- West-östliche Diven
Einstiger SPD-Chef verliebt sich in Ex-Kommunistin aus der ehemaligen DDR – eine Liaison mit Zukunft? Sie beide teilen nicht nur Tisch und Bett, sondern auch auch eine tief sitzende Abneigung gegen die SPD, doch politisch möchte sich die exotische Halbiranierin nicht mit dem 62 Jährigen paaren. Eine „echte Lovestory“ sei das zwischen den beiden, keine Zweckbeziehung
An einem Dienstagabend im Mai des Jahres 2012 sitzen drei illustre Persönlichkeiten auf dem Podium in der Berliner „Kulturbrauerei“: links Peter Gauweiler, einstiger CSU-Rechtsaußen und heute Eurorebell seiner Partei. In der Mitte Frank Schirrmacher, Feuilleton-Herausgeber der als konservativ geltenden FAZ.
Rechts neben ihm hat Sahra Wagenknecht Platz genommen, die Vorzeige-Linke der Linkspartei. Es geht um ihr Buch „Freiheit statt Kapitalismus“, das vor kurzem als Neuausgabe im Campus-Verlag erschienen ist. Vor ein paar Jahren hätte der provokative Antagonismus dieses Titels noch jeden bürgerlichen Journalisten oder Politiker auf die Palme gebracht.
Aber die Zeiten ändern sich; Kapitalismuskritik ist durch die Finanzkrise salonfähig geworden. Schirrmachers Eröffnungsstatement über diese bemerkenswerte Debattentektonik quittiert Gauweiler mit einer hübschen Sottise über die Begegnung des großen Vorsitzenden Franz Josef Strauß mit Deng Xiaoping, während Wagenknecht in ostentativer Humorlosigkeit keine Miene verzieht. Die Sache ist zu ernst, um Witzchen darüber zu reißen, will sie ihrem Publikum offenbar signalisieren.
Als die 42-Jährige wenig später Merkels Spardiktat mit Brünings Notverordnungspolitik vergleicht, wird Peter Gauweiler ihr nicht widersprechen. Das gemeinsame Entsetzen über die Auswüchse der globalen Finanzindustrie wiegt schwerer als mögliche Differenzen in den Details. Sahra Wagenknecht, so will es scheinen, ist auf dem besten Weg in die Mitte der Gesellschaft – beziehungsweise die Mitte zu ihr. Ihre strengen, seltsam unmodisch-biederen Kostüme trägt sie zwar weiterhin wie ein Markenzeichen zur Schau, aber darüber mokiert sich inzwischen kaum noch jemand.
[gallery:Oskar Lafontaine: Das Ende eines Instinktpolitikers]
Dass die „schöne Kommunistin“, wie der Boulevard sie immer mal wieder gerne nennt, privat ohnehin einen ganz anderen Kleidungsstil bevorzugt, wissen jetzt sogar die Saarländer: Im Dezember veröffentlichte die Regionalausgabe der Bild-Zeitung einen Schnappschuss, auf dem Sahra Wagenknecht in Jeans und rotem Anorak gut gelaunt an der Seite ihres neuen Lebensgefährten die Saarbrücker Kaufhof-Filiale verlässt; Oskar Lafontaine –grauer Mantel, schwarzes Sakko – trägt eine soeben erstandene Bettdecke in der Hand.
Unlängst haben die beiden gemeinsam ein Haus im winzigen Örtchen Silwingen bei Merzig bezogen, in Sichtweite der deutsch-französischen Grenze. Von der großen Terrasse aus eröffnet sich der Blick auf den hügeligen Saargau; die liebliche Landschaft im Südwesten der Republik gefalle ihr ausgesprochen gut, sagt die gebürtige Jenaerin: „zauberhaft“. Ansonsten schweigt sie sich über ihre neuen Lebensumstände lieber aus.
Gerüchte gab es schon lange vor jenem Parteitag im November des vergangenen Jahres, als Lafontaine am Ende einer Rede verkündete, „eng mit Sahra befreundet“ zu sein. Für seinen Rückzug aus der Berliner Politik im Jahr 2009 dürfte nicht nur eine damalige Krebserkrankung der Grund gewesen sein, sondern auch diese „enge Freundschaft“ und das damit verbundene familiäre Ungemach.
Seite 2: Es wird familiärer im Betrieb der Linkspartei...
Christa Müller, Lafontaines Ehefrau (und bis 2011 familienpolitische Sprecherin der Saar-Linken), hat sich dazu öffentlich nie geäußert. In der Linkspartei wird das Thema ohnehin weitläufig umschifft, seit Dietmar Bartsch unterstellt wurde, dieser habe beim Spiegel über die Liaison getratscht – und daraufhin im Mai 2010 seinen Job als Bundesgeschäftsführer verloren. Vermintes Terrain.
