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() Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Linkspartei
Welchen Sozialismus will die Linkspartei?

Welchen Sozialismus will die Linkspartei? Sozialismus, das war einmal die Ideologie einer besseren Zukunft.Die Linkspartei führt den Begriff stolz in ihrem Programm. Doch was hat sie inhaltlich zu bieten außer Populismus und Angstrhetorik?

Was eigentlich will die neue (alte?) Partei „Die Linke“? Sind die wenigen, griffig formulierten Ziele, mit denen Lafontaine die SPD zu ködern versucht, nicht pure Selbstverständlichkeiten, auf die sich alle vernünftigen Menschen in zwei Minuten einigen müssten: Wer wollte nicht mehr Frieden, mehr Geld und mehr Sicherheit? Geht es nach wie vor in erster Linie um die Ostdeutschen, um DDR-Nostalgie, mit dem Saarland als sekundärem Appendix? Oder ist umgekehrt aus der Linkspartei die Luft heraus, wenn Lafontaine ihr nicht mehr Leben und Demagogie einhaucht? Jenseits der ein oder anderen Talkshow-Parole sollte man Programm und historische Traditionslinien dieser Partei erst einmal ernst nehmen. Es ist ein komplexes Syndrom, ein Ensemble von Abstiegs­, Verfalls- und Gefährdungsprozessen, das in dieser Sicht die Gegenwart kennzeichnet. Vom Fortschrittsvertrauen von einst ist die Linkspartei meilenweit entfernt, denn die Erfahrungen lassen sich auf einen Nenner bringen: Alles wird schlechter. Hartz IV war eine Initialzündung der Linkspartei, es fügt sich in eine größere Entwicklung ein, in der (fast) alle ärmer werden, ja bewusst verarmt worden sind: „Armut per Gesetz“. Armut hat sich in der Bundesrepublik in rasender Geschwindigkeit ausgebreitet, und glaubt man der Darstellung der Linkspartei, ist davon schon ein gutes Drittel aller Deutschen betroffen, Tendenz steigend. Das ist nicht nur eine Folge der reicher werdenden Reichen, sondern vor allem des Sozialabbaus – pardon, des „Sozialabrisses“. Vom guten alten Sozialstaat ist demnach kaum mehr etwas übrig geblieben. (Wenn man dann nur das höchste Sozialbudget aller Zeiten erklären könnte!) Aber das ist längst nicht alles. Die Welt wird immer kriegerischer und gewaltsamer, unter maßgeblicher Mitwirkung der Deutschen in Afghanistan und anderswo. Demokratische Stabilität verfällt; der Rechtsextremismus und Neofaschismus ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Und mit dem Rechtsstaat ist es auch bald vorbei. Der G-8-Gipfel in Heiligendamm war Symptom und Vorbote einer größeren Unterhöhlung von Grundrechten. All das steht im Zusammenhang miteinander, denn ist nicht offensichtlich, „dass analog zum Abriss des Sozialstaates die Verschärfung der Sicherheitspolitik einhergeht“? Der Sozialismus ist als Bewegung der Hoffnung, des Optimismus, der Weltverbesserung entstanden. Das Programm der Linkspartei hingegen ist von einer Art umgekehrtem Hegelianismus geprägt: ein Sozialismus nicht mit der Veränderung der Welt, sondern gegen die Veränderung der Welt – ein Sozialismus der traurigen Gestalt. Denn der Weltgeist ist nicht mehr mit dem Fortschritt verbündet. Vielmehr läuft er jetzt in die falsche Richtung, und alles wird immer schlechter. Nicht nur zum Weltbild, sondern auch zum rhetorischen Spiel der Linken gehört es, die Unzufriedenheit, die noch immer Triebkraft aller positiven Veränderung war, einseitig zu instrumentalisieren. So wie in der Umfrage zur deutschen Einheit, die sich auf der Website der Partei findet: „Sind sie mit dem Stand der deutschen Einheit zufrieden?