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() Jürgen Klinsmanns kalifornische Wahlheimat: Der Strand von Newport Beach
Looking for Jürgen

Er kommt aus der schwäbischen Provinz und wohnt in einem kalifornischen Luxusort. Jürgen Klinsmann ist ein Weltbürger mit ganz eigenen Vorstellungen. Wer ist der Mensch, der Deutschland zum Titel führen will? Eine Spurensuche in der neuen Heimat.

Get the ball, Josh!“ Im Fred Kelly Stadium zu Yorba Linda hält es die Soccer-Mummies nicht länger auf den Sitzen. Das Spitzenspiel um die High-School-Meisterschaft befindet sich in der Verlängerung. Die Tribüne ist gut gefüllt, ein lokales Kamerateam überträgt live. Doch bei allem emotionalen Engagement bleibt die Stimmung bemerkenswert zivilisiert. Hier, auf Kaliforniens Fußballtribünen, wird nicht kritisiert, nicht geflucht und schon gar nicht gepöbelt. Vielmehr reiht sich ein konstruktiver Zuruf an den nächsten; nicht immer kompetent, aber immer gut gemeint. Selbst von der Qualität der Begegnung darf der europäische Beobachter beeindruckt sein. Ob sie einen gewissen Mr.Klinsmann kenne, frage ich meine Nachbarin. (Es ist weiß Gott nicht der erste Versuch an diesem Tag, aber im Journalismus ist es wie im Fußball: Manchmal musst du das Glück zwingen.) „Klinsman“, wiederholt sie und rückt ihre Chanel-Sonnenbrille zurecht. Ja, den kenne sie, vor allem seine Frau Debbie, man treffe sich gelegentlich bei Freunden zum Lunch. „Very nice people“ seien das. „The husband is a big star in Germany, right?“ Das kann man so sagen. Obwohl es der Begriff „Star“ nicht recht trifft. Es klingt zu glamourös, zu oberflächlich, zu unkontrovers – vor allem aber zu einflussarm. Was Jürgen Klinsmann, Cheftrainer der Fußball-Nationalmannschaft, dieses Jahr für Deutschland bedeutet? Wie erkläre ich das einer Kalifornierin? Wie erklärt man, dass dieser Mann im Zentrum des größten nationalen Ereignisses seit der Wiedervereinigung steht, dass eine falsche Einwechslung das Land in ein ökonomisches Tal führen könnte, dass sich an Klinsmanns innovativen Führungsideen mittlerweile eine Grundsatzdebatte über die Reformfähigkeit der Bundesrepublik entsponnen hat, dass seine Trainingslehre das politische Feuilleton dominiert und dass diese gesamte Kontroverse, vieles, ja fast alles damit zu tun hat, dass meine Tribünennachbarin ernsthaft und vermutlich wahrheitsgemäß behaupten kann, mit Klinsmanns Ehefrau Debbie hin und wieder zu Mittag zu essen? Das Spiel ist aus, die Sonne rasch hinter den Hügeln verschwunden. Aber damit ist dieser kalifornische Fußballtag noch nicht zu Ende. Zak Abdel, einstmals Ägyptens Nationaltorwart, hält nach Spielschluss noch eine 90-minütige Sondertrainingseinheit ab. Privat, versteht sich – und privat bezahlt. Zak ist Torwarttrainer im Hauptberuf. Zuletzt arbeitete er für das Profiteam der Los Angeles Galaxy – wo auch Klinsmann als „sportlicher Berater“ tätig war. Und während ich mir vorstelle, was wohl in meinem Land geschehen wäre, hätte Klinsmann diesen Ägypto-Amerikaner zum Torwarttrainer der deutschen Nationalmannschaft benannt, eröffnet mir Zak seine eigenen Theorien, über sich, den deutschen Fußball und natürlich seinen „very good friend“ Jürgen Klinsman. Auch Zak hat von den Widerständen gehört, und von dem Aufschrei, der durch Deutschland ging, als Klinsmann einen amerikanischen Fitnesstrainer engagierte. Fitnesstrainer, Psychologen, so etwas habe hier jeder professionelle Sportverein. Jeder! „It’s all about pride“, der verletzte Stolz der Deutschen. Er erzählt von der weißen, reichen