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Roma in Deutschland - „Kosovo ist kein sicherer Herkunftsstaat“

Das Kabinett hat heute beschlossen, Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Die einstige Asylbewerberin und Roma-Anwältin Nizaqete Bislimi hält davon nichts. Sie fordert, Roma-Flüchtlingen vom Balkan das Asylrecht zu gewähren

Autoreninfo

Scholz, Claudia

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Nizaqete Bislimi ist gebürtige Roma.1993 floh sie aus dem Kosovo mit ihrer Familie nach Deutschland. Heute arbeitet die 36-Jährige als Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Ausländerrecht in einer Essener Kanzlei. Gerade erschien ihre Autobiografie „Durch die Wand: Von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin“.

Frau Bislimi, wenn der Gesetzentwurf zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten bei Ihrer Ankunft in Deutschland schon umgesetzt gewesen wäre, hätten Sie gar nicht so lange bleiben können.
Das stimmt. Damals hieß es aber auch schon, dass Geflüchtete aus den Westbalkanstaaten gar keine Erfolgsaussicht in Deutschland haben. Heute, 22 Jahre später, bin ich noch hier. Wenn ich heute den gleichen Antrag noch mal stellen müsste, hätte ich vermutlich keine Chance mehr.

Was war damals anders als heute? Wie sind Sie der Abschiebung entgangen?
Der Krieg brach 1999 im Kosovo aus. Da konnten wir faktisch nicht zurück. Als der Krieg zu Ende war, haben wir uns gegen die Abschiebung gewehrt. Wir hatten die Hilfe eines Anwaltes und haben die Duldung immer wieder verlängert. Die Zeit war unser Freund.

Aber Sie haben die Aufschubzeit auch genutzt.
Meine Schwester und ich hatten Glück, dass wir die Internationale Förderklasse einer Gesamtschule besuchen konnten. Überproportional häufig werden Flüchtlingskinder, vor allem Roma-Kinder, nämlich Hauptschulen zugewiesen. Dort erhalten sie aber nicht die notwendige Unterstützung. Nach fünf Jahren machte ich Abitur und bewarb mich direkt beim Akademischen Auslandsamt der Uni Bochum für ein Jura-Studium, obwohl mir zuvor die Sachbearbeiterin des Ausländeramts gesagt hatte, ich dürfte nicht studieren. Doch wegen meines deutschen Abiturs wurde ich von der Uni angenommen. Erst als ich bereits als Referendarin im Staatsdienst tätig war, wurde mir der Aufenthalt in Deutschland genehmigt.

Von vielen erfolgreichen Roma weiß man in Deutschland nichts, weil sie ihre Identität nicht preisgeben. Auch Sie verschwiegen lange Ihre Herkunft.
In Deutschland gibt es einen besonderen Rassismus gegenüber Roma. Die Abneigung sitzt sehr tief. Durch pauschale Behauptungen von Asylmissbrauch wird das fortgeführt. Roma, die seit Jahrzehnten in unserer Gesellschaft leben, haben immer noch Angst, dass ihre Identität herauskommt, dass sich dann die Kollegen anders verhalten, weil sie einen „Zigeuner“ unter sich haben, oder den Job verlieren und ihre Kinder diskriminiert werden. Das ist eine berechtigte Angst.

Wie helfen Sie anderen Menschen vom Balkan, ihren Antrag durchzubekommen?
Ich bin ganz offen zu den Menschen und sage, ob es für sie eine Chance gibt. Das bestehende Asylrecht kann ich nicht verändern. Ich schaue aber, ob es die Möglichkeit gibt, den Fall aufenthaltsrechtlich zu lösen. Wenn beispielsweise jemand schon mehrere Jahre hier ist, die Kinder erfolgreich die Schule besuchen und zum Beispiel die Aussicht auf eine Beschäftigung besteht oder bereits eine Beschäftigung ausgeübt wird, dann prüfe ich, ob die Bleiberechtsregelung Anwendung findet oder ob möglicherweise ein Härtefallantrag bei der Härtefallkommission Erfolg verspricht.

