- „Den Generationenkonflikt gibt es nicht“
Die staatliche Rente ist ein Relikt des deutschen Wohlfahrtsstaates, von dem sich jüngere Generationen längst verabschiedet haben. Dennoch birgt das neue Rentenpaket neues Konfliktpotenzial. Doch der Generationenkonflikt ist ein Konstrukt, findet der Politologe Achim Goerres
Herr Goerres, was ist eigentlich Generationengerechtigkeit?
Generationengerechtigkeit ist ein symbolträchtiges Konstrukt, das jeder toll findet. Aber jeder versteht darunter etwas anderes. Es kann bedeuten, dass jeder genauso viel Rente erhält, wie er einbezahlt hat oder dass jeder die gleichen Berufsmöglichkeiten hat.
In einer ihrer aktuellen Studie setzen Sie dem öffentlichen Eliten-Diskurs die Meinung des „Normalbürgers“ entgegen. Nehmen sich Menschen überhaupt als Teil einer Generation wahr?
Die Ausgangsidee der Studie war, dass wir uns in einer alternden Gesellschaft befinden, in der sich die Verhältnisse grundlegend verändern, wir aber nicht viel darüber wissen, wie die Leute wirklich darüber denken. Da das Thema Generation theoretisch äußerst komplex ist, versteht jeder darunter ganz unterschiedliches. Dennoch hatten fast alle ein Bewusstsein für eine gemeinsame Kohortenprägung (Anm. d. Red.: Gruppe, die gemeinsame Geburtsjahrgänge haben). Für viele Ältere ist das der Zweite Weltkrieg oder die Nachkriegszeit. Bei den Jüngeren ist es vor allem die aktuelle Erfahrung, dass sie von staatlichen Rentensystem nicht mehr viel erwarten können.
Gab es Anzeichen für einen Konflikt zwischen den Generationen?
Den Generationenkonflikt gibt es nicht. Aus Umfragen wissen wir, dass der Konflikt zwischen Jung und Alt aus Sicht der Menschen nicht existiert.
Dennoch gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen der Nachkriegskohorte und denen, die etwa ab 1970 geboren sind. Erstere profitieren auch von der Blütezeit der Nachkriegsjahre, während die Rente der Jüngeren kaum zum Überleben reichen wird. Diese Ungerechtigkeit haben die Jüngeren mehrheitlich relativiert, indem sie auf die Leistungen der Älteren verwiesen wie etwa den Wiederaufbau nach dem Krieg. Finden die Älteren das gerecht?
Es gab schon vereinzelt das „Wir haben das hier aufgebaut“-Argument. Aber niemand hat behauptet, dass die Jungen ähnliches leisten sollten. Weit verbreitet ist hingegen der Glaube an den Wohlfahrtsstaat. Das ist ja typisch für Deutschland. Es ist ein so genannter konservativer Wohlfahrtsstaat, in der sozialpolitische Programme wie die Rente darauf ausgelegt sind, dass der Wert der Beiträge, die man einzahlt, auch genauso wieder herauskommen. Das ist in anderen Ländern wie Großbritannien oder Schweden anders.
Sind die Jüngeren auch noch geprägt von der Idee des konservativen Wohlfahrtsstaats? Oder wissen Sie, dass diese Ideal zukünftig nicht mehr haltbar ist?
Sie nehmen es bereits ganz anders wahr. Menschen, die 1985 geboren sind, können und müssen davon ausgehen, das die staatlichen Altersbezüge wesentlich geringer sein werden als die der Eltern. Viele wissen, dass sie für ihre Rente auch selbst vorsorgen müssen. Damit nimmt natürlich auch die Erwartung gegenüber dem Staat ab.
Wie stark ist denn die Solidarität zwischen den Generationen?
Vor allem innerhalb der Familie herrscht eine große Solidarität, denn dort haben Menschen am meisten Kontakt zu unterschiedlichen Altersgruppen. Dabei ist es noch nicht mal so, dass sie unbedingt mehr vom Staat fordern, manchmal ist es sogar weniger. Sie haben ein besseres Verständnis dafür, was im Alltag passiert.
Nennen Sie ein Beispiel.
Jemand, der gar keinen Kontakt zu Kindern hat, aber denkt, das Bildung wichtig ist, sagt vermutlich, dass wir mehr dafür ausgeben müssen. Aber Leute, die selbst Kinder oder viel Kontakt haben und wissen, dass die deutschen Schulen doch nicht so schlimm sind, sind eher der Meinung, dass nicht unbedingt mehr investiert werden muss. Die Familie ist eine zentrale Schnittstelle zwischen Jung und Alt im modernen Wohlfahrtsstaat.
War das früher mal anders, als die Familie noch einen größeren zentralen Stellenwert in der Gesellschaft hatte?
Der Zusammenhang ist sehr komplex. Der Wohlfahrtsstaat hat ja mit der Zeit Funktionen übernommen, die früher die Familie inne hatte. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Kinder maßgeblich für die Pflege ihrer Eltern zuständig und außerdem ihr wichtigster Geldgeber. Der Wohlfahrtsstaat hat dann über Umverteilungssysteme die Familie aus dieser Verantwortung befreit. Insofern ist heute keine Familie mehr notwendig, um sich für das Alter abzusichern.
Könnte das nicht bedeuten, dass der Rückgang von Kindern in Deutschland dazu führt, dass auch das intergenerationale Verständnis abnimmt?
Dafür gibt es keine Anzeichen. Die Hauptursachen des Rückgangs in der Anzahl von Kindern liegen nicht darin, dass Leute immer weniger Kinder bekommen, sondern darin, dass diejenigen, die ohnehin welche haben, weniger bekommen, also nur ein oder zwei Kinder. Außerdem gibt es ja noch die „sozialen Kinder“, also Nichten oder Neffen. Es ist ja nicht so, dass die Menschen immer weniger Kontakt mit jüngeren Generationen haben.
Der aktuelle Diskurs um die „Rentnerdemokratie“, nach der die Politik vor allem die ältere Generation bevorzugt, birgt also kein Konfliktpotenzial?
Der Begriff Rentnerdemokratie ist konzeptionell ziemlich schwach. Denn dass Rentner eine homogene Gruppe sind, die politische Macht haben, ist falsch. Nur weil eine Politik gemacht wird, die einer bestimmten Gruppe zugute kommt, heißt das noch lange nicht, dass diese Gruppe sie auch möchte. Rentner sind sehr heterogen in Bezug auf ihre Einkommen, ihr Vermögen und ihre politischen Identitäten. Sie haben ja noch nicht mal Gemeinsamkeiten in Bezug auf die staatliche Rente. Für Reiche ist die staatliche Rente zwar ein nettes Beibrot, aber sie interessiert sie wenig. Als armer Angestellter ist diese Rente allerdings zentral.
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