Politisch macht das die Sache für die ohnehin gebeutelte Linke nicht gerade einfacher. Anfang Juni wählt die Partei in Göttingen einen neuen Vorstand; der Doppelspitze muss mindestens eine Frau angehören, erwünscht ist außerdem eine paritätische Ost-West-Quote.
Schon deshalb wäre die gemeinsame Kandidatur von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht alles andere als abwegig gewesen – zumal die beiden nicht nur Tisch und Bett teilen, sondern auch eine tief sitzende Abneigung gegen die SPD. Doch dieser Paarung steht jetzt das Privatleben im Wege: „Nein, das geht nicht“, sagt Sahra Wagenknecht. „Da verstehe ich auch, wenn die Leute sagen, dass sie keinen Familienbetrieb an der Spitze der Partei haben wollen.“
Ein bisschen familiärer ist der Betrieb in der Linkspartei aber auch so schon geworden. Zumindest berichten Bundestagsabgeordnete der Linken, dass Lafontaine seinen Einfluss auf Fraktionschef Gregor Gysi durchaus im Sinne seiner Lebensgefährtin zu nutzen weiß. Ohne die Fürsprache des Saarländers, so wird (stets hinter vorgehaltener Hand) erzählt, wäre Wagenknecht kaum „Erste Stellvertretende Fraktionsvorsitzende geworden“ – womit sie in der Hierarchie einen Rang höher steht als etwa ihr Erzrivale Bartsch, der sich nur „Stellvertretender Fraktionsvorsitzender“ nennen darf.
Angeblich wollte Lafontaine bereits vor längerem durchsetzen, dass Sahra Wagenknecht mit Gysi gemeinsam die Fraktion führt – ein Gefallen, auf den dieser sich dann aber doch nicht einlassen wollte. Wenn es um die eigene Macht geht, finden eben auch die besten Männerfreundschaften ihre Grenzen. Zumindest vorerst.
Oskar Lafontaine weiß natürlich genau, dass seine Beziehung zu Sahra Wagenknecht insbesondere bei den Pragmatikern vom rechten Parteiflügel mehr als argwöhnisch beobachtet wird; dort delektiert man sich regelmäßig an ironischen Anspielungen auf das einstige DDR-Doppel Erich und Margot Honecker. Es sind deshalb bewusst keine großen Gesten in der Öffentlichkeit, mit denen der 68-Jährige für die deutlich jüngere Frau an seiner Seite wirbt. Gemeinsame Auftritte der beiden haben Seltenheitswert, und auch bei ihrer Buchpräsentation in der Berliner Kulturbrauerei war Lafontaine nicht dabei.
Umso deutlicher könne er hingegen in Vier-Augen-Gesprächen mit Parteifreunden die politische Weitsichtigkeit seiner Auserwählten rühmen. Die Bewunderung sei ehrlich, sagen Leute, die ihn gut kennen – und werde von Sahra Wagenknecht auch erwidert.
Wer sich mit langjährigen Weggefährten Lafontaines unterhält, bekommt fast zwangsläufig eine sehr zwiespältige Einschätzung dieses Mannes zu hören. Einerseits: brillanter Instinktpolitiker, der jede noch so komplizierte politische Gemengelage aus dem Stand heraus analysieren kann und daraus sofort eine Strategie ableitet.
Auf der anderen Seite: seine schwer einzuschätzende Neigung zu Übersprungshandlungen, fast immer aus einem Gefühl der Beleidigtheit heraus. Diese erratische Konstante in Lafontaines Biografie hat ihn letztlich zum großen Außenseiter in der deutschen Politik gemacht.
Seite 3: Über den Einfluss der exotischen Halbiranerin...
Glaubhaften Zeitzeugenberichten zufolge geschah auch sein abrupter Rücktritt als Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzender im Affekt; Querelen mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder über eine Kontrolle der internationalen Finanzmärkte waren Lafontaine in den Wochen zuvor ohnehin schon merklich auf die Nerven gegangen.
Nachdem er am 11. März 1999 die Brocken hingeschmissen hatte, war er tagelang telefonisch für niemanden zu erreichen; angeblich sei er selbst erschrocken gewesen über das, was er angerichtet hatte. Spätere Versuche, ihm als Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung oder als Botschafter in Paris Brücken zurück ins politische Geschehen zu bauen, müssen an den Eitelkeiten der beiden Platzhirsche Schröder und Lafontaine gescheitert sein.
„Die eigentliche Konstante bei Oskar Lafontaine besteht darin, dass er immer Erster sein muss“, sagt Reinhard Klimmt, langjähriger SPD-Fraktionsvorsitzender während Lafontaines Zeit als Ministerpräsident des Saarlands.