“ Auch Helmut Kohl und ganz gewiss Horst Köhler müssten da „Nein“ sagen, und so stimmt denn wenig überraschend auch die überwältigende Mehrheit ab. Was dabei insinuiert wird, ist aber klar, genauso wie bei der gerne von der Linkspartei apostrophierten Unzufriedenheit mit der Demokratie: Es muss etwas faul sein im Staate Dänemark, irgendjemand ist dafür verantwortlich, auch wenn man dessen Kreise nicht genau benennen kann. Ein Hauch von Korruption und Verschwörungstheorie liegt in der Luft. Man geht auf Distanz – statt sich mit umso größerer Emphase zur Einheit, oder zur Demokratie, zu bekennen nach dem Motto: Da sind wichtige Probleme, packen wir’s an! Dafür freilich bräuchte man selbstbewusste Menschen, starke Individuen. Hinter jedem Weltbild steht ein Menschenbild. Nach einem Menschenbild der Linkspartei im eigentlichen Sinne sucht man jedoch vergeblich. Man muss es mühsam herausfiltern – es ist, wenn überhaupt, ein negatives Menschenbild der Hilflosigkeit, der Passivität, der überall und jederzeitigen Opferrolle. Menschen nehmen ihr Leben nicht in die Hand, schon gar nicht als Individuen, sondern sind bloße Objekte höherer Mächte, die politisch und kollektiv in Schutz genommen, die mit warmer Decke und Suppe versorgt werden müssen. Ich höre den Einwand: Aber die sozial Schwachen können ihr Leben nicht selber gestalten! Wenn freilich die Mehrheit so definiert wird, ist das nichts anderes als die Selbstaufgabe einer freien Zivilgesellschaft. Zentrale Bausteine dieses Programms hat „Die Linke“ in einem Positionen-Alphabet zusammengestellt: verdichtete Diagnosen und Forderungen in 24 Punkten von Afghanistan bis Wirtschaftspolitik. Es ist ein Katalog der Wohlgefälligkeit. Wer sollte gegen Frieden sein oder für Kinderarmut? Bildung für alle, gegen Rechtsextremismus? Schutz des Klimas und vor Gammelfleisch nehmen wir auch noch mit. Das ist die populistische Komponente der Linkspartei, die insofern tiefer reicht als die Rhetorik eines Lafontaine. Es ist das Pathos des Unbestreitbaren, auf dem diese Bewegung segelt. Sperriges, Konflikthaftes kommt nicht vor – es gibt ja für alles eine einfache Lösung. Das ist der eigentliche Grund, warum man mit Leuten wie Lafontaine nicht wirklich diskutieren kann. Bei Heilsbringern gibt es immer nur die eine, absolute Wahrheit. Was da gefordert wird – darüber kann man oft nur staunen. Wenn man es in der Tradition des Sozialismus zu verstehen versucht, handelt es sich doch häufig geradezu um eine charakteristische Inversion klassisch-sozialistischer Positionen. Wieso ist man auf einmal für radikalsten Umweltschutz? (Na gut, es geht gegen das Kapital.) Sozialisten sind typischerweise nicht Pazifisten gewesen. Neu ist auch, dass der Sozialismus von einer tiefen Skepsis gegenüber neuen Technologien geprägt ist. Und schließlich: Als Vertreter einer plebiszitären und „Basis“-Demokratie war diese politische Richtung eigentlich nicht bekannt. Das erscheint jetzt als einer der programmatischen Leitsterne, unter der nun wirklich dreisten Überschrift „Zeit für eine neue Bürgerrechtsbewegung“, mit der ausgerechnet die Erbmasse der SED sich in die Kontinuität der damaligen Opposition gegen das DDR-Regime stellen will. Natürlich findet sich auch „Sozialismus“ in dieser Melange. Doch ist es, wenn man die sozial- und wirtschaftspolitischen Aussagen zusammennimmt, ein purer Sozialismus der Verteilung und Umverteilung, des Ausgleichs, der Kompensation für Schäden, der (überwiegend materiellen) Abfederung von Problemen. Wirtschaftspolitik reduziert sich dabei auf eine stärkere Belastung der Unternehmen, auf Arbeitszeitverkürzung und Staatskredite für das Kleingewerbe. Als Fernziel