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Stephan E. bei seiner Verhaftung / dpa

Ein Jahr nach dem Mord an Walter Lübcke - Die Terrorgefahr steigt

Heute vor einem Jahr wurde der hessische Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet. Der Täter, ein vorbestrafter Rechtsextremer, war den Behörden vom Radar gerutscht. Der Mord hat die Hemmschwelle für Gewalt gegen Politiker gesenkt, auch von Links.

Florian Hartleb

Autoreninfo

Florian Hartleb ist Forschungsdirektor am Europäischen Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP) in Wien sowie derzeit Lehrbeauftragter an der Katholischen Universität Eichstätt sowie der Universität Passau. Er hat mit Gustav Gustenau als Herausgeber das Buch „Antisemitismus auf dem Vormarsch. Neue ideologische Dynamiken“ (Nomos, Baden-Baden 2024) veröffentlicht. 

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Attentate auf Politiker aus politischen Motiven kennen wir aus revolutionären Umbruchssituationen. So wurde der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner in der Umbruchsituation nach dem Ersten Weltkrieg am 21. Februar 1919 ermordet. Der Einzeltäter, Graf Arco-Valley, handelte aus antisemitischer Motivation.

In der Bundesrepublik erschütterte ein Attentat auf den linksradikalen Studentenführer Rudi Dutschke am Berliner Kurfürstendamm im Jahr 1968. Der Einzeltäter, ein vorbestrafter Hilfsarbeiter, war ein fanatischer Antikommunist. Es fiel in eine bewegte Zeit der Unruhen und Proteste, die sich etwa gegen den Vietnamkrieg richteten.

Die Hemmschwelle für Drohungen ist gesunken

In bewegten Zeiten befinden wir uns auch jetzt. Befinden wir uns auch jetzt wieder in Umbruchzeiten, die mit einer erhöhten Gefährdungslage für politische und gesellschaftliche Entscheidungsträger verbunden sind? Die Anzeichen dafür verdichten sich. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder erhielt eine perfide Post, die an die Staatskanzlei adressiert war.

Darin befand sich ein Fläschchen mit einer Flüssigkeit, die angeblich das neuartige Coronavirus enthalten soll. Dazu stand auf einem Zettel als unmissverständliche Drohung: „Trink das – dann wirst du immun.“ Auch der SPD-Politiker Karl Lauterbach und der Virologe Christian Drosten erhielten denselben Inhalt. 

Lübcke, der Macher und Kümmerer 

Die Hemmschwelle für Drohungen scheint drastisch zu sinken. Um so wichtiger ist es in angespannten Zeiten wie diesen, an eine Schreckenstat zu erinnern, die sich vor genau einem Jahr ereignet hat. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, damals 65 Jahre und angesehen als Macher und Kümmerer mit einem christlichen Wertekompass, wurde heimtückisch per Kopfschuss ermordet.

Der lange geplante Mord ereignete sich um Mitternacht. Der Politiker saß auf der Terrasse des eigenen Wohnhauses. Er rauchte eine Zigarette, nachdem er zuvor als Babysitter auf seinen einjährigen Enkel aufgepasst hatte. Die Gemütlichkeit fand durch das gezielte Attentat ein jähes Ende. Der Täter war einst in der rechtsextremistischen Szene aktiv, ist als Gewalttäter mit rassistischer Motivation aufgefallen.

Feindbild der rechtsextremen Szene 

Er legte  etwa ein Feuer in einem von türkischstämmigen Menschen bewohnten Haus und verbüßte eine Jugendstrafe. Längst galt er aber als scheinbar sozialisiert, gründete eine Familie und ging einer geregelten Arbeit nach. Die Sicherheitsbehörden, die ihn einst beobachteten, hatten ihn nicht mehr im Visier. Verjährt, aus dem Radar. Ein fataler Fehler.

Stephan E. verbreitete 2018 im Netz Hasskommentare und reiste nach Chemnitz, um mit Rechtsextremen nach der Tötung eines Deutsch-Kubaners zu demonstrieren. Der anstehende Prozess wird weiteres zu Tage fördern, auch die Frage, ob es Mitwisser gab. Fest steht: Stephan E.  hasste den höchst anerkannten CDU-Politiker, der in der Flüchtlingskrise zum Feindbild in der rechtsextremistischen Szene wurde.

