- „Sexisten sind kommunikationsunfähige Soziopathen“
Ja, wir haben ein Sexismus-Problem, sagt Ex-taz-Chefredakteurin Bascha Mika. Daran würden auch die Bemühungen einiger Politiker, „Altherren-Witze“ als Alltagsphänomen kleinzureden, nichts ändern. Im Interview rechnet die Journalistin mit der Macho-Riege ab
Frau Mika, haben wir in Deutschland tatsächlich ein
derart großes Sexismus-Problem, wie es die aktuelle Debatte
vermuten lässt?
Es wäre naiv so zu tun, als hätten wir damit kein Problem. Wir
leben in einer männerdominierten Gesellschaft. Überall dort, wo die
Machtverhältnisse ungleich verteilt sind, wird Macht ausgespielt –
auch im sexuellen Bereich.
Sexismus lässt sich demnach mit Machtspielchen
übersetzen?
Das ist der entscheidende Punkt. Wir reden schon lange nicht mehr
über Rainer Brüderle und auch nicht über die Gelüste älterer
Männer. Wir reden darüber, was das für eine Gesellschaft ist, in
der es unendlich viele Männer für selbstverständlich halten, dass
Frauen ihnen zur Verfügung stehen. Dabei ist klar: Wenn sich zwei
Menschen einig sind, dann ist im sexuellen und erotischen Bereich
unendlich viel möglich. Doch ohne Einverständnis geht gar
nichts.
Aber kann ein Mann immer so leicht erkennen, ob sein
weibliches Gegenüber einverstanden ist?
Übergriffige Männer befinden sich in einem vorzivilisatorischen
Zustand, schrieb die Berliner Zeitung. Das ist hübsch gesagt, aber
ich halte Männer nicht für zurückgebliebene Kreaturen.
Selbstverständlich können sie Grenzen erkennen. Selbstverständlich
merken sie, ob ihr Handeln auf Zustimmung stößt oder nicht. Wer
sich dazu nicht in der Lage sieht, erklärt sich zum
kommunikationsunfähigen Soziopathen.
Machen wir es konkret: Ein Mann, der auf der Straße
einer Frau hinterherpfeift – ist das sexuelle Belästigung oder
fällt das noch unter Kompliment?
Es gibt sicher Frauen, für die das ein Kompliment ist. Andere
empfinden es als Belästigung. Wir sprechen hier von subjektiven
Grenzen. Niemand bestreitet, dass wir uns in einem Graubereich
befinden.
Ein Sportlehrer, der beim Bockspringen Hilfestellung
gibt und seiner Schülerin dabei an den Po fasst – ist das ein
sexueller Übergriff?
Solche Beispiele sind unsinnig. Es kommt immer auf die Situation
und die Beziehung an. Wenn ich Sie als „blöde Kuh“ bezeichne, ist
das eine Beleidigung. Wenn ich es ironisch zu meiner Schwester
sage, ist es etwas völlig anderes. Und was das Verhältnis von
Lehrern und Schülern angeht - das ist besonders heikel, weil es
sich hier um Schutzbefohlene handelt.
Aber besteht nicht die Gefahr, dass Männer, eben weil es
so schwer ist Grenzen zu ziehen, unbeabsichtigt in die Täterrolle
rutschen?
Sprich: Männer sind unsensibel und nicht in der Lage zu merken, was
der Andere will? Ist das nicht ein ziemlich sexistisches
Denken?
Brüderles „Altherrenwitz“ fällt also klar in die
Kategorie Sexismus?
Wenn das, was die Kollegin aufgeschrieben hat, seine Richtigkeit
hat – und davon gehe ich aus – war Brüderle übergriffig. Sie wollte
mit ihm über Politik reden, er starrt ihr auf die Brüste und macht
schlüpfrige Bemerkungen. Diese Situation ist relativ eindeutig.
Bis heute hat sich Brüderle weder zu den Vorwürfen
geäußert, noch hat er sich bei Laura Himmelreich entschuldigt. Weil
er sich keiner Schuld bewusst ist? Was vermuten Sie?
Wir wissen nicht, was Rainer Brüderle denkt. Eine Entschuldigung
wäre angebracht. Das heißt aber nicht, dass damit die Debatte
beendet ist. In unserer hypersexualisierten Gesellschaft wird uns
permanent Sex und Erotik als Ware angeboten – und zwar meist im
Zusammenhang mit dem weiblichen Körper. Das führt dazu, dass dieser
Körper als verfügbar gilt, vor allem für Männer. Das ist die
Grundlage für sexuelle Übergriffe. Darüber müssen wir reden!