schimmert die „Demokratisierung der Wirtschaft“ durch, letztlich also, in welchem Gewand auch immer, die Einschränkung und Aufhebung des Marktes. Für den „neuen“ Sozialismus ist die Ökonomie offenbar so etwas wie ein Kollateralschaden des guten Lebens. Ganz ohne sie kommt man nicht aus, aber eigentlich ist sie der böse Onkel, vor dem man sich in Acht nehmen muss. Auch insofern ist dieser Sozialismus überwiegend defensiv. Eine dynamische Entwicklungsperspektive für Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft hat er nicht zu bieten; er nivelliert das Vorhandene. Marx würde sich im Grabe umdrehen. Eigenartige Metamorphosen also – und doch bleibt darin die gesamte Geschichte der radikalen Linken und des Kommunismus im 20. Jahrhundert gespeichert. Der historische Ausgangspunkt des „Linkssozialismus“ nicht nur in Deutschland, die Frage der Kriegskredite von 1914 und die Abspaltung der USPD, scheint darin ebenso durch wie die Weimarer Traditionen der zwanziger Jahre mit ihren Idealen von Wirtschaftsdemokratie und Gemeinwirtschaft. Der „reale“ Sozialismus des sowjetischen Systems und der DDR bleibt für „Die Linke“ ein unbestreitbar wichtiger Referenzpunkt. Sie fordert, „die Erfahrungen der DDR nicht kategorisch abzulehnen, sondern auf zukunftsfähige Modelle hin zu überpüfen“. Hatten wir das nicht schon mal? Hitler hat immerhin die Autobahnen gebaut und die Arbeitslosigkeit beseitigt! Wir haben aber gelernt – zugegeben, auch das mühsam und langwierig –, dass man die vermeintlich guten Bausteine eben nicht isolieren kann, weil auch sie Teil einer totalitären Gesamtlogik waren. Der rituelle Antifaschismus der DDR ist übrigens eine weitere Reminiszenz, die in der plakativen Rhetorik der Linken fortlebt. Schließlich, auch das ist als Erbmasse klar erkennbar: der westdeutsche Linkssozialismus der siebziger und achtziger Jahre, in der SPD und außerhalb, in einem bis in die DKP hineinreichenden Spektrum. Diese Kontinuität lässt sich ebenso programmatisch (Umverteilung der Arbeit, „Frieden“) wie personell (Intellektuelle, Spät-68er, Gewerkschafter) nachweisen. Schon damals waren viele der Meinung, nicht erst Helmut Schmidt, sondern schon Willy Brandt habe die „wahren“ Traditionen der Sozialdemokratie verraten, das Veränderungspotenzial des „demokratischen Sozialismus“ nicht ausgeschöpft. Auch dieses Muster führt bis in die Weimarer Republik zurück, in den Hass der Linken auf Friedrich Ebert, und wiederholte sich jüngst an Gerhard Schröder. Ein Stichwort ist in dem politischen ABC der Linkspartei besonders auffällig abwesend: die Freiheit. Das leuchtet ein, denn in ihrem Weltbild – Oskar Lafontaine hat es im Cicero-Interview in exemplarischer Klarheit gesagt – ist Freiheit etwas Relatives: das, wovon im Zweifelsfall nur die Reichen etwas haben; eine bloß formale Freiheit, die erst unter Bedingungen der sozialen Gleichheit überhaupt einen Sinn bekommen kann. Wer diese Grenze überschreitet, ist von der Idee spezifischer „sozialistischer“ Bürgerrechte, die sich von den verachteten „bürgerlichen“ Grundrechten unterscheiden, nicht mehr weit entfernt. Na denn! Schließen wir uns den Hochschulgruppen der Linken an, die demnächst zu einer Bildungsexpedition nach Venezuela aufbrechen: „Sozialismus im 21. Jahrhundert – jetzt bewerben!“ Quellen unter anderem: www.die-linke.de, www.linksfraktion.de, www.linke-hsg.de Paul Nolte, geboren 1963, lehrt Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. Sein jüngstes Werk: „Riskante Moderne“ (C.H.Beck) Foto: Picture Alliance

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