Dass so jemand damit hadert, sich 22 Jahre nach der eigenen Kanzlerkandidatur als Chef einer desperaten Linke-Fraktion im saarländischen Landtag wiederzufinden, ist wenig verwunderlich. Zumal seine Partei bei der zurückliegenden Landtagswahl an der Saar 5 Prozentpunkte verlor und zwei Mandate einbüßte. Anderthalb Jahre zuvor hatte Lafontaines Linke noch 21,3 Prozent geholt und lag damit nur ganz knapp hinter der SPD seines Intimfeinds Heiko Maas, den er bei jeder Gelegenheit genüsslich als politischen Lehrbub darstellt.
Nur: Maas regiert jetzt als stellvertretender Ministerpräsident neben Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) das Saarland, während Lafontaine sich mit Frauen wie Pia Döring aus Ottweiler herumärgern muss, die kurz nach der Wahl von der Linkspartei zur SPD-Fraktion überwechselte. Für einen Mann, der auch dieses Jahr zu Karneval wieder ganz kokett in sein Napoleon- Kostüm schlüpfte, ist das alles ein bisschen sehr kleines Karo. Und eine Schmach dazu.
Oskar Lafontaine mag Sahra Wagenknechts Karriere in Berlin auf die Sprünge helfen, aber umgekehrt verleiht ihm das intellektuell-exotische Flair der Halbiranerin auch ein bisschen mehr Glanz, wenn er dann doch mal an ihrer Seite über Saarbrückens St. Johanner Markt spaziert. Und das kann nicht schaden, denn Lafontaine hat mit den Jahren einiges an Strahlkraft eingebüßt.
Sorgte er 2009 im Saar-Wahlkampf noch für volle Hallen, so lichteten sich die Reihen der „Oskar, Oskar“-Jubler vor den Neuwahlen in diesem Jahr schon merklich. Dem napoleonischen Nimbus würde ein bundespolitisches Comeback des linken Lebemanns gewiss guttun, und er selbst will es auch noch einmal wissen. Dass Lafontaine mit seinen Ambitionen auf den Parteivorsitz so lange hinterm Berg hielt, lässt in der Linken zwar viele vernehmlich grummeln. Aber insbesondere seine Anhänger in den westlichen Bundesländern sind in ihrer Ehrfurcht vor dem begnadeten Rhetoriker und Polarisierer so schnell nicht zu erschüttern.
[gallery:Oskar Lafontaine: Das Ende eines Instinktpolitikers]
Der Idealismus Sahra Wagenknechts wirke ansteckend auf Oskar Lafontaine, sagt einer, der ihn gut kennt. Eine „echte Lovestory“ sei das zwischen den beiden, keine Zweckbeziehung. Was ja nicht ausschließt, dass er in der Gefährtin für den Herbst seines Lebens auch so etwas wie eine politische Nachlassverwalterin gefunden haben mag.
„Wenn die SPD zugeben würde, dass die Agenda 2010, Hartz IV, die Liberalisierung der Leiharbeit und die elende Riester-Rente völliger Mist waren, und bereit wäre, das zurückzunehmen und eine soziale Politik durchzusetzen, dann wäre das natürlich eine andere Situation“, sagt Sahra Wagenknecht auf die Frage, warum sie sich mit den Sozialdemokraten partout nicht einlassen will – trotz rot-rot-grüner Machtoptionen nach der nächsten Bundestagswahl. Das könnte im O-Ton genau so von Oskar Lafontaine stammen. Mit dem Unterschied, dass es aus dem Mund seiner Partnerin authentischer klingt.
Lafontaine ahnt wohl, dass er allenfalls als politisches Irrlicht in die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik eingehen wird – sogar für den Fall, dass seine Linkspartei noch einmal die alte Flughöhe erreichen sollte. Und er weiß, dass es ohne ein paar Charakterschwächen, ohne die dünkelhafte Bereitschaft zum Beleidigtsein oder die Neigung zum Affekt auch ganz anders für ihn hätte kommen können. Aber mit 68 ist es zu spät für historische Korrekturen.
Sahra Wagenknecht dagegen hat mit ihren 42 Jahren schon einen Imagewandel hinter sich: von der bizarren DDR-Apologetin zur linksintellektuellen Systemkritikerin, deren Bücher im Feuilleton der FAZ vorabgedruckt werden. „Ich möchte, dass wir diesen Raubtierkapitalismus überwinden und eine Gesellschaft bekommen, in der die Menschen auch den Ertrag ihrer Arbeit erhalten“, sagt sie mit großer Ernsthaftigkeit. Bei Oskar Lafontaine würde man einen Satz wie diesen als effekthascherische Rollenprosa abtun. Für Sahra Wagenknecht gilt das nicht. Der Napoleon aus dem Saarland hat doch noch seine Meisterin gefunden. Aber sein linkes Imperium zerbröselt trotzdem.
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