- ...warum Norbert Röttgen in NRW schon verloren hat
Egal, wie die Wahl am Sonntag in Nordrhein-Westfalen ausgehen wird, ein Verlierer steht jetzt schon fest: Norbert Röttgen. Eine bequeme Chance zu Beginn des Wahlkampfes hat er gründlich vermasselt. CICERO ONLINE erklärt die sechs Gründe, warum
Es gibt Momente, da kommt zum Pech auch noch Unglück. Der jüngste TV-Patzer des nordrhein-westfälischen CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen war so ein Moment. Als es in der Sendung „Log in“ auf ZDF info um seine Wahl zum Ministerpräsidenten ging, sagte er, etwas erschöpft, diesen Satz: „Bedauerlicherweise entscheidet nicht alleine die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber.“ Der Moderator hakte nach: „Bedauerlicherweise?“ Röttgen versuchte die Situation noch zu retten, sprach von „Ironie“. Wäre er ein souveräner Spitzenkandidat mit hohen Erfolgschancen gewesen, hätte man ihm das vielleicht abgenommen. Doch so ergossen sich im Internet kübelweise Spott und Häme über den strauchelnden Wahlkämpfer.
Bedauerlich war nicht nur dieser Fernsehauftritt – bedauerlich ist eigentlich sein gesamter Wahlkampf. Wenn am Sonntag in NRW gewählt wird, ist zwar noch nicht klar, ob Rot-Grün eine Mehrheit erreichen wird. Aber ein Verlierer steht in jedem Fall schon fest: Norbert Röttgen. In den Umfragen liegt die SPD mit 37 Prozent klar vorn; die CDU erreicht nur 31 Prozent. Damit wäre sogar noch das historische Tief von 34,6 Prozent unterschritten, mit dem sein Parteifreund Jürgen Rüttgers 2010 abgewählt wurde.
Dabei stand Norbert Röttgen noch bis vor kurzem eine glänzende Karriere bevor. In Parteikreisen wurde er oft „Muttis Klügster“ genannt, galt vielen als Hoffnungsträger. Als Merkel ihn 2009 zum Umweltminister machte, war das auch eine besondere Anerkennung, schließlich hatte sie dieses Ressort selbst einmal geleitet. Kaum im Amt, bot Röttgen seiner Partei in der Atomfrage die Stirn – und machte die Energiewende zur Chefsache. Mit seiner Kritik an der Kernkraft sollte er schließlich Recht behalten, nach Fukushima stieg Schwarz-Gelb aus. Im März widmete der Cicero dem smarten Aufsteiger sogar eine Titelgeschichte und bezeichnete ihn als „Kanzler im Wartestand“. Röttgen leugnete diese Ambitionen nie. Und nun – alles dahin? Was ist da schiefgelaufen? [gallery:Norbert Röttgen: Kanzler im Wartestand?]
Die Ursachenforschung geht weiter zurück, sie hat nicht nur mit der Wahlkampfstrategie, sondern auch mit der Persönlichkeit Röttgens zu tun. Hier die sechs wichtigsten Gründe:
Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Röttgen sich viele Feinde in der CDU gemacht hat
1. Norbert Röttgen kann sich nicht entscheiden.
Das Thema klebte an ihm wie ein alter Kaugummi an seinem Schuh: Würde der Bundesumweltminister im Fall einer Niederlage sein Amt in Berlin an den Nagel hängen und die Rolle des Oppositionsführers in Düsseldorf übernehmen? Anfang März beantwortete er die Frage noch klar mit „nein“. Eine Woche vor der Wahl ließ er die Frage dann wieder offen. Und als Günther Jauch in seiner Talkshow feststellte „Er bleibt in Berlin, aber er sagt es nicht“, protestierte Röttgen: „Das ist unfair!“ Was denn nun? Hätte Röttgen klar Stellung bezogen, hätte sich der Kaugummi vielleicht irgendwann abgetreten. So aber werfen Journalisten und Wähler ihm gnadenlos seine notorische Unentschlossenheit vor – zurecht.
2. Er ist zu ehrgeizig.
Eigentlich wollte Röttgen nie Wahlkampf führen. Dass es überhaupt dazu kam, dass er CDU-Spitzenkandidat wurde, hat viel mehr mit Taktik zu tun als mit echter Hingabe zum bevölkerungsreichsten Bundesland. 2010 ließ sich Röttgen zum NRW-Landesvorsitzenden wählen. Es ist der wichtigste und mächtigste Posten aller Landesverbände, der nicht wenige Politiker schon ganz nach oben gebracht hat. Kurz danach wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU.
Sein Blick galt immer Berlin: Röttgen erhoffte sich von hier womöglich eine bequeme Position, um nach der Bundestagswahl 2013 – sollten die Christdemokraten an Stimmen verlieren – als junger Aufsteiger entdeckt zu werden. Dass nun die rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf platzte, passte so gar nicht in seinen Plan. Denn die am Sonntag bevorstehende Katastrophe im Land könnte ihn in der Partei massiv schwächen. Und aus dem Posten eines Oppositionsführers heraus lässt sich kaum der Anspruch auf Höheres formulieren. Den politischen Gegner dürfte es freuen: Die SPD setzt ganz auf regionale Themen, wirbt mit der Kampagne „NRW im Herzen“. Ehrgeiz in der Politik muss keine schlechte Eigenschaft sein. Röttgen aber hat diese nun geschadet.
