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(picture alliance) „I so blessed that Angelina now is friend of me, that she come into my life, she is like mother to me“

Waffen, Ufos, Titten - Angelina Jolie und die wirklich wichtigen Dinge

Constantin Magnis berichtet in seiner Berlinale-Kolumne von der unheimlichen Pressekonferenz des größten Superstars der Welt und von einem basisdemokratischen Filmprojekt der Generation Web 2.0, bei dem poppige Nazis gegen extremistische Republikaner kämpfen

Es stimmt schon, die Berlinale bringt Menschen zusammen, hunderte von Journalisten aus aller Welt, vereint in der Liebe zum Film. Aber anders als man denkt. Am Ende kämpft jeder für sich allein. Denn im Gehege um den Potsdamer Platz gibt es zu wenig Futter für zu viele Tiere. Zu wenig Sitzplätze in den Kinos, zu wenig Gratis-Zeitungen und Sofaecken in der so genannten „Press Lounge“, zu wenig Burger im permanent überforderten McDonald, zu wenig Steh-Quadratmeter auf den Pressekonferenzen. Das schweißt nicht zusammen, es fördert die niederen Triebe im Pressevertreter. Sie lernen zu mogeln, zu kneifen, zu schubsen und zu keifen was das Zeug hält.

Die herzzerreißendsten Szenen erlebt man vor den – irgendwann zwischen 30 und 10 Minuten vor Filmbeginn überfüllten – Kinosälen. Japanische Filmkritiker, die flehend ihre Hände heben, brasilianische Feuilletonfräuleins, die verbittert ihre Notizblöcke auf den Boden schmettern – das Security-Personal aber steht mit toten Augen vor der Tür und beharrt auf den Sicherheitsvorschriften. Der Trick besteht darin, hinter einer Säule zu warten, bis die wütende Meute sich verzogen und der Gesichtsmuskel der Sicherheitsmenschen sich entspannt hat, um dann alleine und freundlich hervorzutreten – man kommt immer rein.

Kein Trick auf der Welt dagegen half vor den Türen der Pressekonferenz zu „In the Land of Blood and Honey“, dem Drama über eine verkorkste Liebe während des Kriegs in Ex-Jugoslawien. Es war offenbar so, dass auch die Journalisten, die sich ansonsten nicht so sehr für den Film interessierten, zumindest einmal in ihrem Leben einen Raum mit der Regisseurin, Angelina Jolie, teilen wollten. Das waren in Summe in etwa dann ausnahmslos alle akkreditierten Pressevertreter in der Hauptstadt. Wer das Pech hatte, später als eine Stunde vor Konferenzbeginn aufzutauchen, wurde Teil einer ineinander festklemmenden, schiebenden, schwitzenden, greinenden Masse, die vor der Absperrung zu einem Mob auflief.

Die Augen des Sicherheitspersonals dahinter waren diesmal nicht tot, sie waren voller Angst. Zu Recht, einer von ihnen wurde von einer älteren Pressekollegin mit der Handtasche geschlagen. Was man dann von draußen auf den Live-Bildschirmen verfolgen konnte, war nicht minder erschreckend. Das Geräusch der Kameras – für das serbische Schauspielerensemble noch ein hektisches klack-klack-klack – wandelte sich in ein mechanisches, hundertfaches Flirren als Jolie erschien. Es sah aus und hörte sich an, als stünde sie vor einem alptraumhaften, überdimensionierten elektronischen Mückenschocker. Dass Angelina Jolie nicht schon längst einen epileptischen Anfall bekommen hat, ist eigentlich ein Wunder.

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Auf dem Podium blieb es unheimlich: Die den Superstar flankierenden Serben ergingen sich in devoten Dankesreden. „I so blessed that Angelina now is friend of me, that she come into my life, she is like mother to me“, rief zum Beispiel die serbische Nachwuchshoffnung Alma Terzic ins Mikrophon. Außerdem glitt die unheilige Allianz aus humanitärer Betroffenheitsrhetorik und Filmvermarktung bald insgesamt ins Betuliche ab, insbesondere als Angelina Jolie von den „things that really matter“ sprach – mit vorwurfsvoller Betonung auf dem letzten Wort und einem Fragezeichen dahinter.

Erst die letzte Wortmeldung aus der sitzenden Presse entschärfte die bleierne Veranstaltung: Überraschend stand dort plötzlich die Komödiantin Anke Engelke – Gott segne sie – auf, stellte sich als „Anke from the German Television“ vor, und wollte wissen, ob die Regisseurin jetzt, da sie so viel über die „things that really matter“ gesprochen habe, nicht ein Problem habe, ganz normal weiter zu machen, mit den „things that don’t matter so much“? Ihr nächstes Projekt, erwiderte Jolie bierernst, sei ein Disney-Film. Tatsächlich will man sie nach dieser Pressekonferenz im nächsten Film unbedingt gerne mit einer Maschinenpistole auf ethnische Minderheiten oder generell Frauen oder Kinder schießen sehen.