Ein Satz als Trigger 

Stein des Anstoßes war eine Äußerung Lübckes auf einer Bürgerversammlung am 14. Oktober 2015. Sein Satz lautet im Zuge einer Debatte um eine Asylunterkunft: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen.“ Der Satz verbreitet sich über ein einminütiges Video im Netz. Der Politiker erhielt Morddrohungen und wurde als „Volksverräter“ beschimpft. 

Lübcke war nicht der einzige Politiker, der so angegangen wurde: Henriette Reker wurde im Oktober 2015, einen Tag vor der Kölner Oberbürgermeisterwahl, durch einen rechtsextremistischen Einzeltäter schwer verletzt. Der Täter machte sie durch ihre humanitären Äußerungen zur Flüchtlingspolitik als zentrales Feindbild aus.

Der Unterschied zwischen Mord und Terror 

Ein ähnlicher Fall erschütterte nur wenig später Großbritannien: der am 16. Juni 2016 begangene Mord an der Labour-Politikerin Helen Joanne („Jo“) Cox. Wieder war es ein Attentat, mit dem der Einzeltäter ein politisches Zeichen in einer aufgeheizten Debatte setzen wollte. Die Tat erfolgte nur eine Woche vor dem Brexit-Referendum, deren Befürworter massiv die Angst vor Migration schürten. Cox vertrat die Anliegen der Einwanderer, engagierte sich beispielsweise auch für syrische Flüchtlinge. 

Menschen, die nicht mehr in zivil-harmonischer Weise mit sich reden lassen, wollen der westlichen Gesellschaft, in der sie leben, einen letzten Bärendienst erweisen. Wenn Menschen aus Lust oder Rache töten, einfach willkürlich, nennen wir sie Mörder oder Amokläufer. Töten Menschen nach Plan und aus politischen Überzeugungen, verbunden mit einer heroischen Selbstüberhöhung, sprechen wir von Terroristen.

Von der Flüchtlings- zur Coronakrise  

Wir fragen uns unwillkürlich: Wie konnte es passieren, dass eine offenbar kranke Idee umgesetzt wurde? Welche Botschaft liegt solchen Taten zugrunde? Generell: Was hätte die Gesellschaft tun können, um das zu verhindern? Warum griffen die Mechanismen eines Frühwarnsystems im sozialen Umfeld nicht? Weshalb sind die Sicherheitsbehörden nicht rechtzeitig eingeschritten? Stephan E. war anders als etwa die Täter von Halle und Hanau einschlägig bekannt. 

Im Zuge der Coronadiskussionen und Demonstrationen könnte sich die Gesellschaft ähnlich polarisieren wie in der Flüchtlingskrise. Schon jetzt wird deutlich, dass sich bei Kundgebungen eine aggressive Grundstimmung breit macht. Extremisten wollen sich dies zunutze machen. Gerade kommunale Entscheidungsträger können zur Zielscheibe werden, wenn die Strategie zur Bekämpfung der Pandemie und ihren massiven Folgen mehr und mehr zur Aufgabe der Städte und Landkreise wird.

Der Mord als Mahnung 

Schwierige Entscheidungen werden bald auch auf dieser Ebene zu fällen sein. Nicht nur deshalb sollte der Lübcke-Mord eine Mahnung sein. Erst kürzlich stellte Bundesinnenminister Horst Seehofer die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität vor. Ein Anstieg um 14,2 Prozentpunkte auf 41.000 Delikte waren zu verzeichnen. Mehr als die Hälfte der Straftaten waren rechtsextrem motiviert.

Die Bilanz ist also alarmierend, obwohl das Bewusstsein für die Gefahr spätestens nach dem Lübcke-Mord da ist. Seehofer betont seit Monaten, dass die größte Gefahr für die Republik von rechtsextremistischem Terror ausgeht. Wir dürfen die Polarisierung nicht zulassen. Das gilt für Parteipolitiker aller Couleurs. So wurden Brandanschläge auf die Autos der AfD-Politiker Nicolaus Fest und Tino Chrupalla verübt, begangen wohl durch Linksextreme.

Extreme mischen sich auch unter die Coronademonstrationen. Der gewaltsame Tod von Walter Lübcke war die Folge von einer Hetzkampagne in den Sozialen Medien. Diese stand im direkten Zusammenhang mit einer aufgeheizten Flüchtlingsdiskussion. Wir sollten deshalb in diesen Zeiten einen Moment innehalten, aber auch nachdenken, wie der radikale Ton im Netz zu stoppen ist. 

