Er kannte alle Regierungschefs der Republik persönlich, ging bei vielen Ministern privat ein und aus. Und war in 50 Jahren auf 135 Kanzlerreisen. Mainhardt Graf von Nayhauß ist Deutschlands dienstältester Kolumnist
Es sind nur noch fünf Fernseher, die in seinem Büro stehen und ständig flimmern. Früher waren es sieben, aber fünf reichen ihm, um Berlin im Blick zu behalten. Den Eindruck allerdings, er schaffe es nicht mehr, jedes Hüsteln der Politik hautnah zu verfolgen, er sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit oder gar zu alt, diesen Eindruck möchte Mainhardt Graf von Nayhauß gar nicht erst aufkommen lassen, trotz seines Alters. Seinen 80.Geburtstag hat der Journalist im Juli gefeiert und noch immer hat er einen Fulltime-Job: Pressekonferenzen, Sommerfeste, Staatsbesuche, das volle Programm. Von einer 40-Stunden-Woche ist da nur zu träumen und auch technisch geht Nayhauß mit der Zeit. Er schreibt auf einem handlichen Notebook und versendet seine Texte von überall in der Welt per Handy und Funkkarte.
Mainhardt Graf von Nayhauß ist eine politische Institution und ein Fossil unter den Journalisten in der Hauptstadt. Seit 50 Jahren berichtet er aus Bonn und Berlin, er kannte alle sieben Bundeskanzler persönlich, ging bei vielen Ministern privat ein und aus, und er ist stolz auf die journalistische Begleitung von insgesamt 135 Kanzlerreisen. Ein Leben als Zaungast der großen Politik. Immer auffällig unauffällig, immer elegant gekleidet. Das Einstecktuch ist sein Markenzeichen geworden. Immer akkurat gefaltet, immer farblich passend zur Krawatte.
Nayhauß war unter anderem beim Spiegel und beim Stern. Er arbeitete für die legendären, aber längst vergessenen Zeitschriften Quick und Jasmin. Seit 31 Jahren schreibt er seine bei Politikern gefürchteten Kolumnen, erst für die Welt, anschließend 24 Jahre lang für die Bild-Zeitung. Viermal wöchentlich, insgesamt über 4000-mal, plauderte der Graf dort unter den Titeln „Bonn vertraulich“ und „Berlin vertraulich“ über die kleinen Schwächen der Politiker und ihre großen Auftritte, über ihre privaten Fehltritte und ihre Lieblingsspeisen. Lange bevor das schöne Wort Infotainment erfunden wurde, war ihm die Frage, wer die Tapeten im Kanzleramt ausgesucht hat, genauso wichtig wie die Suche nach den Strippenziehen in den Hinterzimmern der Macht.
Doch Unterhaltung ist auf dem politischen Parkett nicht jedermanns Sache. Kollegen rümpfen die Nase, Minister nennen ihn „Giftspritze“, Beamte machen abfällige Handbewegungen. Aber gelesen haben sie Nayhauß alle, schließlich ist auch im Regierungsviertel nichts spannender als der neueste Klatsch am Hofe. „Infotainment ist nichts Schlechtes“, sagt Nayhauß, „ich versorge die Leser auf dem Weg über die Unterhaltung mit Informationen.“
Nur macht man sich damit nicht nur Freunde. Minister haben den Grafen beschimpft, weil dieser über ihre Augenringe nach nächtlichen Sitzungen schrieb. Kanzler haben ihm wegen vermeintlich böser Bemerkung den Handschlag verweigert. Sie haben Nayhauß am Telefon angeblufft oder ihm Rechtsanwälte auf den Hals gehetzt. Doch bei den meisten hat sich der Zorn irgendwann wieder gelegt. Denn nur eins ist schlimmer als seine despektierlichen Bemerkungen: Wenn ein ehrgeiziger Politiker gar keine Erwähnung mehr in seinen Kolumnen findet, muss er befürchten, dass es mit der Karriere begab geht. Dass er Macht gehabt hat, politische Karieren zu befördern und zu behindern, das hört Nayhauß allerdings nicht gerne. Der Einfluss von Journalisten werde überschätzt, sagt er mit viel Understatement, er habe lediglich die Macht, „die da oben ein wenig zu ärgern“.
Das Geschäft des Politiker-Ärgerns ist allerdings nicht mehr so einfach. Früher stand Nayhauß ganz alleine, heute machen ihm viele Kollegen Konkurrenz. Es menschelt in allen Gazetten. Zudem sind die Politiker zurückhaltender geworden, sie schirmen ihre Familie ab, pochen auf ihre Privatsphäre und verweigern sich Homestories. Nayhauß hat dafür kein Verständnis, die Wähler hätten ein Recht zu erfahren, wie die Politiker leben. Früher hätten die Privathäuser der Politiker offen gestanden, heute stünden Journalisten immer häufiger vor verschlossenen Türen, für ihn ist das „spießerhaftes Getue“.
Vor einem Jahr musste Nayhauß von der ganz großen Bühne abtreten. Die Bild-Zeitung schob ihn aufs Altenteil. Nach 24 Jahren war Schluss mit der täglichen Kolumne. Einmal in der Woche darf er in dem Boulevardblatt noch seine Top Ten zum Besten geben. „Schmerzlich“ war der Abschied, räumt er ein, doch wer gehofft hatte, Mainhardt Graf von Nayhauß zieht sich nun in sein Feriendomizil in Südfrankreich zurück, der wurde enttäuscht. Er will es weiter wissen. Er schreibt nun zusätzlich für Bunte und Super Illu, und er veröffentlicht seine Kolumnen auch in der Netzeitung.
Aufhören kommt Mainhardt Graf von Nayhauß überhaupt nicht in den Sinn. Schreiben ist für ihn Erfüllung. So lange es geht, Rosen züchten sollen andere. Dass er von seinen jungen Kollegen irgendwann nur noch milde belächelt wird, davor hat er keine Angst. Er habe keine Komplexe wegen seines Alters, sagt er, außerdem schone er sich nicht. Hilfe brauche er keine, nicht einmal auf langen Reisen. Seinen Koffer hebe er immer noch alleine ins Gepäckfach, fügt er stolz hinzu. Nein, aufs Altenteil lässt sich Graf von Nayhauß nicht abschieben. Als die Kanzlerin ihn im Frühjahr aus „Platzmangel“ von ihrer Maschine zum Staatsbesuch nach Peking strich, flog er auf eigene Faust hinterher. Es war für ihn wohl auch eine Frage der Ehre.
Christoph Seils ist Politologe und arbeitet in Berlin als freier Journalist für überregionale Zeitungen und Zeitschriften
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