- Bernd Lucke hat fertig, die AfD aber noch lange nicht
Eine Spaltung der AfD wird immer wahrscheinlicher, aber alle Nachrufe auf die Partei kommen zu früh
Er war einer der Ersten, die das Potenzial einer neuen Partei erkannten. Er war ihr erstes prominentes Zugpferd, ein Bestsellerautor und nach dem Austritt aus der CDU ihr erster Bundestagsabgeordneter. Doch die Geister, die er rief, wurde er nicht wieder los. Bitter beklagte er sich über die Unterwanderung durch radikale sowie verfassungsfeindliche Kräfte und trat ein Jahr nach der Parteigründung frustriert aus, viele Mitglieder folgten ihm. „Die Zeit“ schrieb über ihn: Er sei ein „schwieriger Charakter“, „beinahe stolz auf seine ´Ecken und Kanten´, seine Unfähigkeit, persönliche und sachliche Angriffe klaglos wegzustecken.“
Nein, die Rede ist hier nicht von Bernd Lucke, sondern von Herbert Gruhl, dem konservativen Vordenker ökologischer Politik und Mitbegründer der Grünen.
Die AfD wiederholt grüne Parteigeschichte
Nach dem Rückzug von Gruhl erschienen 1981 zahllose Nachrufe auf die junge, aber zerstrittene Partei, die in Bremen und Baden-Württemberg gerade in die ersten beiden Landesparlamente eingezogen war. Doch die Grünen waren nach dieser Spaltung, bei der sie ungefähr ein Drittel ihrer Mitglieder verloren, mitnichten am Ende. Zwei Jahre später zogen sie in den Bundestag ein.
Die Ökologisch Demokratische Partei (ödp) hingegen, die Herbert Gruhl anschließend gründete, fristete nur ein Nischendasein. „Wenn wir dem Wähler begreiflich machen können, dass wir seriös sind und diesen ganzen Unsinn beiseiteschieben, der da um sich gegriffen hat, sind wir auch wählbar“, erklärte Gruhl kurz vor seinem Abschied von den Grünen. Den Wählern jedoch gefiel der linke Unsinn besser als eine seriöse konservative Ökologie.
Es scheint so, als würde sich bei der AfD derzeit Geschichte wiederholen. Als würde auch die AfD schon bald einen ihrer prominenten Gründerväter verlieren. Wieder einmal frisst eine parteipolitische Revolution in Deutschland einen ihrer Väter. Wie Gruhl bereitet auch Lucke offenbar die Gründung einer neuen Partei vor, wie Gruhl ist auch Lucke ein schwieriger Charakter. Und wie 1981 bei den Grünen werden nun auch auf die AfD bereits viele Nachrufe verfasst.
Womöglich jedoch kommen wie einst bei den Grünen auch die Nachrufe auf die AfD zu früh.
Lucke fehlt jeder politische Instinkt
Lucke, so viel scheint mittlerweile festzustehen, ist als Vorsitzender der AfD gescheitert. Auch nach den Wahlerfolgen der letzten Monate, nach dem Einzug in das Europaparlament und in fünf Landtage, kommt die AfD nicht zur Ruhe. Noch Anfang des Jahres sah es so aus, als sei Lucke für die Partei unverzichtbar. Aber dann häuften sich die Fehler und es zeigte sich: Dem Europaabgeordneten und Professor der Volkswirtschaft, der mehr als drei Jahrzehnte CDU-Mitglied war, fehlt jeder politische Instinkt, jedes politische Gefühl, jede politische Integrationskraft. So hat der AfD-Chef in den letzten Monaten so ziemlich alles falsch gemacht, was ein Politiker falsch machen kann.
Lucke hat nicht versucht, möglichst viele Mitstreiter für seinen politischen Kurs zu gewinnen, sondern viele Wohlmeinende vor den Kopf gestoßen. Letztendlich ist er an der Spitze der AfD immer der rechthaberische Ordinarius geblieben. Einer, der keine Mitstreiter auf Augenhöhe duldet, die Partei demokratisch-zentralistisch führt und politisch immer das letzte Wort haben muss. Von Basisdemokratie redet Lucke nur, wenn es ihm nützen könnte.
Schon Ende Januar hat er die AfD auf dem Parteitag in Bremen erpresst, um seine Satzungsänderung gegen Widerstände durchzusetzen. Fortan sollte die AfD nicht mehr drei Sprecher haben, sondern nur noch einen Vorsitzenden sowie einen Generalsekretär. Jetzt greift er vor dem Parteitag in Kassel Mitte Juni wieder zum Mittel der Erpressung, um seine personellen und politischen Vorstellungen durchzusetzen. Aber anders als in Bremen kommt in Kassel nicht die Basis, die Lucke verehrt, zusammen, sondern es gilt das Delegiertenprinzip. Bei der Wahl der Delegierten sollen sich in vielen Landesverbänden Lucke-Kritiker durchgesetzt haben.