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Gisela Fimiani | Di., 2. Juni 2020 - 16:46

Lesenswerter wäre einen Beitrag gewesen, der sich um mehr Ausgewogenheit und Tiefgang bemüht hätte.

Ich bin sicher, Herr Hartleb weiß fundierte und gut begründete Kritik zu schätzen.
Wollen Sie es nochmal versuchen?;-)

Der mutmaßliche Mörder von Herrn Lübke ist den Behörden " vom Radar gerutscht ". Der Mörder von Hanau, ein registrierter Waffenberechtigter, über den Monate vor dem Mord niemand so viel wusste wie die Bundesanwaltschaft, ist auch den Behörden irgendwie " weggerutscht ". Komisch, Steuerpflichtige rutschen nie vom Radar oder entgehen der Aufmerksamkeit der Behörden.

Ich weiß zwar nicht, was die Hauptprobleme der "Cicero Leitungsebene & Förderer" ist, aber ich komm mir immer öfters wie im Angelwettbewerb vor. Mal wird die Schnur losgelassen & bei den Kommentar-Schreibern kommt ein CHAPEAU - Effekt. Im nächsten Artikel wird die Leine auf einmal mehr wie eingefahren & unserer "Retter der Wahrheit" übernimmt die Führung der Kommentarseiten, während andere Gedankengänge in den Tiefen des Ozeans verschwinden.
Und Frau Fimiani hat mit ihren Gedankengang vollkommen Recht. Nicht Masse, sondern Klasse mit ausreichend Zeit zum Denken & Antworten ist bei den vollen Häfen von "Luxusliner" gefragt, damit mein Herz ( bzw. Vieler) berührt wird.

Aktion=Reaktion/Ursache=Wirkung/Druck-=Gegendruck

Wenn bei meiner relexten (schon wegen des Alters) & christlichen Einstellung & Fundament zum Leben oftmals "bei politischen Aussagen & Haltungen mir" die Haare sträuben" & ich den Toleranzbereich bei "Linksgewinden" sehe, ohne Worte. Aber dann brauch man sich nicht...

waren die Sicherheitsbehörden ja nun nicht zum ersten Mal. Man erinnere sich nur an die Mordanschläge des NSU. Unfassbar, wie Verfassungsschutzorgane damals gepennt haben.

Aber vielleicht ist das ja auch typisch für ein zumindest in Teilen der Bevölkerung verbreitetes Denken.

Schaue ich mir die Kommentare hier zu diesem Beitrag an, was finde ich? Neben allgemeiner Kritik und Gemecker am Beitrag bzw. Kritik an den den Behörden das übliche Lamentieren über die angebliche Verfolgung von AfD und Menschen mit konservativer und rechter Gesinnung.
Dagegen die üblichen Urteile über die Antifa und die Vorsitzende der SPD.

Aber: Kein einziges Wort der Kritik an rechtem Terrorismus.

Warum tut man sich im Umfeld der AfD- die doch im Moment so gerne eine bürgerlich-konservative Partei sein will - so schwer, rechten Terrorismus eindeutig zu verurteilen?

Bernd Muhlack | Di., 2. Juni 2020 - 16:47

Zitat:
"Menschen, die nicht mehr in zivil-harmonischer Weise mit sich reden lassen, wollen der westlichen Gesellschaft, in der sie leben, einen letzten Bärendienst erweisen."
Herr Dr. Hartleb, genau das ist der entscheidende Punkt!
Es ist klar, dass man Zeitgenossen wie Stephan E. nicht mit Diskussionen, "Erklärungen" erreichen kann.
Das gilt für die gesamte "Hardcore-Szene"; es gibt diese wohl eher wenig bekannte Gruppierung "Der 3. Weg". Diese Jungs marschieren trommelnd und in Uniformen durch die Straßen und stehen offen für die "Re-Germanisierung" etc.
Natürlich Unmengen Polizei.
IN HH (G-20) zog der linke Mob ("Antifa") plündernd und brandschatzend durch die Straßen, wie aktuell in den USA.
Soweit, so gut, äh schlecht.