Mittelklasse, für die Soccer mitt-lerweile der Sport schlechthin geworden sei, davon, wie auch er sich permanent orientieren und entwickeln müsse, allein schon der Soccer-Mummies wegen, die ihre Investitionen genau überwachen, wie er stets von anderen Sportarten lerne und Übungen integriere, vom Baseball, vom Football… Wie rechtfertige man in Deutschland eigentlich den Widerstand gegen Jürgen? Er habe bisher doch großen Erfolg! Ob Zak sich vorstellen kann, Ägyptens Nationalteam von Kalifornien aus zu trainieren? Der Gedanke scheint ihm keiner Erwägung wert. Allerdings müsste man sie erst einmal gesehen haben, Klinsmanns Satellitenanlage auf dem Dach, mit der er jedes Fußballspiel auf diesem Erdball live empfangen könne. Als besessenen Arbeiter habe er Klinsmann kennen gelernt, immer zugänglich, immer offen fürs Gespräch, doch am Ende treffe er eigene und bisweilen einsame Entscheidungen. Bis es dann auch bei der Galaxy zum Bruch mit der Klubführung gekommen sei. Klinsmann habe sein Konzept für eine vereinsinterne Jugendakademie nicht durchbringen können – und sei daraufhin gegangen. Da scheint es auf, das Muster aus Perfektionismus, sozialem Engagement und radikalem Eigensinn, für das der Bundestrainer schon als Spieler berüchtigt war. My way or the highway. Tatsächlich hat Jürgen Klinsmann in seinen 15 Jahren als Spitzen-Profi keinen einzigen Vertrag erfüllt. Ob in Stuttgart, Mailand, Monaco, London, München und Genua, stets ging der Weltklassestürmer vor der Zeit. Von Streit hat Klinsmann indes nie gesprochen. In seiner Welt heißt das „andere Vorstellungen“. Meist waren es finanzielle. Er versteht es brillant, dies Spiel mit Worten, die Marketingkunst, seiner Sache immer einen positiven Spin zu verleihen. Stellen Kritiker die Beurteilungskompetenz eines Fernsehtrainers in Frage, spricht Klinsmann von „erkenntnisfördernder Distanz“. Absurde Aussetzer seiner Spieler heißt er „notwendige Lernprozesse“, sichtbare Überforderung „enormes Steigerungspotenzial“ und düsterste Desorientierung „hilfreiche Härtetests“. Klinsmann ist der „Will to believe“, die uneingeschränkte Akzentuierung des noch Möglichen, zur ersten Natur geworden. Er ist in jeder seiner Handlungen spürbar, bildet den Kern seiner Fußball-Philosophie. Und ganz offenbar lässt sich diese Haltung nirgendwo besser perfektionieren als im Süden Kaliforniens, hier, wo die Menschen sich keinen guten, sondern einen „großen Tag“ wünschen (Have a big one!) und selbst der Gang zur Restauranttoilette von einer unironischen Anfeuerung begleitet wird („Go for it!“). Zurück auf der Straße. Ein Leben in Kalifornien ist ein Leben im Auto. Der Weg auf dem Pacific Coast Highway Number 1 führt nach Huntington -Beach. Eine schmucklose Strandgemeinde, auf deren Holzpier sich Klinsmann bevorzugt fotografieren lässt. In diesem unscheinbaren Surferstädtchen, das sich auf Tagestourismus spezialisiert hat, so verbreiten es selbst glaubwürdigste Biografen, lebt der Bundestrainer in einem bescheidenen Reihenhaus seinen amerikanischen Traum vom ganz normalen Alltag – was selbst dann schwer zu glauben wäre, wenn es in Huntington Beach Reihenhäuser gäbe. In Wirklichkeit zahlt Hausbesitzer Klinsmann seine Wasserrechnungen 20 Kilometer weiter südlich, in Newport Beach, einer zentrumslosen 80000-Seelen-Siedlung. Nach Aussagen ihres Bürgermeisters zählt sie zu den „zwei, drei reichsten Gemeinden der Vereinigten Staaten“. Newport Beach sei eine sehr konservative Gemeinde, führt Bürgermeister Don Webb aus, man liebe es ruhig und abgeschieden. Bei der letzten Präsidentschaftswahl erhielten die Republikaner hier zwei Drittel der Stimmen. „320 Tage Sonne im Jahr, extrem niedrige Kriminalität, 85 Prozent der Bevölkerung Weiße – Republikaner lieben einfach solche Orte“, erklärt Webb. Wie der durchschnittliche Newporter sein Auskommen findet? „Das“, bekennt Webb, „habe er sich auch schon des Öfteren gefragt.