[[{"fid":"67010","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1001,"width":750,"style":"width: 200px; height: 267px; margin: 5px 3px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Ist der Kosovo für Sie heute ein sicherer Herkunftsstaat?
Für Roma ist der Kosovo kein sicherer Herkunftsstaat. Roma werden dort massiv diskriminiert und aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Schutz können sie nicht erhalten. Die Arbeitslosigkeit liegt für Roma in Prishtina nach Schätzungen von UNICEF bei 100 Prozent. Wo ist da die Sicherheit? Roma-Flüchtlingen vom Balkan sollte deshalb das Asylrecht gewährt werden. Und außerdem: Auch die Bundeswehr ist im Kosovo noch immer stationiert. Wenn es ein sicherer Staat wäre, hätten sie doch die Truppen schon längst abgezogen. Das widerspricht sich. Die Zahlen der Asylanträge aus dem Kosovo für August 2015 sind stark rückläufig. Es gibt gar keinen Bedarf, Kosovo nun auch noch als sicheren Herkunftsstaat einzustufen.

Wenn die Roma aufgenommen werden sollen, dann hieße das im Umkehrschluss, dass die Mehrheitsbevölkerung des Kosovo kein Recht auf Asyl hat, da sie keinen Angriffen ausgesetzt ist.
Selbstverständlich. Wenn keine Verfolgung vorliegt, dann besteht keine Anerkennungsmöglichkeit.

Seit 1990 sind 300 Millionen Euro an Krediten und 180 Millionen an Direktgeldern von der Bundesrepublik an den Kosovo geflossen. Was ist damit passiert?
Eine gute Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann. Diese Frage sollte der kosovarischen Regierung gestellt werden.

Was halten Sie von der Quotenregelung der EU?
Man hat eine Einigung erzielt, ohne dass Einigkeit geherrscht hat. Ich habe mich gefragt, wie die Flüchtlinge in den Ländern aufgenommen werden. Sie müssen sich in Ländern eine Existenz aufbauen, in denen sie wohl unerwünscht sind. Man kann diesen Menschen doch nicht vorschreiben, wo sie leben sollen. Als ehemalige Geflüchtete habe ich mich gefragt, wie ich mich in ihrer Lage gefühlt hätte. Schrecklich.

Innenminister de Maizière will statt Bargeld Sachleistungen an Flüchtlinge ausgeben, um Asylmissbrauch zu verhindern. Ist das eine gute Lösung?
Das macht mich sprachlos. Artikel 1 unseres Grundgesetzes sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Und das Bundesverfassungsgericht hat vor zwei Jahren gesagt: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Den Flüchtlingen muss neben Sachleistungen auch ein Teil Bargeld zustehen, über den sie frei verfügen dürfen. Da fängt Würde an. Meine Schwestern und ich empfanden das Bezahlen mit Gutscheinen damals als extrem erniedrigend. Wir wollten dazugehören, doch durch das Gutscheinsystem wurden wir nur noch mehr ausgegrenzt. Die Bezeichnung „Taschengeld“ halte ich im Übrigen für unpassend.

Ist denn die Sorge unberechtigt, dass Flüchtlinge vom Balkan, die sowieso keine Aussicht auf Asyl haben, nur wegen des Geldes herkommen?
Das sind Scheinargumente. Was heißt denn überhaupt Missbrauch? Was soll Fehlanreiz bedeuten? Dann sollten doch eher die Verfahren ordentlich und schneller mit vertretbaren Ergebnissen geführt werden. Aber den verfassungsgesetzlichen Grundsatz kann man doch nicht so einfach wegargumentieren.

Was halten Sie von Merkels Lavieren in der Flüchtlingskrise?
Ich würde mir wünschen, dass sie klare Politik betreibt. Wir Anwälte müssen beispielsweise auch eine klare Haltung vertreten, um überzeugen zu können und glaubwürdig zu erscheinen. Wir sind ein Einwanderungsland, dazu sollten wir uns bekennen. Wir sollten unsere Gesetze darauf ausrichten. Und nicht anfangen, unsere ganzen Grundsätze auf den Kopf zu stellen.

Dieses Jahr sollen laut Innenminister de Maizière 800.000 Flüchtlinge kommen. Er sagt: „Wir können nicht alle aufnehmen.“
Für mich ist es zunächst nicht ganz schlüssig, wie diese Zahl von 800.000 ermittelt wurde. Außerdem: Nicht alle Flüchtlinge sind glücklich in Deutschland und wollen für immer bleiben. Ich habe zum Beispiel Mandanten aus Syrien, die es kaum erwarten können, wieder in ihr Land zurückkehren zu können. Oder um nur ein Beispiel zu nennen: Nach dem Bosnienkrieg sind über 90 Prozent der bosnischen Kriegsflüchtlinge wieder zurückgegangen. Menschen kommen, Menschen gehen. Manche bleiben. Darauf sollten wir uns einrichten.

Das Interview führte Claudia Scholz

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„Durch die Wand. Von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin“, DuMont Verlag, 240 Seiten, 19,99 Euro

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