Also debattiert man mit "Vernünftigen", will hierbei jedoch "entre nous" bleiben.
Wer einen Peter Sloterdijk in die rechte Ecke stellt, dem ist wahrhaft nicht mehr zu helfen.

"Ich bin 58 und bin Antifa"
Saskia Esken, gestern.

Ich bin auch 58, aber "normal".

Schlimm genug lieber Herr Muhlack, das man das heute betonen muss. Habe 43 Jahre mit allen Schattierungen von Gewalt und Wahnsinn zutun gehabt. Sie haben recht, da gibt es eine Sorte Menschen, da helfen keine Worte, da hilft nur konsequentes Handeln. Dafür braucht es Personal, beide Augen um hinzusehen und den Willen, dieses unser Grundgesetz mit allen seinen kleinen Fehlern zu verteidigen. Und genau da fängt das Problem an. Wenn jemand wie Sloterdijk bereits so diffamiert wird und Saski Esken für ihre Aussagen gefeiert wird oder unbehelligt bleibt, der ist auch aus meiner Sicht eben genau nicht --- normal---.

Gunther Freiherr von Künsberg | Di., 2. Juni 2020 - 17:45

im Grunde genommen wäre es höchst einfach die radikalen Töne im Netz durch Einschränkung des ohnehin übertriebenen Datenschutzes einzuschränken. Wenn jeder Beitrag im Netz ohne Schwierigkeiten auf den Urheber zurückgeführt werden könnte würde sich der Ton zwangsläufig ändern.

gabriele bondzio | Mi., 3. Juni 2020 - 09:49

Mein Gewissen/Moral unterscheidet nicht zwischen geplanten Mord und Terror. Die Motivation, einen (oder mehreren) Menschen gezielt das Leben zu nehmen. Verurteile ich grundsätzlich.
Und ich bin der Meinung, solche Menschen haben keine Gewalt mehr über ihr eigens Leben. Sie haben sich dem Hass ergeben und kritisches Denken abgelegt.
Es steckt viel eigne Angst hinter diesem Hass und eine zutiefst gestörte Selbstwahrnehmung.

Wilhelm Herbst | Mi., 3. Juni 2020 - 14:35

Wir brauchen mehr Debattenfreudigkeit. Das hat auch mit Ausdauer zu tun und damit, trotz inhaltlicher Differenzen den Gegenüber zu achten. Diese Achtung fehlt oft, auch von Meinungsführern in Politik und Medien. Die Breite des Diskutierbaren muss vergrößert werden, um weniger an den radikalen Rand kommen zu lassen. Zu Dutschke: Steckte da nicht die Stasi dahinter?

Konrad Geißler | Do., 4. Juni 2020 - 00:30

Der Mord an Lübcke ist verabscheuungswürdig. Dass vor 2 Wochen ein Konservativer in Stuttgart halbtot geschlagen wurde und immer noch in Lebensgefahr ist, ist nicht minder beunruhigend.

Liest man in den Texten auf " indymed", wie eiskalt im Schreibstil die Linksfaschisten ihren Terror begründen und ausbauen, dann wird klar, welche Einschüchterungsmaschinerie der Linksextremismus am Laufen hat. Die Seite wurde verboten, macht aber einfach weiter. Illegal - Sch**egal. Wenn ein Kölner Rechtsanwalt plötzlich Mandate für Konservative niederlegt und das mit Bedrohung begründet und wenn der Stuttgarter Demo-Veranstalter plötzlich seine Tätigkeit beendet unter flauen Begründungen, dann ist klar, was hier an Bedrohung läuft. Die Überfälle auf AfD- Mitglieder (z.B. Bremen) sprechen die gleiche Sprache. Dahin gehört auch "Straßenterror" von Linksextremen, die gewählte Ministerpräsidenten wieder rausschmeißen.

Kurzum: Nur auf Bedrohung von rechts zu blicken wird der Sache nicht gerecht.

... ein Gebäude des Öffentlich-Rechtlichen verüben sollten, ob man dann genauso berichtet, wie seinerzeit, als ein paar Rechte bei älteren Bürgern mitprotestierten, als das unsägliche Oma-Umweltsau-Lied über den WDR verbreitet worden war ...
Wenn schon nicht wirklich erwähnenswert erscheint, dass manche sog. "rechte" Attentäter aus einer "grünen" Familiemilie stammen ...