Marek Dutschke
() Marek Dutschke
Zu Besuch bei Marek Dutschke

Von der Apo zur Opposition: Rudis Sohn scheitert an der grünen Basisdemokratie

Wir sind in Berlin, da wo die Gassen am engsten, die Auslagen in den Schaufenstern multikulti sind und der abblätternde Putz an den Fassaden auch noch irgendwie avantgardistisch wirkt. Klar, denke ich, dass Rudi-Marek Dutschke, aus Amerika kommend, auf Spurensuche nach seinem Vater, genau hier gelandet ist. Natürlich in einer Wohngemeinschaft. An diesem Morgen öffnet der fröhliche John aus Amerika die Tür. Als wir im Flur dann aber an Tennisschläger und Pelzmantel vorbeikommen und der Blick durch die offen stehende Toilettentür auf das Handelsblatt-Karrieremagazin und die Illustrierte Bunte fällt, habe ich Rudi Dutschke schon fast vergessen. „Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen“, wird Marek später sagen. Er sitzt am Küchentisch zwischen Biomilch und dem angelaufenen Tafelsilber aus Großmutters Zeit. Marek sieht aus wie Rudi Dutschke, spricht wie Rudi Dutschke, denkt über vieles so wie Rudi Dutschke, verehrt Rudi Dutschke, erhält zunächst Aufmerksamkeit nur wegen Rudi Dutschke – und das macht es nicht leicht für ihn. „Mein Nachname tut nichts zur Sache“, ist das Credo des jungen Mannes. Freilich ist es auch hier die Politik, die schiebt und drängelt, schmerzt und motiviert. „Mich treibt der Wissensdurst“, sagt der 25 Jahre alte Marek, der ein Germanistik- und Politikstudium in den Vereinigten Staaten abgeschlossen und nach Bundestag und Auswärtigem Amt gerade sein drittes Praktikum in Brüssel absolviert hat. Triebfeder beim Vater dagegen war der Kampf gewesen. „Sein Kampf hat sich gelohnt, wir leben im demokratischsten Deutschland, das es je gab“, stellt der Sohn fest. Von ruhigerem Temperament sei er selbst und „nicht so negativ determiniert“. Aber: „Rudi war eine Lichtgestalt.“ Was ihn an Deutschland im Jahr 2005 am meisten stört? „Da muss ich erst mal drüber nachdenken“, hat er an jenem Morgen im Mai zwischen Tee und These gesagt. Seitdem ist ihm dazu so viel eingefallen, dass er sich beworben hat, für die Grünen in den Bundestag zu ziehen: Für mehr Transparenz in der Politik und gegen die arrogante Selbstgefälligkeit eines Joschka Fischer will er streiten, auf soziale Gerechtigkeit durch Chancengleichheit pochen, das „grüne Gewissen“ aus der gar zu festen roten Umarmung retten und den Selbstreinigungsprozess lieber in der Opposition suchen. Von der Apo zur Opposition, das ist die grüne Klammer von Rudi zu Marek Dutschke. Immerhin hatte Rudi Dutschke mit den Keim gelegt, dass jenseits der etablierten Altparteien etwas wachsen konnte. Da sind Kontakte entstanden, an die sein Sohn heute anknüpft. Erst neulich trafen sich einige Grüne und Altlinke im Kreuzberger Hinterhofkino, um in memoriam den Geburtstag ihres Idols Rudi zu feiern. Gewalt als Mittel der Politik wurde da einmal mehr ernsthaft erwogen. „Meine Generation ist denen einfach zu lahmarschig“, hält Marek fest. Eindeutig zu saturiert erscheint Marek aber auch die Generation derer, die bei den Grünen derzeit das Sagen haben. Die Aufhebung der Verknüpfung von Amt und Mandat müsse wieder angestrebt werden, die „Ostalgie-Debatte“ sieht er als sehr problematisch und die K-Gruppen – „die wollte mein Vater als DDR-Geschädigter unbedingt draußen haben“ – hätten durch Trittin und Bütikofer Bündnis 90/Die Grünen mit am stärksten geprägt, während die Ökos immer weiter außen vor blieben. Der ersten nostalgischen Begeisterung über das politische Engagement vom Sohn des charismatischen Wortführers der Studentenrevolte folgen nun deutliche Abwehrgesten der Besitzstandswahrer: Immerhin, die Mandatsträger haben etwas zu verlieren und der linke Marek hasst Pfründe und Pfauengehabe. Marek fuchtelt mit den Händen und richtet seine Augen gen Decke, als käme von oben eine Eingebung. „Nun gut, ich muss meine Hausaufgaben erst noch machen“, versucht er die Wucht seiner Kritik abzuschwächen, „aber ob Rudi diese Verwandlung mitgemacht hätte, ich weiß es nicht.“ Marek hat seinen Vater nicht kennen gelernt, weil dieser an den Spätfolgen des Attentats von 1968 kurz vor Mareks Geburt starb. Rudi habe seinem Attentäter verziehen, erzählt Marek. Und der Sohn? „Es ist nicht meine Sache, ihm zu vergeben.“ Die Bild-Zeitung aber liest der Sohn hin und wieder, weil ihn die Assoziation nicht zur Ruhe kommen lässt, wonach im heißen Herbst der Apo der erste Schuss aus dem Springer-Verlag gekommen sei. „Man hat auch aktuell genug Gründe, Probleme mit dieser Zeitung zu haben“, sagt Marek. Die zurzeit in Berlin diskutierte Idee einer Rudi-Dutschke-Straße an der Kreuzung zur Axel Springer-Straße ist ihm freilich sehr sympathisch. Aber: „Rudi fände es albern.“ Wie er es fände, dass sein Sohn in einer Wohngemeinschaft ausgerechnet mit einer Bild-Mitarbeiterin lebt, darüber kann man nur mutmaßen. Verenas Vater, ein Hamburger Manager, beäugt die aparte Konstellation jedenfalls skeptisch. Und Verena gibt Marek Zunder. Am heimischen Herd wird Marek trainiert für den politischen Schlagabtausch auf offener Bühne. Statt Bild zu verurteilen, müsse Marek mal fragen, was sich aus dem Linksradikalismus entwickelt hat: „Hat Rudis Bewegung nicht eine Mitschuld am Terrorismus der Rote Armee Fraktion?“ Für den heißen deutschen Herbst gäbe es jedenfalls keine Rechtfertigung, ereifert sich die blonde junge Frau, während sie nebenbei den Abwasch der WG erledigt. „Man muss aufpassen, nicht in der Rolle des Sohnes bequem zu werden“, hatte Marek sich gerade noch selbst ermahnt. Auf das Diagramm neben der Spüle mag sich das nicht bezogen haben. Fein säuberlich sind dort die übernommenen Gemeinschaftsaufgaben vom Müll-runter-Tragen bis zum Kloputzen notiert. Mit nur 48 Punkten sieht es für Marek gar nicht gut aus. Da muss er aufholen. Ebenso wie bei seinen grünen Parteifreunden. Gerade einmal 104 von 799 Mitgliedern wollten ihn auf einem sicheren Listenplatz in den Bundestag schicken. Das, was ist, ist verursacht durch das, was war, und das, was sein wird, hat das, was ist, zur Ursache Dieser Spruch von Rémy de Gourmont hängt auf Dutschkes WG-Toilette Christiane Götz ist Publizistin und lebt in Potsdam

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