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(picture alliance) Ex-Kommissare Stefan Deininger und Franz Kappl im Einsatz

Ex-Tatort-Kommissar - „Die Quote sagt nichts über die Qualität“

Der letzte Tatort mit den zweien aus MünsterKölnMünchenBremenWasweißich hat sich ganz gut verkauft - aber muss er deswegen gut sein? Nein, stoßseufzt der Ex-Tatort-Kommissar Gregor Weber im Cicero

Man könnte denken, dass ich Schauspieler bin. Oder Autor. Beides falsch. Ich bin Tatort-Kommissar. Beziehungsweise Ex-Tatort-Kommissar, aber das soll hier egal sein.

Tatort-Kommissar ist eine gültige Berufsbezeichnung an der Grenze zur persönlichen Eigenschaft. Jemand, der, bevor die Zeitungen melden, dass er Tatort-Kommissar wird, Schauspieler war, hat wahlweise: einen Ritterschlag erhalten, ist in große Fußstapfen getreten, wird der neue Schimanski, auch gerne der neue weibliche Schimanski oder – mittlerweile ein großer Renner – ist der jüngste Tatort-Kommissar aller Zeiten.

Fest steht: Das Label wird man nicht mehr los. Nie. Und es darf als Konsens gelten, dass es ein Schauspieler geschafft hat, wenn er Tatort-Kommissar wird. Aber was genau hat man denn da geschafft?

Nun, man ist Hauptdarsteller in der renommiertesten Krimireihe des deutschen Fernsehens, zu sehen auf dem besten Sendeplatz, vor dem aufgeschlossensten und klügsten Publikum. Die Redakteure, die die inhaltliche Verantwortung für die Filme der Reihe tragen, sind durch die Bank ausgewiesene Film- und vor allem Krimiexperten mit genauem Gespür sowohl für die drängenden Themen des bundesrepublikanischen Augenblicks als auch die ganz allgemeinen sozialen, zwischenmenschlichen und psychologischen Dramen der Gegenwart. Nur die besten Autoren und Regisseure arbeiten für dieses Format, Letztere wiederum suchen sich die innovativsten Kameraleute, was sich in den Qualitätsansprüchen an jeden Einzelnen in den Teams fortsetzt.

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Dann engagiert die Produktionsfirma die bestmöglichen Schauspieler für die Episodenrollen, jeder von ihnen weiß, dass der sonntägliche Auftritt von Millionen Zuschauern gesehen wird und wie ein Nachbrenner im Jet-Triebwerk seiner Karriere unaufhaltsam Schub verleiht. All das zu finanzieren, ist unproblematisch. Die Budgets sind hoch, und die Produktionsfirmen stecken nahezu jeden Cent in die Steigerung der Qualität. Beim Tatort wird zu Spitzengagen gearbeitet. Und deswegen sitzen die Zuschauer an gut 35 Sonntagen des Jahres um 20:15 Uhr auch immer wieder atemlos vor diesen fesselnden Filmen; Getränke und Salzstangen bleiben unberührt, der Anrufbeantworter ist eingeschaltet, und die kleinen Kinder, sonst von permissiver Pädagogik sanft geschaukelt, fliegen an jenen Abenden kommentarlos und unter strikten Schweigegeboten spätestens um 20:10 Uhr in die Federn.

Okay.

Die meisten in den letzten Absätzen aufgestellten Behauptungen waren leider unwahr oder zumindest eine, na ja, „optimierte Version“ der Wirklichkeit. Eine Sprachregelung, würde man es in Kommunikationsabteilungen nennen. Sprachregelungen erstellen solche Abteilungen zu für die Firma heiklen Themen, die von so eindeutig öffentlichem Interesse sind, dass man sie nicht elegant beschweigen kann. Der Tatort gehört wahrscheinlich zu den Lieblingsspielwiesen der Sendersprecher des ARD‑Verbunds, weil es hier, ihrer Meinung nach, nie Katastrophen zu beschönigen gilt, sondern stets Rekorde und Verdienste zu verlobhudeln.

Man soll von Kommunikationsabteilungen nicht erwarten, dass sie Produkte ihrer Firma objektiv bewerten, das ist nicht ihr Job. Und kein Abteilungs- oder Projektleiter – sprich Tatort-Redakteur – wird dem Firmensprecher in zur Veröffentlichung gedachten Stellungnahmen ernsthaft von Qualitätsproblemen erzählen. Würde ja den eigenen Stuhl in Flammen setzen! Was beim Fernsehen allerdings niemandem bewusst zu sein scheint: Das Produkt selbst stellt eine Kommunikation des Senders mit der Öffentlichkeit dar. Und die acht bis zwölf Millionen Zuschauer, die der Tatort vor die Glotze lockt, haben eine gegen null tendierende Schnittmenge mit der Nachmittagsmeute vor RTL und Co. Will sagen, der Tatort-Zuschauer kann in der Regel Filme lesen und beurteilen.

Seite 2: Die Quote sagt gar nichts über die Qualität

„Ha!“, sagt jetzt der Tatort-Redakteur, „das ist der Beweis! Wir können doch gar nicht falsch liegen, bei der Quote.“

Ach ja, die Quote …

Die Quote, lieber Redakteur, und ich bin dankbar, dass ich diese steile These endlich einmal öffentlich loswerden darf, die Quote sagt doch gar nichts über die Qualität. Die Quote sagt auch nicht, dass die Zuschauer den Film gut finden, den sie gerade gucken. Die Quote spiegelt nur die Erwartung, die die Zuschauer an den Film haben. Weil sie die Schauspieler irgendwie gut finden oder weil man so nett lachen kann über die Schrullen der Ermittler. Weil der letzte Tatort mit den zweien aus MünsterKölnMünchenBremenWasweißich ganz gut oder sogar toll war. Vor allem aber sagt die Tatort-Quote eines: Gebildete, kulturell interessierte Bürger haben Sonntagabend, 20:15 Uhr Zeit, der Krimireihe zuzugucken, mit der sie aufgewachsen sind.

