPD und Grüne und der Oppositionspartei FDP im Hannoveraner Landtag durchgewunkenen Entschließungsantrag 17/2348. In „allen Fächern“ und „allen Klassenstufen“ muss nun die „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten und gleichgeschlechtlicher Lebensweisen“ angemessen behandelt und abgebildet werden. Der frisch eingeschulte Fünfjährige kann sich freuen. Demnächst wird er das kleine Einmaleins nicht dröge an der Frage abgehandelt sehen, wie viele Brötchen Karl und Klara gemeinsam haben, wenn der Eine zwei und die Andere drei mitbringt. Nein. Stattdessen wird es die adoptierte Kinderschar von Kurt und Kuno zu ermitteln gelten – oder gleich die Zahl der möglichen Sexualkontakte zwischen Lara, Lars und Lukas.

Ein schönes Subventionsprogramm für die Schulbuchindustrie ist den Roten und Grünen und Gelben da gelungen. Auch die Begriffsschöpfer und Sprachwächter jubilieren. Wer künftig um „Genehmigung von Schulbüchern“ ersucht, der muss nämlich nachweisen können, dass die „Vielfalt sexueller Identitäten“ in ihnen berücksichtigt wird. Eine veritable Entsorgungsaktion, ein Großreinemachen, ein geistiges Autodafé im Namen des Sexus steht an. Wo nämlich wird es heute schon ein Chemiebuch für die Obertertia, eine Physikkunde für die Unterprima geben, in denen das Haber-Bosch-Verfahren und die Dynamische Unwucht ordnungsgemäß aufgesext worden sind? Hier Beispiele diesseits der Schlüpfrigkeitsgrenze zu finden, dürfte die wettbewerbsentscheidende Aufgabe der Autoren und Autorinnen in den Verlagshäusern werden. Dass ein bisschen bi nie schadet, ist nun curriculumspflichtig.

Wer fragt die Kinder?
 

Schließlich werden auch die neuen Hierarchen der Sozialbürokratie ein Dankeschön nach Hannover senden. Unterstützt werden muss jetzt prinzipiell die „Netzwerkarbeit“ der Initiative SchLAu, „SchwulLesbischeBiTransAufklärung“. Deren Experten werden künftig in den Schulen nach dem Rechten sehen. Und wehe denen, die im Musikunterricht von Mozart reden, von Britten aber schweigen und um „Billy Budd“ einen Bogen machen. Wehe auch euch, ihr verstockten Deutschlehrer, die ihr bei Goethe verharrt und zu Platen nicht fortschreitet.

So wäre am Ende allen geholfen. Neue Texte, neue Bücher, neue Lehrer, neue Kommissionen und neue Kurse, neue Gremien und neue Zensoren werden Niedersachsen in eine blühende pädagogische Provinz verwandeln. Auch die „Karlsbader Beschlüsse“ ließen dereinst den Staatsapparat prächtig gedeihen. Weiter ist dem Standort enorm geholfen, die niedersächsische Verlags- und Papierindustrie zeigt von heute an dem Rest der Republik, was eine Harke ist. Offen nur bleibt zweierlei: Was sagen eigentlich die Eltern muslimischer Kinder zur staatlichen Sexualoffensive? Fühlen sie sich unter dem Banner des Geschlechts voll integriert? Und leider auch hat niemand die Sechs- und Sieben- und Elf- und Zwölfjährigen gefragt, wie gerne sie sich vor ihrer eigenen Geschlechtsreife im Kreis der Gleichaltrigen über die Vorlieben und Probleme „transidentischer oder intersexueller Menschen“ belehren lassen. Aber was soll’s: Wenn der Fortschritt marschiert, ist der Kollateralschaden Programm. Sagen uns SPD und Grüne und FDP im schönen Niedersachsen.

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