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Genderdebatte - Ich bin durch mit der Emanzipation

Emanzipation à la Simone de Beauvoir war gestern. Heute finden sich Frauen wieder mit ihrer naturgegebenen Rolle ab. Reine Provokation? Nein: Realität im Jahr 2013

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Ich bin durch mit der Emanzipation. Ich schaue dabei zu, wie sich meine Rollenbilder zementieren. Es ist ja so: Der Mann hat Projekte. Er reißt ab, er zerstört, er erschafft – einen Stall, einen Baum, einen Zaun, eine Jauchegrube. Er braucht große Geräte. Mächtige Geräte. Einen Trecker zum Beispiel. Ein Brecheisen. Einen Kärcher, eine Flex, einen großen und sehr langen Gartenschlauch. Dann kann der Mann seine Projekte in Angriff nehmen. Er kann sägen, hämmern und wenn er noch einen anderen Mann an seiner Seite hat, können sie sich auf die Schulter hauen, Bier trinken, rauchen.

Mein Mann fällt Bäume, fährt Trecker, hackt Holz. Ich koche. Hatte ich mich in den vergangenen Jahren aus der Küche zurückgezogen, stehe ich jetzt mittags am ausgerollten Pizzateig, während die Kinder im Kletterbaum vor dem Fenster sitzen. Wenn die Männer einen Baum fällen, rast mein Herz. Ich fege lieber den Platz vor meiner Küche. Um es mit Kristina Schröder zu sagen: Es gibt „bestimmte Unterschiede in den Präferenzen zwischen den Geschlechtern“.

Kristina Schröder zieht sich auch aus der Regierung zurück


Oh, habe ich das wirklich gesagt? Kristina Schröder hat dem Spiegel gerade ein aufsehenerregendes Interview zum Ende ihrer Amtszeit als Familienministerin gegeben, in dem sie einmal mehr erklärt, warum sie für Wahlfreiheit in Sachen Arbeit und Familie ist. Das kannten wir schon. Und auch den mäßigen Erfolg, den sie damit in der Politik und bei ihrer Zielgruppe hatte. Viel interessanter aber: Zum ersten Mal berichtet sie nun, wie sehr sie darunter gelitten habe, „viele schöne Momente“ mit ihrer Tochter „verpasst“ zu haben.

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Und jetzt wissen plötzlich alle, wie sie dieses Dilemma hätte lösen können. Einfach später Karriere machen, rät das Hamburger Abendblatt. Sie sei „an sich selbst gescheitert“, urteilt die Welt. Dass es keine Lösung für das zufriedenstellende Zusammenspiel von Job und Kindern gibt, dem alle arbeitenden Väter und Mütter unterliegen, wäre ja auch keine befriedigende Antwort gewesen. So schaute alles auch sprachlos auf die Ergebnisse der neuen Umfrage des Allensbach Instituts, das gemeinsam mit der Bild der Frau gefragt hatte: „Wie tickt der Mann?“ Und siehe, der tickt ganz anders, als wir uns das alle gewünscht hatten: 62 Prozent der Männer meinen, dass es ihnen allmählich reiche mit dem Kampf um Gleichberechtigung. Von den Frauen, die in der Studie zu Wort kamen, fühlt sich jede zweite nicht gleichberechtigt. 2008 und 1996 waren das noch 72 Prozent. Viele von ihnen scheinen sich also mit ihrer Ungleichbehandlung abgefunden zu haben. Und das, obwohl sich in puncto gleicher Lohn, Aufstiegschancen und familiärer Aufgabenverteilung nachweislich nur wenig geändert hat.

Es geht um Wertschätzung


Traditionelle Geschlechterrollen sind also wieder en vogue. Man ist es leid, in patriarchalischen Zuständen für sein Anliegen zu betteln und gegen gläserne Decken zu stoßen. Die Männer dagegen müssen erdulden, für Vatermonatsgesuche abfällige Blicke vom Vorgesetzten zu ernten und mitleidige Lacher beim allwöchentlichen Skatabend. Sie sind müde. Die Doppelbelastung von Karriere, Hausmann und liebendem Papa ist ebenso wenig zu schaffen, wie die von Hausfrau, Mutter und Bundesministerin. Auch die Männer haben das Gefühl, dass sich die Umstände kaum ändern werden. Viele Paare, die sich lange gewünscht hatten, Kinder und Beruf gleichberechtigt unter einen Hut zu bringen, resignieren nun. So kann man diese Studie auch lesen. Sie zeugt von einem Prozess, einem Kampf, der noch mehr Kräfte braucht, noch mehr Hilfe mobilisieren muss, von politischer Seite, von wirtschaftlicher Seite, von privater Seite.

Während wir den Boden bereiten für eine echte Aufgabenteilung, die nicht auf dem Rücken des einen oder anderen Geschlechts ausgetragen wird, müssen wir ein weiteres Missverständnis ausräumen: Gleichberechtigung ist offenbar mehr als das Durchbrechen von Rollen. Es sagt nicht viel über das Selbstverständnis von Mann und Frau aus, wenn die Frau kocht und der Mann Holz hackt. Eine Beziehung kann unausgewogen sein, obwohl beide als Lehrer oder Bankangestellte Vollzeit arbeiten. Und eine Beziehung kann – in diese Richtung zumindest müsste eine Gesellschaft denken und arbeiten – gleichberechtigt sein, obwohl sie mehr im Büro arbeitet und er die Kinder von der Kita abholt. Oder andersherum.

Es geht um Wertschätzung. Nicht nur, wenn einer einen Baum fällt oder einen Stall baut, sondern auch um die der Hausarbeit und Kindererziehung. Der sich ewig wiederholenden Aufgaben, dem Windelwechseln, Tischabwischen, dem Kleiderzusammenlegen und Fußbodenfegen. Gleich und gleich, das ist eine gute Sache. Wir müssen nur zu der Erkenntnis kommen, dass es mit der Art der Arbeit gar nicht so viel zu tun hat.

Am Ende des Tages stehen Bauernhofbesucher und -bewohner vor dem frisch geschweißten Wassertank. Große Arbeit, großes Projekt. Es wird gestaunt, gelobt und angestoßen. Ein Prosit auf die tüchtigen Männer. Zurück in der Küche stehen die Frauen vor dem großen Holztisch. Der ist schon wieder vollgestellt mit Schmutzgeschirr. Zum vierten Mal an diesem Tag.

 

 

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