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Der Sendeplatz ist für das Fernsehen, was die Lage für Immobilienmakler ist. Die Lizenz zum Gelddrucken beziehungsweise Quote zu generieren. Und wozu braucht die ARD Quote? Nicht für die Werbung, der Zahn sei hier gezogen. Nein, Redaktion und Produktionsfirma brauchen die Quote als Nachweis, dass sie erfolgreich gearbeitet und die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Kritiker sind unberechenbar, Preise gibt es zu selten und wenn, dann zu lange nach der Ausstrahlung, aber die Quote, die liegt am Morgen danach auf dem Tisch. Und wenn man sie zum Maßstab macht, enthebt einen das von jeder Reflexion über die Qualität des Produkts. Es hat sich gut verkauft, also ist es gut.

Diese Haltung durchzieht den Apparat ARD, von Ausnahmen abgesehen. Doch die kommen offenbar wenig zu Wort, ganz so, wie man es als Kreativer kennenlernt, dem Quote egal ist, aber der Anspruch alles. Denn das System ist leider maßgeschneidert für Anspruchslosigkeit. Stoffe für den Tatort werden nicht entwickelt, weil jemand unbedingt diese Geschichte erzählen will und ein anderer an diese Unbedingtheit glaubt. Nein, sie werden entwickelt, weil ein Sender mit diesem oder jenem Team einen bis drei Filme pro Jahr in die Reihe einspeist und das Geld dafür da ist und nur abgerufen werden muss. Und der Auftrag geht an eine Produktionsfirma nicht, weil sie sich überzeugend präsentiert hat, sondern weil sie – bis auf sehr seltene Ausnahmen – der Sendeanstalt oder der Gesamt-ARD gehört und deswegen Aufträge braucht, die ihre Existenz rechtfertigen.

Seite 3: Die Skills haben nichts mit Kreativität und künstlerischer oder intellektueller Urteilskraft zu tun

Alleine die Bavaria Film (im Wesentlichen der ARD gehörend) und sechs ihrer Tochterfirmen produzieren Tatorte in Reihe für sieben von neun ARD-Anstalten. Der NDR wird von Studio Hamburg bedient, auch eine ARD-Tochter. Der Hessische Rundfunk produziert seine Tatorte immerhin komplett selbst, und der MDR hat die Neuentwicklung für einen Tatort Erfurt frei ausgeschrieben.

Solch interne Auftragsvergabe muss nicht zwangsläufig zu minderer Qualität führen. Die Firmen sind professionell und erfahren. Und es gibt ja auch immer wieder mal gute bis herausragende Tatorte. Aber das Hauptbedürfnis eines systemisch organisierten Apparats liegt in der Bestandserhaltung. Also soll es laufen wie gehabt und lieber nicht wie erträumt. Wagemut ist keine verlässliche Basis. Lieber ein Konsensprodukt als einen Ausreißer nach oben, der immer auch das Risiko des Ausreißens nach unten in sich trägt. Man darf sich vorstellen, dass letzten Endes immer eine graue Runde von Funktionären auf Firmen- und Senderebene über die Stoffe entscheidet. Die Skills, die für Karrieren in solchen Apparaten nötig sind, haben nichts mit Kreativität und künstlerischer oder intellektueller Urteilskraft zu tun. Immer weniger Redakteure sind selbst Profis des Erzählens, Produzenten in diesem Bereich sowieso nicht.

Kreative, die den Willen und das Talent haben, Kriminalgeschichten des 21. Jahrhunderts in das leider nur noch nominell edelste Format des deutschen Fernsehens einzubringen, verzweifeln über der achten Fassung ihres Drehbuchs, weil die einzige Kritik des Redakteurs in dem Satz bestand: „Ich weiß nicht, irgendwie macht mich der Stoff nicht mehr an.“ Verträge, die ein TV‑Autor heutzutage abschließt, bestehen aus plumpen Enteignungsparagrafen. Zu jeder Zeit kann der Autor durch einen anderen ersetzt werden, stets ist der Redakteur Alleinentscheider über Abnahme oder Zurückweisung der aktuellen Fassung. Und die letzte Fassung schreibt immer öfter der Regisseur – das gibt noch mal Extrakohle. Unter solchen Umständen wird die Annahme von „Kritik“ zur reinen Überlebensfrage für den Künstler. Das machen die wirklich guten Autoren nicht lange mit, so eine Politik zieht lediglich Jasager an, die die Chance wittern, ihre künstlerische Minderbegabung durch Hörigkeit wettzumachen. Und das funktioniert. Der Apparat stülpt also die Karrierekriterien einer starren Verwaltung über den Kreativbereich, in dem eigentlich der Streit um die überwältigende Vision im absoluten Zentrum zu stehen hätte.

Soll sich also keiner wundern, wenn er Sonntagabend, 20:15 Uhr in der ARD mal wieder das Gefühl hat, dem unbeholfen in Krimiform gebrachten Monatsbericht eines Gleichstellungsbeauftragten zuzugucken.

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