- Wie Mollath vom Horror Zwangseinweisung profitiert
Gustl Mollath kommt frei: Sein Strafverfahren wird wieder aufgenommen, hat das Oberlandesgericht Nürnberg beschlossen. Dabei ist der Fall des Mannes, der seit sieben Jahren in der Psychiatrie sitzt, komplizierter, als man uns glauben machen will. Aus dem Archiv
Das Schlimme an Jean-Paul Sartres Hölle sind nicht nur die anderen. Teuflisch in „Huis Clos“ ist nicht nur die lesbische Inès, die ihrem Ehemann die Frau ausspannte, die kindermordende Estelle oder der feig-aggressive Garcin. Schlimmer als die Gegenwart der jeweils anderen beiden in diesem Raum hinter verschlossenen Türen, in die der Existentialist seine Figuren packt, ist die Ausweglosigkeit. Der Horror, nie wieder gehen zu können. Denn fast alles ist auszuhalten – wenn es denn endlich ist.
Festgehalten zu werden an einem Ort, von dem es kein Entrinnen gibt, bedient eine Urangst des Menschen. Und deshalb ist auch selten ein Fall in den Medien so einhellig kommentiert worden wie der von Gustl Mollath. Denn was dem Maschinenbauer widerfährt, ist der Stoff, aus dem Albträume sind. Mollath träumt seinen nun schon seit sieben Jahren. [[nid:54634]]
Es begann damit, dass er sich mit seiner damaligen Ehefrau anlegte. Das mag grundsätzlich nicht besonders klug sein, aber darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum, ob der Mann, der Schwarzgeldgeschäfte und Steuerbetrug bei ihrer Arbeit für die Hypovereinsbank witterte, verrückt ist. Denn anstatt die Gangster zur Rechenschaft zu ziehen, steckte das Gericht ihn in die Klapse, so geht die skandalträchtige Geschichte. Mollath ist in ihr der unbequeme Zeuge, der mundtot gemacht wurde. Seine Frau warf ihm dann noch vor, sie in einem Streit gewürgt, gebissen, geschlagen und die Reifen ihrer Anwälte aufgeschlitzt zu haben.
In einem folgenden Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung wurde Gustl Mollath im Jahr 2006 wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen, aufgrund eines attestierten „paranoiden Gedankensystems“ und als „Gefahr für die Allgemeinheit“ aber in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Seitdem sitzt er dort.
Zwischenzeitlich ward seine Frau gefeuert, ein Revisionsbericht der Hypovereinsbank stützte die Behauptungen Mollaths zur Schwarzgeldverschiebung. Er selbst bestritt immer wieder jegliche Wahnvorstellungen oder Aggressionen. An der Rechtmäßigkeit des Gerichtsverfahren sind Zweifel aufgekommen. In den vergangenen Jahren formierte sich eine breite Unterstützerfront für Mollath.
Heute fordern Zeitungen on- wie offline in ganz Deutschland Mollaths Freilassung und den Rücktritt der zuständigen Justizministerin Beate Merk gleich mit. Sie machen ein schludrig arbeitendes Justizsystem und den umstrittenen Paragraphen §63 StGB verantwortlich, der Zwangseinweisungen überhaupt erst möglich macht. Der Prozess wird in der Öffentlichkeit als rechtswidrig eingestuft, Mollath als zu Unrecht eingekerkert.
Allerdings nicht von dem betreffenden Gericht. Das entschied in der vergangenen Woche, dass der 57jährige eingesperrt bleibt. Vorerst. Die Empörung ist riesig. Plötzlich weiß das ganze Land, dass dieser schnauzbärtige Mann unschuldig ist. Nach seinem Auftritt im politischen Untersuchungsausschuss, der sicher nicht rein zufällig in die heiße Phase des bayrischen Landtagswahlkampfes fällt, kommentiert die SPD-Vertreterin Inge Aures denn auch, er habe einen so „aufgeräumten“ Eindruck gemacht. Sie sei „fassungslos, dass ein solch ausgesprochen freundlicher Mensch einfach weggesperrt wird, ohne dass sein Anliegen ernsthaft geprüft wird“.
Bei allem Respekt: Auch Menschen mit paranoiden Wahnvorstellungen können einen aufgeräumten Eindruck machen. Um psychische Krankheiten zu diagnostizieren, reicht mit Sicherheit kein Besuch eines von langer Hand geplanten Vortrages. Abgesehen davon, dass man sich auf der Internetseite von Gustl Mollath einen Eindruck davon verschaffen kann, wie organisiert dieser Mann seine eigene Rehabilitierung vorantreibt.[[nid:54634]]
Und so ist der Fall gar nicht so eindeutig, wie es vielleicht aussieht. Vor einigen Tagen hat Petra M., Ex-Frau von Mollath, zum ersten Mal ihre Version mit einem Redakteur der Nürnberger Zeitung geteilt: Sie zeichnet kein sympathisches Bild des Mannes, mit dem sie einen Teil ihres Lebens verbrachte. Er sei eifersüchtig gewesen, habe immer höhere Schulden gemacht, war aggressiv, gegen sie, vor allem aber auch gegen sich selbst. In Gerichtsverhandlungen habe Mollath außerdem seinen Anwalt freiwillig erklären lassen, dass er „an einer schweren psychischen Krankheit“ leide. Da hoffte er vielleicht noch, eine solche Diagnose könne ihm nutzen.
Das Stigma psychische Erkrankung lässt Leserherzen höher schnellen. Die 3Sat-Dokumentation „Zwangseinweisung - Deutschland im Homogenisierungswahn“ berichtet von 200.000 Menschen, die jährlich in Psychiatrien weggesperrt würden: „Das sind doppelt so viele wie noch vor fünfzehn Jahren“. Massenphänomen Zwangseinweisung. Es könnte jeden treffen. Ähnlich panisch wurde vor einigen Wochen auch die Herausgabe des neuen Diagnosekatalogs DSM-5 über psychische Krankheiten begleitet. Was ist noch normal, wenn schon sechsjährige Kinder, die zu unerklärlichen Wutausbrüchen neigen, als psychisch gestört eingestuft werden können?
Die Ängste, die solche Nachrichten bei den Menschen auslösen, sind verständlich. Da soll man Vertrauen zu Ärzten zu haben, zu einer Branche, deren Vertretung durch die Pharmalobby jeglichen Kredit verspielt hat. Mit den Banken ist es nicht anders und auch die bayrische Politik war in den vergangenen Wochen nicht gerade ein Musterbeispiel an Ehrlichkeit und Loyalität. Und doch geht es nicht ohne Loslassen, ohne Vertrauen in Menschen, in Ärzte, Richter, in den Staat.
Hier liegt der Unterschied zu Sartres Drama. Dort entscheidet das Schicksal darüber, wer in die Hölle kommt. Unfehlbar. Gottgleich. In Mollaths Fall entscheidet die Justiz. Fehlbar, bestimmt.
L’enfer, c’est les autres.
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