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Eine Partei sieht orange
Er wählte Orange zur Kampagnenfarbe, nun folgt ihm seine Partei. Ole von Beust widerlegte die Annahme hochprozentig, dass Christdemokraten und Großstadtmilieu nicht zusammenpassen. Die CDU ändert ihr Image
Stadtluft macht frei. Und umweht im 21. Jahrhundert auch bürgerliche Helden: Noch vor vier Jahren schien Carl Friedrich von Beust, den sie Ole nennen, zu einer ewigen Oppositionsrolle in Deutschlands zweitgrößter Stadt verdammt zu sein, heute regiert er mit absoluter Mehrheit in der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Und Ole, wie er sich auf jedem orangefarbenen Plakat duzen ließ, hat als Angela Merkels Minenhund auf Großstadtterrain den Parcour bestanden. Jetzt ist er zum nationalen Hoffnungsträger der Bürgerlichen geworden: Nie vor dem 29. Februar hat eine Partei 20 Prozentpunkte zugelegt, schon gar nicht die Union, schon gar nicht in einer Metropole. Die Hamburger CDU hat es geschafft. Mit Rückenwind aus Berlin, aber dennoch ganz eigenwillig, legte er einen Kurz-Wahlkampf hin, wie ihn die Union seit dem legendären „Team 70“ der CSU und dem Koch-Wahlkampf 1999 nicht mehr erlebt hat. Der Erfolg hat eine Farbe: orange.
Und sofort darf sich die CDU in der veröffentlichten Meinung über ein neues Image freuen: als „liberal“ und „fortschrittlich“ wird sie in jedem zwölften Beitrag beschrieben, der in den ersten drei Tagen nach der Hamburg-Wahl erscheint – natürlich sehr zur Freude der gebürtigen Hamburgerin Angela Merkel und zum Beweis für die Bayern, was Nordlichter können.
Zu Beginn des Wahlkampfes waren großstädtische Liberalität und Fortschrittlichkeit nur jedem fünfzigsten Beitrag in 35 Meinungsführermedien in Print und TV zu entnehmen.
Vergessen sind die Grabesreden auf die CDU nach der Bundestagswahl 2002, mit weniger als 30 Prozent in den Großstädten des Nordens sei Merkels Partei strukturell zu einer Mehrheit unfähig. Atemlos zählen die Analysen nun, dass Oles CDU in 86 von 98 Hamburger Stadtteilen die stärkste Partei geworden ist, in 47 Stadtteilen, fast der Hälfte, hat sie die absolute Mehrheit. 2001 war ihr das in keinem einzigen gelungen. Sie lag bei dieser Wahl in jedem Alterssegment vorne, bei einer normalen Wahlbeteiligung.
Der Hamburger Union ist es gelungen, mit Ole von Beust und der neuen Kampagnenfarbe in der Medienöffentlichkeit eine Marke zu setzen, die wie nie zuvor eine Öffnung, hin zu großstädtischen Milieus, Liberalität und dem unbestimmten Begriff Fortschrittlichkeit signalisiert. Positionierungen innerhalb der Union und im Links-rechts-Spektrum sind freilich kaum zu erkennen, denn jede Festlegung dieser Art hat von Beust zu vermeiden gewusst. Damit folgte er dem Rat vieler Strategen, bei aller grundsätzlichen Klarheit in den Tagesfragen flexibel nach mehrheitsfähigen Positionen zu suchen.
Hamburg hat es vorgemacht, nun folgt Berlin: Bereits in der Wahlnacht präsentierte sich die Spitze der Bundespartei vor orangefarbenen Flächen. Nach und nach soll der optische Auftritt der gesamten Partei um die neue Farbe erweitert werden. Orange, so heißt es aus dem Konrad-Adenauer-Haus, biete zum einen die Möglichkeit der Differenzierung im Parteienwettbewerb, zum anderen spreche die Farbe Wähler emotional stärker an. Diese Erkenntnis haben Marketing-Spezialisten ins Adenauer-Haus getragen. Weckt nicht morgens ein Orangensaft unsere Lebensgeister? Sprechen wir nicht dank einer neuen Telefongesellschaft schon orange? Wird uns nicht abends bei einem orangenen Sonnenuntergang ganz warm ums Herz? Alle Assoziationen seien freundlich und warm: Selbst die Biene Maja und der Fisch Nemo. Professor Max Lüscher meint: „Orange ist die stimulierendste aller Farben. Messungen haben ergeben, dass beim Betrachten Atmung und Puls rascher werden und der Blutdruck steigt. Orange repräsentiert vitale Stärke.“
Vitale Stärke! Das gefällt der alten CDU. Und so glaubt sie ans orangene Zeitalter. Orange ist Jugend. Orange ist Liberalität. Orange ist Coolness. Orange ist Großstadt. Orange ist Ole. Orange ist die neue Mitte der CDU. Vor dem Hintergrund des Ole-Wahlkampfes dürfte der neue farbliche Auftritt der CDU vor allem als Öffnung der Partei im großstädtischen Sinne verstanden werden.
Die Bürgerlichen blicken jetzt gespannt auf Nordrhein-Westfalen. Jürgen Rüttgers, von Merkel nach der Wahl 2002 zum Verantwortlichen für die Strategieentwicklung zum Knacken der kleinen und großen Städte berufen, kann sich über den Aufwind aus dem Norden freuen: Im Herbst sind an Rhein und Ruhr Kommunalwahlen, im Frühsommer 2005 Landtagswahlen. Die Chancen für Rüttgers, „im Westen“ im nächsten Jahr auch im Land zum ersten Mal seit Menschengedenken eine bürgerliche Mehrheit zu erringen, stehen derzeit gut: Denn auch Rüttgers sieht orange.
Doch so sehr Bürgerliche an die emotionale Kraft einer Farbe glauben – die bittere Wahrheit, die Stoiber 2002, Mirow in der Hamburg-Wahl und Dean im US-Vorwahlkampf erfahren mussten, lautet: Bei dreißig bis vierzig Prozent bis zuletzt unentschiedenen Wählern entscheidet die Medien-Berichterstattung der letzten Wochen über den Wahlerfolg. Dabei wird die Union nicht immer auf ein so einhellig positives Medienecho setzen können, wie bei Oles Personen-Wahl.
Prof. Wolfgang Stock ist geschäftsführender Chefredakteur des unabhängigen Bonner Forschungsinstitutes Medien Tenor
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