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Statt Brüderle haben sich andere FDP-Politiker zu Wort
gemeldet. FDP-Generalsekretär Patrick Döring etwa sagte, Brüderle
sei ein „charmanter Mann“ und die Vorwürfe „aufgebauscht“. Die
jungen Liberalen Rheinland-Pflanz forderten für den „unfairen
Artikel“ eine Entschuldigung vom Stern ein.
Unsäglich! Rainer Brüderle ist ein charmanter älterer Herr mit
einer speziellen Art zu flirten – hallo? Geht es hier ums
Flirten? Das ist unverschämt verharmlosend. Hätten wir es nicht
schon vorher gewusst, wäre hier der Beweis, dass wir diese Debatte
führen müssen.
Wibke Bruhns versuchte am vergangenen Sonntag bei
Günther Jauch das Problem als naturgegeben zu erklären – Männer
sind Stiere, Frauen sind Kühe. Das sei nun mal so...
Genau, und wenn der Stier der Kuh zu nahe kommt, muss die Kuh sich
wehren. So ist das weibliche Leben. Ach, wirklich? Wenn selbst eine
Frau, die ich sehr schätze, solche Beispiele benutzt, leben wir
vielleicht doch noch in einem vorzivilisatorischen Zustand.
[gallery:#aufschrei: Der ganz alltägliche Sexismus]
Das Problem liegt nicht bei der Frau, die zu feige ist,
sich zu wehren?
Hier geht es nicht um Feigheit.
In den vergangenen Tagen haben immer häufiger Männer
Konter gegeben und beklagt, sie seien auch Opfer – das würde aber
niemanden interessieren.
Ich wein‘ gleich.
Sie sind anscheinend anderer Meinung…
Selbstverständlich werden auch Männer belästigt und darauf
hinzuweisen, gehört zur öffentlichen Auseinandersetzung dazu. Aber:
In einer männerdominierten Gesellschaft sind in der Regel Frauen
die Opfer von Sexismus, und das ist ein Massenphänomen. Wir reden
über Machtverhältnisse. Und die sind in unserer Gesellschaft
eindeutig verteilt. Ein Mann muss sich selten davor fürchten, von
einer Frau sexuell übergriffig behandelt oder gar vergewaltigt zu
werden.
Sexismus ist absolut kein neues Thema. Warum ist es
dennoch so plötzlich akut?
Die Brüderle-Debatte hat eine Büchse der Pandora geöffnet. Junge
Frauen, wachsen heute – glücklicherweise – mit dem Gefühl auf, sie
seien frei und gleich. Irgendwann stellen sie dann fest, dass die
Verhältnisse vielleicht doch nicht so gleich sind, dass es
Diskriminierung und Sexismus noch immer gibt. Durch diesen Vorfall
haben viele Frauen offenbar festgestellt, dass sie mit ihrer
Erfahrung, als sexuelles Objekt behandelt zu werden, nicht alleine
sind. Das hat diese unglaublich starke Reaktion ausgelöst.
Einerseits debattieren wir sehr pathetisch über
Sexismus, andererseits geht Christian Ulmen am 14.
Februar auf Tele 5 mit der Show
„Who wants to fuck my girlfriend” auf Sendung. Wie passt das
zusammen?
Echt?
Ja. Zwei Männer treten gegeneinander an –
beziehungsweise deren Freundinnen. Die müssen nämlich Punkte
sammeln. Wer die meisten anzüglichen Angebote von anderen Männern
kassiert hat, gewinnt. Als Preis gibt es für den Mann der
Gewinnerin eine schöne Scherpe mit der Aufschrift „Everyone wants
to fuck my girlfriend“.
Das kann nicht wahr sein. Warum geht so ein Dreck auf Sendung und
wieso gibt sich irgendjemand dafür her? Hier muss sich unsere ganze
Kultur ändern.
Und wie?
Wir müssen dafür sorgen, dass sexistische Anmache gesellschaftlich
nicht akzeptiert wird. Für die Brüderle-Unterstützer ist Sexismus
ein Alltagsphänomen, das zur Beziehung von Männern und Frauen
einfach dazugehört. Das ist Steinzeit. Das Ziel muss sein, das
Machtgefälle aufzuheben. Wenn sich Männer und Frauen auf Augenhöhe
begegnen, dann wird es mit den sexuellen Übergriffen nicht mehr so
einfach.
Bascha Mika ist Journalistin und Publizistin. Von 1999 bis 2009 war sie Chefredakteurin der „taz“.
Das Gespräch führte Jana Illhardt
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