Das Journal - Auf der Suche nach der Schönen

Feridun Zaimoglu taucht in die literarische Romantik ein und trifft die deutsche Gegenwart mitten ins Herz

«Ich liebe und will geliebt werden. Mehr nicht.» Mit diesem nur scheinbar nüchternen, etwas trotzigen, insgeheim verzweifelten Bekenntnis bringt sich ein Mann mit Bauchansatz in eine ungünstige Ausgangslage. Wer liebt, macht sich lächerlich und ist verletzlich – ein Sklave seines Herzens, ein Opfer der Gefühle: «Ich saß auf der Parkbank, aß lustlos das letzte Brötchen, strich mir die Krümel vom Mund, und mir fiel ein abgeschmackter kitschiger, dramatischer und einfältiger Satz ein. Sie brach mir das Herz. Ich konnte nichts dagegen machen.»

Mit seinem Roman «Liebesbrand» galoppiert Feridun Zaimoglu allen Ernstes mitten hinein in die literarische Romantik. Mitten hinein geht es auch in die deutsche Gesellschaft der Gegenwart: David, ein türkischstämmiger Börsenmakler aus Kiel, verliebt sich in eine schöne Apothekersgattin aus Nienburg an der Weser. Sie ist ihm auf dem Seitenstreifen einer türkischen Autobahn erschienen. Er hatte einen schlimmen Bus-Unfall nur knapp überlebt und lag verletzt am Straßenrand; sie gab ihm Wasser und wischte ihm das Blut aus dem Gesicht – und verschwand gleich wieder.


Wie ein Tourist im eigenen Land

Auf diesen spektakulären Auftakt folgt zunächst einmal gar nichts. David kehrt nach Kiel zurück und findet dort sein altes, schal gewordenes Leben vor: In der Küche wellt sich der Teppich, und seine Freundin hat ihn verlassen. Die Tage plätschern weiter wie gewohnt, nur er, der Überlebende, passt nicht mehr hinein. Aus dem banalen Alltag wächst eine Sehnsucht, die bald ganz von David Besitz ergreift: «… ich sehnte mich nach etwas, das mich grö­ßer und glücklicher machen sollte – lass das sein, dachte ich, davon wird ein Mann nur krank.» Wie ein brennender Durst entwickelt sich der «Lie­besbrand», und David begibt sich auf die Suche nach jener geheimnisvollen Frau mit der Wasserflasche.

Diese Suche bildet das Gerüst des Romans. Wie ein Liebesritter reist der Held seiner Angebeteten hinterher, von Kiel über Nienburg nach Prag und Wien, nicht ohne das eine oder andere amouröse Abenteuer zu erleben. Zaimoglu spielt gekonnt mit der literarischen Künstlichkeit dieses Plots: Davids Suchbewegungen bieten ihm Vorwand und Anlass für viele kleine Geschichten, die kaum etwas mit der eigentlichen Story zu tun haben; er macht Umwege, führt seltsame Nebenfiguren ein und lässt David ausgiebig durch Gedanken und Straßen flanieren.

Dabei kreuzt sich die Perspektive des aus dem Alltag gefallenen Liebenden in Zaimoglu-typischer Weise mit jenem schrägen Blick des Außenseiters, den der Autor bereits früher kultiviert hat. Wie ein Tourist im eige­nen Land schaut er auf Sitten und Gebräu­che, auf Sprachregelungen, Beziehungen, Lebensläufe. Ein Beschreibungs- und Benen­nungs-Künstler, der seinesgleichen sucht!


Ist es Liebe – oder Sehnsucht?

Da die Handlung nicht nach vorn treibt, muss die Sprache es tun: Lange, fast atemlos aneinandergereihte Sätze geben das Tempo vor, scharfsinnige Vergleiche halten den Geist auf Trab. Trotzdem zieht sich das Ganze mitunter etwas in die Länge – was auch daran liegt, dass sich die Umworbene äußerst spröde zeigt. Zwar lässt sie sich nach einem märchenhaft zufälligen Wiedersehen auf eine stürmische Nacht ein; doch nur, um sofort wieder zu verschwinden. Jedes erneu­te Wiederfinden verläuft nach diesem Schema: einen Schritt vor, zwei zurück, zulassen, ablehnen, zögern, abweisen. Das ist auf die Dauer recht quälend, nicht nur für den Verliebten.

Trotzdem ist es anrührend zu sehen, wie David von seiner Sehnsucht weichgekocht wird: «Wir schön sie war und wie gerne ich für sie Dummheiten beginge, durfte ich ihr nicht verraten, und daß sie nur die Enden ihrer Augenbrauen zupfte, damit sie sich im Bogen wölbten, und daß sie roch wie ein Aberglaube, dessen Anhänger Pfeffer und Salz und Ingwer verbrannten, ich durfte es ihr nicht erzählen …» Ja, hier geht es tatsäch­lich um die große, romantische Frage: Gibt es die Liebe – oder nur die Sehnsucht danach, die sich ihren Gegenstand erfindet, immer fliehend, immer vielversprechend wie ein Horizont?

Die Nienburger Herzensdame scheint sich für die Desillusion, für die kalte Moder­ne entschieden zu haben. Sie wehrt sich erfolgreich gegen die verliebten Projektionen ihres Verehrers, der für sie ein Fremder bleibt. Doch der Schluss des Romans hält gleich mehrere unverhoffte Wendungen bereit. Zwar bringen sie keine Erlösung, aber doch die ur-romantische Gewissheit: Was zählt, ist allein die Wahrheit des Gefühls.

Mit dieser Wiederentdeckung der Innigkeit hat Feridun Zaimoglus Roman einen ganz überraschenden Anschluss an die Romantik geschafft. Und er ist tatsächlich in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen: Er hat sie ins Herz getroffen.

 

Feridun Zaimoglu
Liebesbrand
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 352 S., 19,95 €

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