- Wenn der Staat ins Netz geht
Fahndung auf Facebook - das klingt zeitgemäß und zukunftsweisend. Doch dies könnte am Ende auch das Schandrecht des Mittelalters wieder beleben – und ein Pranger für immer sein
„Die digitale Revolution kann an der Justiz nicht vorbeigehen.“ Das sagt sich leicht und jeder denkt: natürlich nicht! Bayerns Justizministerin will mit diesem Satz klarmachen, dass die Fahndungsmethoden der Polizei nicht mehr aus dem letzten Jahrhundert sein dürfen.
Damit steht Beate Merk von der CSU nicht allein. Ihre Kollegen anderer Bundesländer – aus Niedersachsen, Thüringen, Berlin und Hessen - sehen das genau so. Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn macht sich besonders stark, er hat die Macht dazu. Denn derzeit ist der Liberale Vorsitzender aller deutschen Justizminister. Die Politik müsse sich endlich klipp und klar zur Fahndung auf Facebook bekennen, fordert Hahn und wird sehr konkret, was sein Ziel für ganz Deutschland ist: „Wir wollen erreichen, dass das Portal bei Ermittlungen genutzt wird.“
Früher nutzte der Staat andere Portale zur Fahndung – nämlich die eigenen. An öffentlichen Gebäuden wie der Post, dem Rathaus und dem Bahnhof hingen rot umrandete Plakate, darauf die Gesichter gesuchter RAF-Terroristen. Anstatt Poster aufzuhängen soll nun gepostet werden. Tätersuche online. Im Amtsdeutsch sagt man: „Nutzung sozialer Netzwerke für die Aufklärung von Straftaten.“ So hieß der entsprechende Tagesordnungspunkt auf der jüngsten Justizministerkonferenz in Berlin, wo auch über Polizei-Recherche auf twitter, google und anderen Anbieter gesprochen wurde.
Angestachelt waren die Wegbereiter dieser neuen Netzfahndung durch das Land Niedersachsen, das sich als Vorreiter sieht. Die Polizeidirektion Hannover startete im März 2011 ein Modellprojekt, das bis heute läuft. „Liebe Facebook-Gemeinde, wir bitten aus aktuellem Anlass um Eure Unterstützung...“, heißt es seitdem auf der Facebook-Seite der Polizei Hannover.
Da wird geduzt. Weil man die Jungen erreichen will – und offenbar auch erreicht. Jedenfalls fühlt sich Hannovers Polizei bestätigt, sie berichtet von einem Dutzend Fahndungserfolgen, die wohl sonst ausgeblieben wären. Denn durch die „Teilen“-Funktion verbreitet sich jeder Fahndungsaufruf lawinenartig. User teilen ihn mit „Freunden“ über ganz Deutschland hinaus. So lesen ihn weit mehr, als jemals in eine Postfiliale oder das Rathaus passen würden. Viel, viel mehr auch als es Besucher aller Polizei-Internetseiten gibt.
„Achtung, bitte teilen!“ – das wünschen sich manche Justizminister nun für die Online-Ermittlung in ganz Deutschland. Sie wollen, dass der Rechtsweg in jedem Bundesland so frei wird wie er in Niedersachsen schon ist. Doch trotz Hahns Trommeln: Auf der Konferenz wurde nichts entschieden. Das heikle Thema wurde vertagt – aus gutem Grund.
Seite 2: was einmal im Netz steht, das bleibt
Denn ausgerechnet deutsche Justizminister brechen hier auf unbekanntes Gelände auf, manche sagen gar: in rechtsfreien Raum. Jedenfalls bewegen sie sich am Rande deutschen Rechts. So erlaubt die Strafprozessordnung zwar Öffentlichkeitsfahndung, sofern es um eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ geht; also um Mord, Entführung oder Kindesmissbrauch. Aber es heißt dort auch: „Private Internetanbieter sollen grundsätzlich nicht eingeschaltet werden.“
Facebook ist juristisch nichts anderes als ein privates Unternehmen, ein amerikanisches dazu. Was dort geschieht, ist bestenfalls an das Rechtssystem der USA gebunden. Insofern ist es erstaunlich, wie deutsche Rechtsminister so vorpreschen für die Möglichkeit, sensible Daten außer Landes anzubinden. Denn genau das könnte geschehen. In den Geschäftsbedingungen von Facebook steht, dass das Unternehmen alle Daten munter verteilen darf, die dort mit dem „Teilen“-Wunsch hinterlegt werden. In den Datenverwendungsrichtlinien steht zwar: „Obwohl du uns gestattest, die Informationen zu verwenden, die wir über dich erhalten, bleiben diese doch stets dein Eigentum.“ Doch der „Teilen“-Aufruf verkehrt das ins Gegenteil.
Hahn sagt, er habe mit Facebook gesprochen. Es sei laut Technikern möglich, dass Fahndungsaufrufe auf die Internetseiten und damit die Server der deutschen Polizei geleitet werden. Facebook habe Bereitschaft gezeigt, das zu ermöglichen. „Ich habe das Gefühl, das ist für die auch eine Marketingfrage“, versucht der Minister das profunde Misstrauen von Datenschützern zu zerstreuen. „Die werden das schon organisieren“, schenkt er irgendwelchen Facebook-Mitarbeitern Vorschussvertrauen.
Selbst wenn. Fahndungsplakate kann man wieder abhängen. Doch was einmal im Netz steht, das bleibt. Nicht einmal Facebook selbst würde alles wieder löschen können. Denn User könnten die Daten auf tausende andere Server kopiert haben.
Was dann, wenn vermeintliche Täter freigesprochen werden oder ihre Strafe abgebüßt haben? Fahndungsfotos im Internet würden über Generationen hinweg mit ihren Namen verbunden bleiben. Mehr noch: Sollten keine wahren Zeugen, sondern nur inspirierte Denunzianten posten, und das trotz der unmissverständlichen polizeilichen Bitte, es nicht auf Facebook zu tun: „Ja, den Kinderschänder kenne ich, den ihr sucht. Das ist der Erich Mustermann aus der Kreuzgasse 7“, dann ist es Rufmord, mitunter lebensgefährlich für den falsch Verdächtigten.
Datenschützer mögen zuweilen hysterisch wirken. Im Fall der Onlinefahndung warnen sie die ungestümen deutschen Justizminister jedoch buchstäblich „zu Recht“.
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