- Kein stummer Diener
In der europäischen Schuldenkrise ist Nikolaus Meyer-Landrut der wichtigste Berater der Kanzlerin
Als Nikolaus Meyer-Landrut sich im heißen Madrid in den Sessel fallen lässt, lächelt er. Gleich wird seine Chefin Angela Merkel mit ihrem Gastgeber Mariano Rajoy den Pressesaal betreten. Es klingt paradox: Aber in dem Moment, in dem die Journalisten und die Akteure an den Finanzmärkten voller Spannung auf die Worte der Kanzlerin achten, kann sich der 52 Jahre alte Diplomat erstmals entspannen. Seine Arbeit hat er in den Wochen, Tagen, Stunden und Minuten zuvor erledigt. Jetzt weiß er, was die Kanzlerin sagen wird und dass das Treffen auch dank seiner Vorbereitung gut und ohne böse Überraschungen verlaufen ist.
Der schlacksige rotblonde Brillenträger ist in den vergangenen Monaten zu einer zentralen Figur in Merkels Regierungsuniversum aufgestiegen. Als europapolitischer Berater ist er ihre Multifunktionswaffe, egal ob er als Chefunterhändler für sie durch Europa jettet oder mit ihr Brüsseler EUGipfelnächte durchwacht. Der studierte Historiker dient als Vordenker, Ideentester, Vermittler, intellektueller Sparringspartner, wandelndes EU-Vertragslexikon und Frankreich-Versteher – alles in einem. Die Schuldenkrise hat aus dem unscheinbar wirkenden vierfachen Vater den wohl einflussreichsten politischen Berater in Europa gemacht, mit fast täglichem Kontakt zur „mächtigsten Frau der Welt“ (Forbes). Obwohl er selbst seine eigene Rolle herunterspielt, gibt es wenig Zweifel: Wenn Meyer-Landrut in internen Besprechungen im Kanzleramt ansetzt, um in seiner ruhigen, intellektuell aber manchmal schneidenden Art vorgebrachte Ideen als unausgegoren zu zerpflücken, haben sie nur noch wenige Chancen auf Umsetzung.
Andere Berater hat diese Nähe zur Macht schon schwindelig gemacht. Michael Steiner, Gerhard Schröders früherer außenpolitischer Berater, etwa stolperte in der „Kaviar-Affäre“ über einen anmaßenden Auftritt. Bei Meyer-Landrut reicht ein Blick in sein Büro auf der Nordseite des Kanzleramts, um zu spüren, dass diese Gefahr bei ihm kaum droht. Der Raum des Leiters der Europaabteilung strahlt die Nüchternheit einer Arbeitszelle aus, nur leicht gebrochen von zwei abstrakten Gemälden seiner Frau und den Fotos seiner Familie auf der linken Seite des Schreibtischs. Meyer-Landrut verkörpert den Idealtypus eines Topbeamten der Understatement-Kanzlerin: loyal, korrekt, arbeitsbesessen, verschwiegen, nüchtern, fordernd, Teamspieler und humorvoll auf den zweiten Blick.
Dabei ist Meyer-Landrut in Wahrheit kein meinungsloser stummer Diener. Ungewollt schwingt in seinem Leben sogar etwas Glamour mit. Schließlich ist er Großonkel der Eurovision-Siegerin Lena Meyer-Landrut. Wenn er darauf angesprochen wird, lacht er nur und spottet: Er habe die erste Hälfte seines Lebens ganz gut damit gelebt, der Neffe seines bekannten Onkels zu sein, des früheren Außenstaatssekretärs Andreas Meyer-Landrut. Die zweite Lebenshälfte könne er ganz gut damit leben, nun als Onkel von dessen prominenter Enkelin wahrgenommen zu werden. Was der Diplomat nicht sagt: Er kann vor allem sehr gut damit leben, der Berater der Kanzlerin zu sein.
Seite 2: Nikolaus Meyer-Landrut initiierte erste Kontakte mit François Hollande
Das Verstecken der eigenen Person ist aber auch eine besonders erfolgreiche Form der Koketterie. In den raren öffentlichen Auftritten etwa bei der Schwarzkopf-Stiftung oder beim Institut für Europäische Politik zeigt sich nämlich plötzlich der leidenschaftliche, sehr meinungsstarke Europäer Meyer-Landrut, der übrigens in drei Sprachen fließend arbeiten kann. Auch bei den Journalisten-Briefings vor EU-Gipfeln blitzt immer wieder seine Lust auf, im Auftrag seiner Chefin einen „Spin“ zu setzen und die öffentlichen Erwartungen zu lenken.
Arbeit und Privatleben verschwimmen bei ihm in einzigartiger Weise. Das erklärt, warum die beiden Nikolaus Meyer- Landruts, der verschwiegene und der öffentliche, mit sich im Reinen sind: Er lebt Europa und die deutsch-französische Achse, die Arbeit ist gleichzeitig sein Hobby. Seine Dissertation trägt den Titel „Frankreich und die deutsche Einheit“. Er ist mit einer Französin verheiratet und kennt die Notwendigkeit zum ständigen bilateralen Kompromiss aus der eigenen Familie.
Sein ältester, bereits 29 Jahre alter Sohn ist ebenfalls mit einer Französin liiert und lebt in Paris. Als einer der wenigen deutschen Diplomaten hat er schon einmal für einen französischen Chef gearbeitet, nämlich 2002 für den früheren französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing als Sprecher beim europäischen Verfassungskonvent. Und natürlich verbringt Nikolaus Meyer-Landrut die wenigen Urlaubswochen im Sommer in Zentralfrankreich, im Département Cher. Dort hat er diesmal – wenig überraschend – neben der Neuauflage von Hans Falladas Buch „Jeder stirbt für sich allein“ eine Biografie über Ludwig XIV. gelesen.
Beim Regierungswechsel in Paris liefen die ersten zarten, sehr vertraulichen Kontakte mit dem Team von François Hollande natürlich über Meyer-Landrut. Er kann den Franzosen ohne Schaum vor dem Mund und in ihrer Sprache erklären, was Merkel bei ihrer Politik antreibt – und der Kanzlerin, wie der engste EU-Partner aufgrund seiner historischen Erfahrung tickt. Für den Neuanfang mit dem Sozialisten im Élysée-Palast macht ihn dies noch unentbehrlicher.
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