3. Er hat sich in der CDU zu viele Feinde gemacht.
Als sich Röttgen den Weg nach oben boxte, mussten immer wieder auch frühere Parteifreunde derbe Hiebe einstecken. Mit seiner Atomkritik hat er nicht nur viele konservative Hardliner gegen sich aufgebracht. Die Feindesliste reicht noch weiter zurück: 2006 etwa wollte Röttgen den mächtigen Vorsitz der CDU-Landesgruppe im Bundestag ergattern. Er kandidierte ausgerechnet gegen seinen ältesten Freund und Förderer – Peter Hintze, der das Amt schließlich bekam. 2009 versuchte er es mit dem Fraktionsvorsitz, wieder erfolglos. Als seine Ambitionen auffliegen, hat er zwei mächtige Feinde: Fraktionschef Volker Kauder und Parlamentsgeschäftsführer Peter Altmaier. Als Röttgen 2010 endlich ein Amt ergatterte – eben das des NRW-Landeschefs – überrumpelte er noch zwei weitere frühere Weggefährten: Andreas Krautscheid, einen mächtigen Provinzfürsten, mit dem Röttgen einst eine WG in Bonn geteilt hatte, und Armin Laschet, einen Freund aus Tagen der Jungen Union, gegen den er kurzerhand einen Mitgliederentscheid durchsetzte. Nun aber soll Laschet an der Seite Röttgens den Landtagswahlkampf führen. Wie leidenschaftlich so etwas sein kann, bleibt fraglich.
Lesen Sie auf der dritten Seite, warum er im Wahlkampf auf die falschen Themen setzte
4. Die Rolle des Polarisierers im Wahlkampf passt nicht zu ihm.
Eigentlich hätte jeder CDU-Spitzenkandidat in NRW leichtes Spiel gehabt. Die rot-grüne Minderheitsregierung war an einem massiven Schuldenhaushalt gescheitert – und bereits 2010 hatte das Landesverfassungsgericht den Regierungsetat für nichtig erklärt. Röttgen ging in die Offensive, krönte die SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zur „Schuldenkönigin“. Doch er ist kein Mann der Attacke. Vielmehr ist er der nüchterne Sachpolitiker; im Bundestag kümmerte er sich jahrelang um den Bürokratieabbau. Er liebt Fakten und Zahlen, weiß sie wie ein braver Schuljunge herunterzubeten. Im TV-Duell gegen Kraft verlor er sich dann in Details – so sehr, dass sich sogar die heute show darüber lustig machte. Röttgen wirkt in seiner Rolle einfach nicht authentisch. [gallery:Tod einer Minderheitsregierung: zwei Jahre Rot-Grün in NRW]
5. Er setzte auf die falschen Themen im Wahlkampf.
Auch, wenn Kraft in Beliebtheitsumfragen zuletzt mit 58 zu 26 Prozent gegen Röttgen führte, hatte er in einem Bereich stets die Nase vorn: in der Wirtschaftspolitik. Tatsächlich galt er schon weit vor seiner Ernennung zum Bundesumweltminister als Experte auf diesem Gebiet, hatte er doch 2009 das ökonomische Sachbuch „Deutschlands beste Jahre kommen noch“ veröffentlicht. Seine Wirtschaftskompetenz hätte ihm in NRW also enorm nützen können. Doch Röttgen verspielte seinen Vorteil ganz klar. Er ließ bis zuletzt offen, wo genau er kürzen wolle, wie der strikte Sparkurs eigentlich aussehen solle. Ein bisschen bei der Bürokratie, das hatte er im TV-Duell angekündigt – doch dass das nicht reicht, ist klar. Und auch bei anderen Themen patzte er: Vor kurzem wollte die CDU etwa noch die Studiengebühren, die Krafts SPD abgeschafft hatte, wieder einführen. Jetzt nicht mehr. Dann forderte Röttgen die Pendlerpauschale. Dagegen müssten eigentlich sowohl der Umweltminister als auch der Wirtschaftsexperte in ihm protestieren. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble fand das „schleierhaft“. Die Pendlerpauschale ist also nichts als billiger Populismus.
6. Am Ende hat er die Nerven verloren.
Röttgen versuchte im Wahlkampfendspurt noch, das Steuer herumzureißen: Er erklärte den Urnengang zur Abstimmung über die Europapolitik der Bundesregierung. Damit landete er beinahe im Straßengraben: Denn Merkel zeigte sich entsetzt, ließ ihn abblitzen. Und Entwicklungsminister Dirk Niebel ätzte, Röttgen sei der beste Wahlkämpfer der Liberalen: „Sein Zögern und Zaudern in der Frage, was er nach der Wahl macht, treibt die Wähler von der CDU zur FDP.“ Röttgen knickte schließlich ein: „Am Sonntag steht nicht der Kurs von Angela Merkel in Europa zur Abstimmung, sondern der Schuldenkurs von Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen.“
Gut möglich, dass dann auch ein ehrgeiziger Klassenbester vorerst kürzer treten muss.
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