- Loyale Meuterei
Sie sind gut vernetzt, konservativ und ziemlich sauer auf ihre Parteiführung: Der sogenannte Berliner Kreis fordert eine Rückbesinnung von CDU und CSU auf christlich-bürgerliche Werte. Dafür wollen sich die Mitglieder ein Gründungspapier geben. Bislang versagte ihnen in letzter Minute stets der Mut dazu
Als hätte man es schon ein paar Mal zu oft gehört: Konservatives Manifesto, kurz vor der Veröffentlichung, genervte Kommentare der Parteigranden – war da nicht schon einmal was? Schon, aber diesmal – witzelt, hofft und fürchtet man in der Hauptstadt – ist es wirklich ernst. In den kommenden Wochen soll der „Berliner Kreis“, das konservative Magengrummeln der Union, endlich eine Form bekommen.
Seit rund vier Jahren bereits versammeln sich ernüchterte Parteimitglieder um den hessischen CDU-Fraktionsvorsitzenden Christean Wagner. Sie sind vereint im Groll auf Angela Merkels bisher wenig zimperlichen Umgang mit dem politischen Familienporzellan – von der Wehrpflicht über das christliche Familienbild bis zur Kernkraft. Begleitet von allerlei Unfreundlichkeiten aus der Parteispitze (de Maizière: „Ein Konservativer trompetet nicht so viel rum“, Kauder: „Jeder, der nach einem konservativen Profil ruft, hat selbst viele Möglichkeiten, es zu gestalten“) hat die Arbeitsgruppe nun angekündigt, offiziell und aufrecht aus dem Schatten treten zu wollen, und ein Gründungsmanifest vorzulegen. Demnächst.
[gallery:Was ist heute konservativ?]
Der Déjà-vu-Effekt rührt nicht nur daher, dass der Kreis schon im vergangenen Jahr erklärte, im Januar 2012 ein Papier vorlegen zu wollen. Weil es vorzeitig an die Presse durchgestochen wurde, vertagte die Truppe ihr Coming-Out bis auf weiteres. Vor allem aber endete ihr Vorgänger, die konservative „Einstein-Connection“, als Rohrkrepierer: 2007 tüftelte JU-Chef Philipp Mißfelder zusammen mit Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus, dem damaligen Generalsekretär der NRW-CDU Hendrik Wüst und dem CSU-Hoffnungsträger Markus Söder an einem konservativen Bündnis. Es scheiterte an der intellektuellen Hürde einer Definition des Konservativismus und an der handwerklichen Herausforderung, gemeinsame konservative Positionen in die politische Praxis zu übersetzen. 2009 verlief sich die Initiative leise im Sand.
Doch da hatte Christean Wagner in Hessen bereits das nächste Bündnis angeschoben: Angesichts massenhafter Parteiaustritte von Stammwählern und eines durch die große Koalition aufgeriebenen Parteiprofils sammelte Wagner nach einem Beratungstreffen mit Mappus und Mißfelder erste Mitstreiter. Darunter waren vor allem befreundete Fraktionsvorsitzende wie Steffen Flath (Sachsen), Mike Mohring (Thüringen), Saskia Ludwig (Brandenburg) und Frank Henkel (Berlin). Regelmäßig traf die Truppe sich im Restaurant Dressler am Berliner Boulevard Unter den Linden und diskutierte Rettungsmaßnahmen für die angeschlagene CDU. Der Kreis wuchs bald auf 16 Teilnehmer an, unter ihnen damals auch Karl-Theodor zu Guttenberg.
Im Sommer 2009 schickt der Zirkel der Kanzlerin einen Brief: Drei Seiten mit freundlichen Empfehlungen für einen erfolgreichen Wahlkampf: Man müsse konservative, christliche und bürgerliche Werte wieder in den Vordergrund rücken, dürfe die Bedeutung der Freiheit, der Familie, der Leitkultur und des Patriotismus nicht vergessen. Man solle also dringend wieder „das Alleinstellungsmerkmal für wertkonservative Politik besetzen.“ Merkel bestellt Christean Wagner und Stefan Mappus zum einstündigen Gespräch ins Kanzleramt – eine durchaus höfliche Geste.