“ Er könne es sich selbst nicht recht erklären. Vermutlich liegt des Rätsels Lösung bereits in der Frage. Denn wer in Newport Beach lebt, hat sich von der so genannten Normalität seit langem und ganz gezielt verabschiedet. 40 Prozent des Stadtgebietes bestehen aus „gated communities“, bewachten, dem öffentlich Zugang entzogenen Villenvierteln. Den Namen Klinsmann hört Webb heute zum ersten Mal. Auch sonst ist Jürgen Klinsmann in seinem Heimatort eine unbekannte Größe geblieben. In sechs Jahren Gemeindeleben hat er keine erkennbaren Spuren hinterlassen. Einzig beim edlen Herrenausstatter Garys pflegt man lebhafte Erinnerungen an den 41-jährigen Deutschen. „Der kam hier eilig rein, wehrte jede Beratung ab, nahm sich sechs schwarze Boss-Jeans aus dem Regal und wollte sofort zahlen.“ Als Klinsmanns Auge auf ein Armani-Jackett zum Preis von 2500 Dollar fiel, bekam der Verkäufer dann das geschäftliche Gesicht des schwäbischen Strahlemanns zu sehen. Eine halbe Stunde habe Klinsmann mit ihm gehandelt. „Das ist so ein Typ, der Schrauben in dich reindreht.“ Doch als die Einigung ausblieb, sei Klinsmann fluchend aus dem Laden gerannt. (Daheim in München weiß Franz Beckenbauer ganz ähnliche Geschichten über den Jürgen zu erzählen.) Zur Sicherheit sieht der Verkäufer noch einmal im Kundencomputer nach: Yes, Klinsmann was his name. Ein Besuch beim Immobilienmakler, gleich neben dem Liefergeschäft, in dem der Bundestrainer täglich sein Postfach leert, konkretisiert die Vorstellung von Klinsmanns kalifornischer Existenz. Was ein Haus hier in der Gegend koste? Für ein Familienheim seien in Newport -Beach mindestens fünf Millionen Dollar anzusetzen – nach oben sei die Grenze naturgemäß offen. Am Yachthafen hat sich der Schauspieler Nicholas Cage gerade ein 25-Millionen-Dollar-Strandhaus gekauft, ein wenig weiter oben in den Hügeln wohnt der Basketballstar der LA Lakers, Kobe Bryant. Wie war der Name des Herrn gleich, hakt der Makler nach, den jetzt selbst eine Art sportlicher Ehrgeiz gepackt zu haben scheint. Klinsmann, Jürgen. Nein, Liegenschaftssteuer, das beweist seine Datenbank, zahlt ein Mr. Klinsmann in Newport Beach nicht. Aber die zahle hier eigentlich niemand. Die Häuser werden auf Firmennamen angemeldet. Im Fall Klinsmann kommen gleich mehrere Firmen in Frage. In Kalifornien war er vor allem Fußball-Geschäftsmann. Gemeinsam mit dem ehemaligen Adidas-Manager Warren Mersereau und Mick Hoban – einem weiteren Schwergewicht im globalen Fußballgeschäft – ist Klinsmann Inhaber der Firma „Soccersolutions“. Soccersolutions besteht aus einer Website, drei E-Mailadressen und einem globalen Netzwerk von Freundschaften und langjährigen Geschäftsbeziehungen. Die Fäden reichen vom Sitz des Brasilianischen Fußballverbandes bis ins Zentrum des amerikanischen Nike-Konzerns. Die gesamte Konzeption, die Klinsmann für die Zukunft des Deutschen Fußballs erdacht hat, ist ein Werk dieses Dreigespanns. Weshalb nicht wenige in der Frankfurter Zentrale des DFB befürchten, in Gestalt Klinsmanns von einem Netzwerk ferngesteuert zu werden, dessen Interessen weder durchschaut noch kontrolliert werden können.

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