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() Ortwin Renn erklärt uns die German Angst.

Energiewende - Ortwin Renn: „Jeder wird sein eigener Investor“

Deutschland braucht eine soziale Akzeptanz der Energiewende. Im Interview mit Cicero Online erklärt Ortwin Renn, warum der Atomausstieg mehr Chancen als Risiken birgt, wieso Frau Merkel ihr Meinung ändern darf und er spricht über die Angst vor Großtechnolgien und wilden Tieren.
 

Professor Renn, in ihrer kürzlich verlesenen Regierungserklärung spricht Frau Merkel davon, dass sich ihre Haltung zur Kernenergie verändert hätte. Vor der Katastrophe in Japan habe sie das Restrisiko der Atomenergie akzeptiert, nun sei eine neue Bewertung notwendig. Es gehe um die „Verlässlichkeit von Risikoannahmen und Wahrscheinlichkeitsanalysen“. Wie verstehen Sie das?
Das Thema Restrisiko ist davon abhängig, welches Risiko wir noch bereit sind zu tolerieren. In der Atomdebatte dachte man, die Wahrscheinlichkeitsfälle seien so großzügig bemessen, dass man einen Störfall, der außerhalb dieser Berechnung liegt, nicht erwarten kann. Mit Fukushima ist deutlich geworden, dass selbst unwahrscheinliche Dinge passieren und so aus der Theorie ganz schnell Praxis werden kann.

Wir befinden uns in Deutschland. Die Risikofaktoren, mit denen wir zu rechnen haben, sind doch ganz andere. Kann man das tatsächlich miteinander vergleichen?
Sicher, hier werden wir keine derartigen Tsunamis oder Erdbeben zu erwarten haben. Die Idee Frau Merkels und der Ethikkommission ist, von einer ganzen Reihe anderer Dinge auszugehen, die wir im Auslegungsstörfall nicht beachtet haben, wie beispielsweise Flugzeugabstürze oder terroristische Angriffe. Am physikalischen Einschätzungsrisiko hat sich nichts geändert, sondern am Prinzip der Bewertung. Wie unwahrscheinlich es auch sein mag, dass ein Flugzeug auf ein Kernkraftwerk fällt, wir finden die Konsequenzen so problematisch, dass wir diesen Fall in die Bewertung mit aufnehmen müssen.

Aber ist das denn glaubwürdig? Handelt es sich hier tatsächlich um sicherheitstechnische Fragen oder doch eher um politisches Kalkül?
Bei aller Politik ist das Substantielle immer mit dem Strategischen verbunden. Politiker handeln kalkuliert, sie werben für sich, müssen dabei aber auch die Strömungen der Bevölkerung in sich aufnehmen. Beim Atomausstieg handelt es sich meiner Meinung nach weniger um einen Strategiestreich als vielmehr um die Frage, ob man seine Entscheidungen nach einer derartigen Katastrophe vor der Nation verantworten und mit seinem Gewissen vereinbaren könnte. Gleichzeitig ist der Kanzlerin natürlich auch bewusst, dass die Wähler sagen: „Warum soll ich die Kopie wählen, wenn ich das Original haben kann?“ Die Grünen profitieren von ihrer Glaubwürdigkeit. Das heißt aber nicht, dass Frau Merkel nicht…

… ihre Meinung ändern darf?
Richtig. Angst vor den Wählern? Das ist ein ewiges Totschlagargument. Man sollte fair bleiben. Ich kann hier nur einen persönlichen Eindruck wiedergeben und denke, dass die Kanzlerin von diesen Ereignissen wirklich tief betroffen ist. Nun muss sie dies glaubwürdig kommunizieren. Manchmal gelingt es und manchmal gelingt es nicht.

Glauben Sie, dass es gelingt?
Momentan sieht es ganz gut aus. Es darf einfach nicht der Eindruck entstehen, dass noch ein Hintertürchen offen ist. Wähler würden das nicht als wahrhaftig annehmen. In die Tasche lügen kann man schnell.

Ist unsere deutsche Industrienation überhaupt mit Energieeffizienz zu vereinen?
Die Chancen sind größer als die Risiken, wenn wir die richtigen Voraussetzungen treffen. Letztendlich denke ich, dass hier auf eine Zukunftstechnologie gesetzt wird, auch im internationalen Vergleich.

Bisher hatte Atomstrom einen Anteil von rund 22 Prozent an der Stromproduktion in Deutschland. Durch erneuerbare Energien kann ein Teil der Leistungen abgefangen werden; der Grundlastbereich eines Atomkraftwerks wird aber nicht ersetzt. Sind Engpässe zu erwarten?
Drei Dinge sind zu tun: Wir brauchen ausbaudezentrale Energieversorgungen, eine entsprechende Infrastruktur – also Netze und Speicher – und wir brauchen bessere, effizientere Strategien, um mit weniger Primärenergie die gleiche Energieleistung zu haben. Das setzt aber auch Verhaltensveränderungen der Bevölkerung voraus. Und das ist natürlich etwas, das momentan nicht besonders beliebt ist bei den Bundesbürgern.

