- Der blinde Fleck nach ’68
Heute sorgen Cohn-Bendits Sätze zu Sexspielen mit Kindern für einen Skandal. Damals kritisierte ihn jedoch niemand. In der Zeit nach ’68 hatten es auch Pädophile leicht
Wenn Alexander Dobrindt, der CSU-Generalsekretär, Daniel Cohn-Bendit, den einstigen Helden des Pariser Mai ’68 und heutigen grünen Europaabgeordneten, einen „widerlichen Pädophilen“ nennt, ist das Wahlkampf. Natürlich ist Cohn-Bendit kein Pädophiler. Er ist, wie Alice Schwarzer schon vor mehr als zehn Jahren dazu schrieb, ein Kind, mehr noch ein Leader seiner Zeit.
Die Vorwürfe gegen ihn hat 2001 zum ersten Mal die Tochter von Ulrike Meinhof, Bettina Röhl, erhoben. Sie bezog sich auf Zitate aus dem biografischen Interview-Buch „Der große Basar“ aus dem Jahre 1975. Darin ließ Cohn-Bendit sich in wenigen Sätzen über angebliche erotische Spielereien mit Kindern in seiner Zeit als Erzieher in einem Frankfurter Kinderladen aus. Anfang der achtziger Jahre hat er die inzwischen viel zitierte unsägliche „Hosenlatzgeschichte“ noch einmal in einer Talkshow im französischen Fernsehen wiederholt.
Seither hat er sich mehrmals für diese Äußerungen entschuldigt und sie als provokative Fantasterei bezeichnet, die in der Realität nie stattgefunden habe. Provokation als Mittel öffentlicher Wahrnehmung – das war ein, wenn nicht das Erfolgsrezept der 68er. Und „Dany le rouge“, wie er zu jener Zeit genannt wurde, beherrscht dieses Mittel wie wenige. Wenn diese Provokationen aus der Zeit herausgelöst werden, aus dem Kontext, in dem sie ausgesprochen worden sind, entwickeln sie offenbar ein Eigenleben.
Was heute auffällt: Die Rezensionen, die 1975/76 nach Erscheinen des Buches gedruckt wurden, setzen sich nicht mit den jetzt inkriminierten Passagen auseinander.
Der Spiegel widmet damals drei Seiten der – übrigens durchaus selbstironischen – Reflexion Cohn-Bendits über den Mai ’68: „nur ein Megafon des Protests“ sei er gewesen. Kein Wort über die pädophilen Provokationen. Ob der einstige Barrikadenkämpfer nun resigniert sei, fragt sich die Weltwoche und diskutiert den Gegensatz von Revolte und Alternativkultur. Auch die Zeit interessiert sich vor allem dafür, wie er den Mai ’68 sieben Jahre später sieht. In Frankfurt, so heißt es nur, sei er auf seine Art seriös geworden, „schloss sich der Frankfurter Gruppe ‚Revolutionärer Kampf‘ an und kümmerte sich vornehmlich um Gastarbeiter, Wohnkommunen und Kinder“. In keiner der Rezensionen werden die Äußerungen über die Sex-Spielereien im Kinderladen auch nur benannt.
Warum sind die skandalösen Provokationen nicht problematisiert, nicht einmal erwähnt worden? Sind die Ignoranz damals und die Aufregung heute nur einem unterschiedlichen Zeitgeist geschuldet? Oder besteht doch ein Zusammenhang zwischen der sexuellen Befreiung, wie sie sich die 68er auf die Fahnen geschrieben haben, und der Propaganda von Pädophilen?
Die Heldengeschichte der 68er ist 1000-mal erzählt worden und geht ungefähr so: Wir haben sie so geliebt, die Revolution – auch die sexuelle. Mit Drugs, Sex und Rock ’n’ Roll wollte eine Generation den Mief der fünfziger und sechziger Jahre vertreiben: Altnazis etwa, die wieder Richter geworden waren oder es sogar zum Chef des Kanzleramts gebracht hatten. Auch die patriarchalisch geprägte Kleinfamilie galt es zu schleifen: Sex – endlich nicht mehr nur erlaubt zum Kinderkriegen. Schluss sollte sein mit den Regeln wie der, dass Kondome nur an Verheiratete verkauft werden. Politische und sexuelle Befreiung gingen Hand in Hand. Frauen sollten auch nicht mehr ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie arbeiten gehen wollten. „Erobern Kommunen Deutschlands Betten? Mehr Sex mit Marx und Mao“, provozierte damals die linke Zeitschrift Pardon – und die Spießer-Republik schnappte nach Luft.
Die sexuelle Revolution entpuppte sich schnell als eine schöne Sache vor allem für Männer. Die 68er-Frauen hielten früh dagegen. In einem Flugblatt des Frankfurter Weiberrats reimten sie: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“ Sie hatten keine Lust, weiter den Abwasch zu machen und sich um den Nachwuchs zu kümmern, während sich die Männer in „intellektuellem Pathos“ ergingen.
Nach der Kommune 1 kamen die WGs und die Kinderläden, nach dem Weiberrat die Frauenbewegung, bald darauf die Schwulenbewegung. Ende der Siebziger gründete „die Bewegung“ ihre eigenen Institutionen: taz und Grüne traten an, die Welt zu verändern.
Kommune 1 und der Sozialistische Deutsche Studentenbund SDS hatten sich längst in einen Mythos verwandelt. Doch das Erbe, das sie hinterlassen hatten, bestand nicht nur aus WGs und Kinderläden, aus Hedonismus und K-Gruppen. Zum Erbe gehörten auch der Gewalttrip der RAF – und die bizarren Blüten der sexuellen Befreiungsideologie.
