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SPD - Letzte Ausfahrt Linksfront

Der SPD und Peer Steinbrück sitzt der Schreck noch in den Gliedern. Wieder hat sich die Sozialdemokratie als nicht konkurrenzfähig erwiesen. Die Erkenntnis reift, dass die SPD ohne die Linke keine wirkliche Machtoption hat

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Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Montag. 9:00 Uhr. Sigmar Gabriels Telefon klingelt. Die Kanzlerin ist am Apparat. Der SPD-Vorsitzende aber ist verhindert. Er ruft sie zwei Stunden später zurück, warum er Angela Merkel warten lässt, bleibt sein Geheimnis. Gabriel vertröstet schließlich Merkels Sondierungsbestreben. Seine Partei müsse am Freitag erst einen Parteikonvent abhalten. Dort werde das weitere Vorgehen beschlossen. Vorher könne er keine Aussagen machen. Angela Merkel zeigt Verständnis.

Die Stimme des Parteivorsitzenden ist frei jedweder Angriffslust. Er wirkt müde. Gemeinsam mit Spitzenkandidat a.D., Peer Steinbrück, stellt sich Gabriel der Presse im Willy-Brandt-Haus, dem Hauptquartier der deutschen Sozialdemokratie. Beide reden, ohne wirklich etwas zu sagen. Wie zwei Nachlassverwalter in schwarzen Anzügen rekapitulieren sie das erneute Scheitern der Sozialdemokratie. Es ist der Tag nach dem Tag X. Aus der Hoffnung hat sich die Erkenntnis geschält: Die SPD ist aus eigener Kraft nicht konkurrenzfähig. Merkel ist eine Überkanzlerin.

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Der erste Schrecken ist einer Ohnmacht gewichen. Der Ball liege bei Angela Merkel, sagen sie. Vorerst dürfen Gabriel und Steinbrück nun nicht mehr mitspielen. Das liegt Ihnen nicht. Steinbrück nicht und Gabriel noch viel weniger. Es gebe keinen Automatismus, der die SPD in eine Große Koalition führe, wiederholen beide. Die Frage, wie hoch der Preis für eine Große Koalition der SPD sei, wo denn die roten Linien für eine Regierungsbeteiligung mit der CDU liegen, beantworten sie nicht.

Träge, fast teilnahmslos beantworten sie Fragen


Ein Satz von Peer Steinbrück aber lässt tief blicken: Man bewerbe sich nicht darum, nachdem Merkel den bisherigen Koalitionspartner ruiniert habe, dessen Nachfolge anzutreten. Bereits in der Elefantenrunde am Wahlsonntag gibt Steinbrück zu Protokoll, dass er seiner Partei kein Bündnis mit Merkel empfehlen wird. Die FDP als lebendes Negativbeispiel dafür, keinen Tanz mit der Superkanzlerin zu wagen. Zu schmerzhaft und frisch sind auch die Erinnerungen der SPD selbst an die Phase der Großen Koalition, als man in der Rolle des Juniorpartners das Land regierte. Der Preis damals: Tiefstwerte in der Wählergunst bei gleichzeitiger Stärkung der buckligen Verwandtschaft von der Linkspartei.

Zwar sind die Zeichen nun andere. Die SPD ist nicht mehr die SPD von 2005. Sie ist besonders in den Ländern stark. Aber die Erinnerungen an 2005 sind noch zu lebendig, als dass man nun blindlings in ein neues Bündnis rennen könnte. Heißt: Parteikonvent. Heißt: Zeit gewinnen. Sollte Merkel doch erst mit den Grünen verhandeln, ein Scheitern schwarz-grüner Gespräche würde den Preis der SPD für eine Koalition weiter in die Höhe treiben.

Allmählich aber begreift die SPD, dass es für sie langfristig keine Machtoption ohne die Linken gibt. Spätestens am Sonntag ist dies auch dem allerletzten Sozialdemokraten klar geworden. Der Versuch, die Partei nach links zu positionieren, um die Linke aus dem Spiel zu nehmen, ist abermals und wohl endgültig gescheitert. Nicht einmal aus dem Westen ist die ungeliebte Konkurrenz wieder verschwunden. Eine neue Strategie muss her.

Will die SPD die Konkurrentin Linkspartei langfristig ausschalten, führt wohl kein Weg an einer herzlichen Umarmung vorbei. Zu Tode umarmen sozusagen. Auch das hat Merkel vorgemacht. Zum jetzigen Zeitpunkt aber ist dies keine Option, weil die SPD zu jeder Zeit und ohne große Not ein rot-rotes Bündnis ausgeschlossen hat. Und Wortbrüche mögen Wähler nicht. Doch mit Blick auf 2017 wird diese rote Linie der SPD fallen. Fallen müssen.

Stoisch blicken Gabriel und Steinbrück ins Atrium des Willy-Brandt-Hauses. Träge, fast teilnahmslos lassen sie letzte Fragen über sich ergehen. Steinbrück wird sich wohl schon bald aus der großen Politik zurückziehen, vielleicht wieder Vorträge halten. Doch Sigmar Gabriel will weiter mitspielen. „Ich bin sicher, wir sehen uns bald wieder“, sagt Gabriel abschließend und lächelt dann doch noch. Vermutlich, weil er weiß, der Ball könnte bald wieder in seinem Spielfeld liegen. Ein Ball in den Farben Rot-Rot-Grün.

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