Sehen Sie hier ein Risiko für eine private Klagewelle?
Es gibt schon eine Reihe von Verwaltungsgerichtsverfahren in diese Richtung. Das Problem ist, dass die Bürgermitwirkung zu spät antrifft. Alles ist fertig und man darf nur noch „Ja“ oder „Nein“ sagen. Und wenn sie „Nein“ sagen, dann müssen sie eben klagen. Das macht wenig Sinn. Sinnvoller wäre dagegen, der Bevölkerung Optionen einzuräumen noch bevor die Trassen stehen. Ich wäre für ein Planungsrecht, das die Bürger stärker integriert.

Wie sähe so eine Integration Ihrer Meinung nach aus?
Wenn es um lokale Fragen geht, könnte man einen runden Tisch organisieren mit Gruppendienern, die für die Gemeinde von Bedeutung sind. Auch besteht die Möglichkeit, zufällig ausgewählte Bürger aus der Gemeinde in die Planung miteinzubeziehen. Bei Windkraft oder großen Leitungsnetzen wird den Menschen ein negatives Element vorgesetzt. Das ist nicht zu leugnen und auch nicht wegzunehmen. Es ließe sich hier aber beispielsweise an eine Beteiligung der Gemeinde an der Netzgesellschaft denken. Daraus ergibt sich dann ein wirtschaftlicher Vorteil, man ist selbst Investor in seine eigene Anlage. Adäquate Möglichkeiten gibt es da und nur da, wo noch eine bestimmte Offenheit zu spüren ist, da wo keine Fremdbestimmung herrscht.

Neben grünem Jubel herrscht auch Unsicherheit über den Schlingerkurs der Regierung. Wie sollte Frau Merkel mit dieser Unsicherheit umgehen?
Wichtig ist ein gutes Checks-and-Balances-System, also sicher zu sein, dass es eine unabhängige und unparteiische Monitoring-Instanz gibt, dass das, was man sich vornimmt auch tatsächlich umgesetzt wird. Beispielsweise durch einen Parlamentsbeauftragten, der als Kontrollorgan fungiert, der auf den Tisch haut wenn etwas schief läuft, zugleich aber auch Autorität besitzt, gehört zu werden. Das zweite wäre ein Forum Energiewende. Wer A sagt – 85% der Deutschen wollen den Ausstieg aus der Kernenergie – der muss auch B sagen. Wir wollen Strom, der soll preiswert sein. Wir wollen keine Kernenergie und das Klima soll auch geschützt werden. Das geht nur dann, wenn man sich in anderen Bereichen, beim Netzausbau oder beim Ausbau von Wasserkraftspeichern zum Beispiel, nicht stur stellt. „There is no free lunch in nature!“ Wenn wir also Energie wollen, dann müssen wir auch mit irgendeiner Belastung rechnen.

Woher kommt es, dass wir Deutschen in dieser Hinsicht so ängstlich sind?
Es gibt sehr unterschiedliche nationale Ängste, wie eine schöne Studie von Geert Hofstede zeigt: Chinesen haben furchtbare Angst davor, Gewicht zu verlieren. Rumänen haben Angst vor wilden Tieren, obwohl da gar keine sind… Die Deutschen fürchten sich vor Großtechnologien. Das liegt meiner Meinung daran, dass wir hier keine eigentlichen Katastrophen haben. Und wenn keine da sind, dann müsste es ja vielleicht mal eine geben. Und wenn es dafür dann tatsächlich irgendwelche Anzeichen gibt oder sich Katastrophen im virtuellen Raum abzeichnen, dann reagieren wir schnell panisch. So, als wäre sie real.

Das kann nicht gesund sein…
Das ist eine Aufklärungssache. Als Risikoforscher haben wir die Aufgabe zu sagen, dass wir sicherer leben und nicht unsicherer. Die Lebenserwartung steigt, die Unfälle gehen zurück. Nur unsere virtuelle Umwelt will uns das Gegenteil einbläuen. Wir müssen zu dem Bewusstsein kommen, zwischen einer abstrakten Gefahr einer ständig gegenwärtigen virtuellen Realität und unserem tatsächlichen Lebensumfeld zu differenzieren.

EHEC ist dafür das beste Beispiel. Panik wird geschürt, wo vielleicht gar keine sein müsste. Erst neulich habe ich eine Tomate gegessen, vollkommen furchtlos.
Exakt. Je realer es wird, desto vernünftiger werden die Leute. EHEC ist ein typischer Fall: Betroffene in Norddeutschland reagieren relativ vernünftig, während sich im entfernten Südbayern die Panik breit macht. Bei allem, was dem Menschen virtuell droht, kann er es sich leisten, irrational zu sein.

Brauchen wir also eine neue soziale Akzeptanz der Energiewende?
Ich denke schon. Ich glaube, wir brauchen die Bereitschaft, Dinge zu akzeptieren, die uns nicht immer nur Freude machen – „No free lunch“ eben. Man muss sich in irgendeiner Form mit der Belastung auseinandersetzen. Ganz ohne geht es nun mal nicht. Wenn man aber natürlich gegen alles ist, dann sieht es düster aus für Deutschland.

Das hat Bundestagsabgeordneter Michael Fuchs in einem Gespräch mit Cicero Online vor kurzem auch gesagt. Man kann nicht gegen alles sein.
(lacht) Da hat er Recht.

Professor Renn, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sarah-Maria Deckert.

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