Zum geistigen Ausgleich geeignet ist „Iron Sky“, nicht nur der umstrittenste Berlinale-Film dieses Jahres, sondern wohl auch der mit der größten Anhängerschaft im Internet: Zehn Prozent des 7,5 Millionen Dollar Budgets finanzierten dem finnischen Regisseur Timo Vuorensola die Fans im Netz. Das Thema? „Motherfucking Nazis, in Motherfucking Space“ – um den Trailer zu zitieren. Grobe Handlung: Ein schwarzer US-Astronaut stößt auf der dunklen Seite des Mondes auf Nazis, die sich dort seit 1945 versteckt halten und in einer sinistren Festung die Welteroberung planen. Er wird gefangen genommen, „albinoisiert“ und schließlich mit einer Handvoll Nazis in einem Ufo auf die Erde geflogen, um dort I-Phones zu sammeln, die sie für die Steuerung ihres Kampfraumschiffes „Götterdämmerung“ brauchen.

Nach der Landung in einer Marihuanaplantage in Upstate New-York beginnt der Nazi-Kommandant eine Affäre mit der PR-Strategin der Sarah-Palinesken US-Präsidentin... Ja, der Film ist so bescheuert wie er klingt. Ein rechter Schmarrn. Interessant daran ist zweierlei: Zum einen das besessene Spiel mit totalitärer Ästhetik, das Künstler wie David Bowie oder Marylin Manson seit jeher betreiben, nun aber von Vuorensola vollends auf die Spitze getrieben wurde. Zum anderen haben Fans nicht nur Dollars, sondern auch Ideen beigesteuert, nach dem Wiki-Prinzip. „Iron Sky“ ist also das basisdemokratische Produkt der Generation Web 2.0. Was ist dabei herausgekommen? Poppige Nazis gegen extremistische Republikaner, kombiniert mit allerplumpester Politsatire, schweren Waffen, Ufos und Titten. Was auch sonst?

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Ein feines und nachdenkliches Werk ist dagegen der Dokumentarfilm "Bagrut Lochamim – Soldier / Citizen“ der jüdischen Regisseurin Silvina Landsmann. Junge israelische Soldaten bekommen in den letzten Wochen ihrer Wehrdienstzeit Staatskundeunterricht. Landsmann und ihre Kamera werden Zeuge der Debatten zwischen dem liberalen Lehrer im Schlabbershirt und seinen bewaffneten Schülern, junge Frauen und Männer, manche mit Kippa, alle im olivgrünen Armeehemd. Man beobachtet, wie sie das Selbstverständnis des jüdischen Staates reflektieren, ihre eigene Identität als Bürger Israels, als Juden und Soldaten, und ist dabei immer wieder auch verblüfft vom Ausmaß der Ressentiments gegenüber den Arabern, die praktisch ausnahmslos als Terroristen wahrgenommen werden.

Trotzdem zeigen die Rekruten auch Zweifel an der eigenen Rolle, ausgelöst durch Gegendemonstrationen im eigenen Land und verstörenden Erfahrungen im Dienst an den Checkpoints. Und dann entladen sich Skrupel doch wieder im Zorn auf die Araber und „Leftists“ – hier ein Schimpfwort für jene, die die Wut der Soldaten nicht teilen. Das alles nimmt Landmann mit spürbarer Verwunderung, aber nie ohne Sympathie für die jungen, oft schlichten Männer und Frauen auf. Was man sich bei diesem bestechend ehrlichen Film lediglich fragt, ist ob es tatsächlich an einem gründlich durchdachten Konzept liegt, dass weder Kamera noch Rekruten sich je länger aus dem Schulungsraum herausbewegen oder eher daran, dass es der Regie schlichtweg zu mühsam war, den Focus etwas zu weiten. 68 Minuten in einem Raum mit israelischen Rekruten – das kann man zum Beispiel auch genauso interessant in jedem beliebigen Backpacker Bus in Indien oder Südamerika haben. Nur dass man da wenigstens aus dem Fenster rauchen kann.

Pausenlos aus dem Fenster raucht jedenfalls die titelgebende Figur im phänomenalen Wettbewerbsfilm „Barbara“ vom Berlinale-Veteran Christian Petzold. Er erzählt die Geschichte einer 1980 in die DDR-Provinz versetzten Berliner Ärztin (Nina Hoss), die einen Ausreiseantrag gestellt hat und offenbar zur Strafe nicht nur bespitzelt, sondern auch drangsaliert wird, bis hin zum Popocheck mit dem Gummihandschuh. Aus dem Westen lockt ihr Freund mit den zwiespältigen Worten „Bald brauchst nicht mehr arbeiten, ich verdiene genug für uns beide“ – und dem Angebot, sie in wenigen Wochen per Boot außer Landes zu schmuggeln.

In der Provinz des Arbeiter- und Bauernstaates dagegen wird sie gebraucht und ebenfalls gewollt, vom Chefarzt ihrer Kinderklinik Andre (Ronald Zehrfeld). Was einen erst ärgert, dieses glatte, polierte, diese scheinbare Eigenschaftslosigkeit des Films, die es so schwer macht, ihn mit simplen Attributen zu versehen, ihn zu beschreiben, das, was man bei „Barbara“ erst beginnt für ein grundsätzliches Problem des deutschen Kinos zu halten, ist eigentlich seine große Stärke. Denn irgendwann stellen wir fest, wie sehr die reservierte und unaufgeregte Erzählweise nicht nur dieser merkwürdigen und immer merkwürdiger werdenden Geschichte entspricht, sondern auch dem Alltag in der hinterletzten Ecke der DDR.

Und dann will man gleichzeitig flüchten und trottet mit, ist gefesselt, im guten wie im schlechten Sinne und glücklich darüber, dass die Deutschen wieder wirklich schöne Kinofilme können.

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