Um einen politischen Richtungsstreit jedoch geht es bei dem Machtkampf in der AfD nur vordergründig. Die AfD war nie nur eine wirtschaftsliberale Anti-Europartei. Sie verdankte ihren Erfolg immer dem Bündnis von Nationalliberalen und Konservativen, von Rechtspopulisten und Islamkritikern. Auch Lucke hat die Öffnung nach rechts betrieben, solange er davon profitieren konnte. Erst als er seine Mehrheit in der Partei schwinden sah, begann er über Sektierer, chronische Nörgler oder Menschen mit bizarren Verschwörungstheorien zu klagen. Erst auf dem Höhepunkt der innerparteilichen Auseinandersetzungen klagen Lucke und seine Mitstreiter nun, sie seien „nicht bereit, diesen Gruppen als seriöse, bürgerliche Fassade zu dienen“.
Eine Spaltung der AfD wird kaum noch zu verhindern sein
In Wirklichkeit treiben den Konflikt in der AfD erstens persönliche Animositäten und die Rechthaberei alter, eitler Männer. Zweitens geht es um das Selbstverständnis der Partei. Um die Frage, ob die AfD sich strategisch und programmatisch innerhalb eines bürgerlichen gesellschaftlichen Konsenses positioniert oder außerhalb, ob die Partei zumindest mittelfristig koalitionsfähig gegenüber der Union wird oder sich als systemkritische Widerstandsbewegung gegen die „Altparteien“ begreift. Es ist somit ein klassischer Realo-Fundi-Konflikt, wie ihn auch die Grünen austrugen und die Linkspartei bis heute kennt.
„Weckruf 2015“ heißt nun Luckes vermutlich letzter Versuch, seine Mitstreiter um sich zu scharen und seine Kritiker innerparteilich zu isolieren. Und auch wenn Bernd Lucke derzeit beteuert, er denke nicht an einen Austritt, sondern stattdessen erklären lässt, er wolle für den Zusammenhalt der Partei kämpfen, wird eine Spaltung der Partei kaum noch zu verhindern sein. Zu tief ist der Graben in der Partei, zu tief sind vor allem die persönlichen Verletzungen.
Auf Dauer lässt sich eine Partei so nicht führen. Den Machtkampf, der in der Partei tobt, kann der Parteichef nicht gewinnen. Er hat mittlerweile zu viele Gegner. Bernd Lucke hat fertig. Die Gründung eines eingetragenen Vereins ergibt nur Sinn, wenn er von den Initiatoren als Nukleus einer möglichen Parteispaltung betrachtet wird.
Bernd Lucke ist nur ein Zugpferd
Doch auch ohne Lucke hat die AfD weiter gute Aussichten, 2017 in den Bundestag einzuziehen. Nicht als Partei, die sich gemäßigt, bürgerlich und wirtschaftsnahe ehemaligen Wählern von CDU und FDP andient, sondern als rechts-konservative, deutsch-nationale und islamfeindliche Protestpartei, als Partei rechter Wutbürger.
Zwar verlöre die AfD mit Lucke ein wichtiges Zugpferd. Aber das ließe sich vermutlich kompensieren. Die AfD hat einen eingeführten Markennamen, mit Frauke Petry steht ein politisches Talent bereit, das die AfD an der Stelle von Lucke führen kann. Petry ist politisch versiert und verschlagen, sie besitzt jene Integrationskraft, an der es Lucke mangelt. Ihre Mitstreiter wie Alexander Gauland aus Brandenburg oder Marcus Pretzell aus Nordrhein-Westfalen sind politisch skrupellos genug, um nach Protestwählern auch in trüben rechten Gewässern zu fischen. Längst ist Lucke zudem nicht mehr der einzige AfD-Politiker, der sich als talkshowtauglich erwiesen hat. Das Wählerpotenzial, dies haben die fünf erfolgreichen Landtagswahlkämpfe seit dem Sommer vergangenen Jahres gezeigt, sind für eine solche rechtspopulistische Wutbürgerpartei sowohl in Ost- als auch Westdeutschland vorhanden.
Herbert Gruhl übrigens war verbittert und resigniert, als er 1993 starb. „Pechschwarz“ sah er die Zukunft der Welt. Rechten Ökologen gilt der „radikale Traditionalist“ Gruhl bis heute als Idol. Viele von ihnen haben sich in den letzten beiden Jahren der AfD angeschlossen. In einem seiner letzten großen Artikel hatte Gruhl kurz vor seinem Tode im „Spiegel“ verkündet: „Die menschliche Gattung ist zu Ende mit ihrer Weisheit.“ Aus der von ihm mitbegründete ödp war Gruhl bereits Ende der 1980er Jahre wieder ausgetreten. Es war die dritte Partei, die er rechthaberisch im Streit verlassen hatte. Vielleicht gilt heute für den eurokritischen Volkswirt Bernd Lucke dasselbe, was vor mehr als einem Vierteljahrhundert auch für den wachstumskritischen Ökologen Herbert Gruhl galt: Parteien waren für ihn nicht gemacht.
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