Zum Schweigen bringt sie den Kreis damit nicht, insbesondere, nachdem die CDU im Herbst das schlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1945 einfährt. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht der Kreis eine Wahlanalyse: Schuld am Ergebnis seien unter anderem „die Wahlkampftaktik der weichen Botschaften und der gewollten Profillosigkeit“. Außerdem sei der konservative Parteiflügel „weder personell noch inhaltlich bedient worden, sondern stattdessen durch Aussagen der Kanzlerin wie „Ich bin keine Konservative“ verunsichert worden.“
Seite 2: Schimpfe von oben: „Mehr konservativ fordern reicht nicht“
Und während Roland Koch in Hessen bemüht ist, die Wogen zu glätten und sich vom aufmüpfigen Fraktionsvorsitzenden Wagner zu distanzieren, wächst in Berlin der Haufen der Unzufriedenen: Konservative Publizisten wie Alexander Gauland stoßen dazu, außerdem Bundestagsabgeordnete wie die Vertriebenen-Expertin Erika Steinbach, der Mittelständler Christian von Stetten, der unbequeme innenpolitische Sprecher Wolfgang Bosbach oder auch verdiente Politiker wie Brandenburgs Ex-Innenminister Jörg Schönbohm. Schließlich einigt man sich darauf, dem losen, konservativen Protestverbund einen Namen zu geben. „Das kleine K“ wurde im Scherz vorgeschlagen. Em Ende wird es der „Berliner Kreis.“
Als im Dezember 2010 das für Januar angekündigte Thesenpapier an die Presse durchsickert, zeigt sich die Parteispitze dann auf einmal doch ungehalten: „Mehr konservativ fordern reicht nicht“, schimpft der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder, Generalsekretär Hermann Gröhe warnt vor der Gefahr der „Zersplitterung“, und als auf einer internen Präsidiumssitzung auch der Unmut der Kanzlerin bekannt wird, scheint viele der Mut zu verlassen: Abgeordnete, die an den Treffen teilgenommen hatten, wollen auf einmal nicht mehr zitiert werden. Philipp Mißfelder schwört öffentlich, er habe „abgelehnt, da mitzumachen“. Die Veröffentlichung für Januar wird wieder abgesagt – und Wolfgang Bosbach beeilt sich zu erklären, im Berliner Kreis stecke „Nullkommanull“ Kritik an Angela Merkel.
„Indem ein unfertiges Papier an die Medien gereicht wurde, war ein solides Vorgehen bis Januar nicht mehr möglich, und die Publizität, die wir uns durch den Gang in die Öffentlichkeit eigentlich erhofft hatten, war nun ohnehin im Übermaß da“ begründet Christean Wagner die Verschiebung. „Wir sind sehr verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Prioritäten“ erklärt außerdem die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach: „Am Ende soll ja eine Botschaft herauskommen, die nicht primär die Medien, sondern die Menschen überzeugt“, sagt sie.
Tatsächlich dürfte das erste, große Problem des Berliner Kreises in der inhaltlichen Profilierung bestehen. Unter dem breiten Dach der Kritik an Merkels geschmeidigen Kurswechseln treffen Energiewenden-Skeptiker wie Thomas Bareiß auf Familienpolitiker der alten Schule wie Thomas Dörflinger oder ESM-Kritiker wie Wolfgang Bosbach.
Christean Wagner erklärt, man wolle gar nicht ausschließlich wertkonservative Anhänger ansprechen. „Dem Berliner Kreis geht es darum, auch wirtschaftsliberale und christlich-soziale Stammwähler zurückzugewinnen.“ Ohnehin, sagt er, sei „ein Konservativer kein Ideologe, sondern Pragmatiker. Und er lebt auch nicht rückwärtsgewandt, sondern er lebt aus Werten, die immer gelten. Dazu gehören natürlich auch Tugenden wie Leistungsbereitschaft, soziales Engagement für die Schwächeren oder Vaterlandsliebe. Aber eine in sich geschlossene konservative Theorie lässt sich natürlich nicht entwickeln.“ Daraus ein konservatives Manifest zu schmieden, dürfte eine Herausforderung sein.
Zum zweiten fehlen dem Kreis junge, schwergewichtige
Gallionsfiguren wie es Guttenberg oder Merz einmal waren, oder
Missfelder hätte sein können. „Mit wenigen Ausnahmen wie Thomas
Bareiß besteht der Berliner Kreis vielfach doch aus Politikern, die
zwar sehr seriös sind, aber ihre beste politische Zeit schon hinter
sich haben“, sagt der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf
Gerd Langguth. „Das blühende Leben der CDU findet jedenfalls dort
nicht statt.“
Ohnehin wundert Langguth sich über den Unmut aus der Parteispitze.
„Je mehr konservative Persönlichkeiten innerhalb der CDU in
Erscheinung treten, umso besser ist es doch für die Integration der
konservativen Bevölkerungsteile.“ Aber Merkel, glaubt er, sei eben
eine „sehr misstrauische Frau, die es ungern hat, wenn sich
innerhalb der Union selbständig Truppen organisieren“. Dabei, sagt
Langguth, „braucht sie nun wirklich keine Angst zu haben: Der
Berliner Kreis ist besteht aus Leuten, die viel treuer und loyaler
zur CDU sind, als man glaubt.“
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