Mindestens ein halbes Dutzend Mal wurde die taz in ihren Anfangsjahren von RAF-Sympathisanten besetzt – aber eben auch von Pädophilen, die meist erst einmal als Schwulengruppen auftraten. Es blieb nicht bei Besetzungen. In der „liquid democracy“ jener Jahre erpressten sich diese Gruppen ganze Zeitungsseiten, damit „Schwule, Lesben, Pädophile, Transsexuelle etc. sich autonom organisieren können“, um „auch in der taz-Redaktion … über ihre Belange zu berichten“.
Sogar einen Redakteur platzierten sie in der Zeitung – auch wenn der bei der nächsten Finanzkrise des Blattes wieder entlassen wurde. Zuvor propagierte er seitenweise die Liebe mit Jungs und beschrieb Pädophilie als „Verbrechen ohne Opfer“. Dass er sich in der Zeitung ausbreiten konnte, lag auch an der Indifferenz des Alternativbetriebs, zu dessen Konzept die Veröffentlichung „unterdrückter Nachrichten“ gehörte. So hievten Besetzer unterschiedlicher Couleur selbst gegen redaktionelle Mehrheiten pädophile Machwerke in die Zeitung – genauso wie RAF-Aufrufe zur Gewalt. Ins Internetzeitalter übertragen könnte man sagen: Die taz funktionierte in ihren Anfängen wie ein für alle offener Blog.
Spektakuläre Störungen ihrer Parteitage erlebten auch die Grünen. Die „Indianerkommune“, eine pädophile Gruppe Halbstarker aus Nürnberg, forderte lautstark freie Sexualität für und mit Kindern. Statt das Jugendamt zu holen, integrierten die Grünen sie meist in irgendeine Arbeitsgruppe, damit die Parteitage weitergehen konnten. Der Berliner Ableger der Grünen, die Alternative Liste AL, brachte sogar die Broschüre „Ein Herz für Sittenstrolche“ heraus. Auflage: 1500 Stück.
Im Vorwort schreibt „Martina vom geschäftsführenden Ausschuss“ – dem damaligen Parteivorstand der AL –, dass sie nach den Diskussionen mit den Pädpohilen jetzt „Kinder als gleichwertige Partner“ anerkenne. Heute ist „Martina“ erfolgreiche Managerin und will sich von ihren Worten nur noch distanzieren. Damals sei sie Anfang 20 und in ihrer „Findungsphase“ gewesen. Die Pädophilen aus der Schwulen-AG in der AL seien sehr viel älter gewesen und „sehr smooth, sehr freundlich, sehr zurückhaltend“. Kinder seien damals nicht dabei gewesen, über ihre Sexualität sei nur von Erwachsenen geredet worden.
Die Argumentation in der AL-Broschüre „Ein Herz für Sittenstrolche“ geht so: Kindliche Sexualität müsse anerkannt und enttabuisiert werden. Sexualität sei für alle da, „auch für Kinder und alte Menschen“. Auch zwischen Kindern und Erwachsenen müsse sie erlaubt sein.
Ausgerechnet die „Studie“ eines Dominikanermönchs wird als Beleg für die Harmlosigkeit der Pädophilen herangezogen: Der Mönch habe 97 Jungen befragt, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, und festgestellt, dass diese Kinder weder moralisch noch psychisch geschädigt seien. Erst die Strafverfahren würden sie traumatisieren. Das von der Partei herausgegebene Machwerk gipfelt in der Forderung nach ersatzloser Streichung des Paragrafen 176 aus dem Strafgesetzbuch, der sexuellen Missbrauch von Kindern unter Strafe stellt. Die offen auftretenden Pädosexuellen sahen sich wie die AL „als wichtigen Teil der Emanzipationsbewegung“.
Doch aus der Emanzipationsbewegung kam auch Kritik: etwa von Alice Schwarzers Emma und von Günter Amendt, Autor des Aufklärungsbuchs „Sexfront“. Er stellte die Diskussion wieder auf die Füße: „Sie reden von der Befreiung der Kindheit, meinen aber nichts anderes als die Freiheit von Erwachsenen, sexuelle Beziehungen zu Kindern unterhalten zu dürfen.“ Das sei „reaktionär“, gifteten die so Angegriffenen zurück.
Das ist alls lange her. Aber es ist alles andere als ein Wirbel um Nichts. Es gibt da einen blinden Fleck. Er hat seinen Ursprung weder in der taz noch bei den Grünen. Die Urszene ist eine andere. Sie ist vermerkt im Protokoll der Kommune 2 vom 4. April 1968, das als Broschüre samt Kommentaren veröffentlicht wurde. Thema: Erziehung der Kinder, die dort lebten. „… dann holt Grischa einen Spiegel, in dem sie sich meinen Pimmel und ihre Vagina immer wieder besieht. Nach erneutem Streicheln … kommt wieder der Wunsch ,reinstecken‘, diesmal energischer als vorher. Ich: ‚Versuchs mal‘. Sie hält meinen Pimmel an ihre Vagina und stellt dann resigniert fest: ,zu groß‘.“ Kommentar in der „Anleitung für eine revolutionäre Erziehung“ vom „Zentralrat der sozialistischen Kinderläden West-Berlin“ zu dieser Szene: „Dass die Kinder diese Erfahrung wirklich ausleben konnten, hatte zur Voraussetzung, dass die Erwachsenen nicht nur keine Verbote aussprachen, sondern ihre eigenen Hemmungen überwinden konnten.“
So hat sich die Pädophilie in die Ideologie der sexuellen Revolution eingeschlichen.
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