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Deutsche Demographie - Zuwanderung ist ein Geschenk für Deutschland

Von einer Islamisierung durch Einwanderung kann keine Rede sein: Die große Mehrheit der Einwanderer kommt aus europäischen Ländern, ist jung und arbeitswillig und gut ausgebildet. Die Chance der Zuwanderung zu verpassen, wäre für Deutschland in jeder Hinsicht fahrlässig

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Christian Schägerl arbeitet als freier Journalist in Berlin.

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Bei der Frage, wie es mit Deutschland längerfristig weiter geht, gab es bis vor kurzem nur eine Antwort: Wir werden älter, wir werden weniger. Dass das Land schrumpft, weil weniger Kinder zur Welt kommen, wurde zum Mantra der Debatte, seit die Bundesregierung vor etwa zehn Jahren überhaupt damit begann, sich für die Prognosen von Demographen zu interessieren.

Alle längerfristigen Prozesse in der Republik, von der Stadtplanung bis zur Bildungspolitik, werden seither auf Schrumpfung ausgerichtet. Nur noch 60 Millionen Menschen könnten zur Mitte des Jahrhunderts in Deutschland leben, lautete die pessimistischste Vorhersage der Forscher. Das Statistische Bundesamt nahm dafür an, dass langfristig jährlich nur 100.000 Menschen nach Deutschland einwandern werden. Die Konsequenz: Rückbau allerorten und Warnungen vor einer „Alten-Republik".

Doch nun zeigt sich erneut, auf welch wackligem Grund die Schrumpfungs-Politik steht. Bereits im Sommer 2013 titelte Cicero: „Hurra, wir wachsen!" Damals wollte das noch kaum jemand wahrhaben, denn das Mantra der Schrumpfung sitzt tief. Zudem stellte sich heraus, dass viele aus Deutschland weggezogen waren, ohne sich abzumelden. Eine Million Karteileichen verschwanden aus den Registern, statt 81,7 Millionen Menschen waren es plötzlich offiziell nur noch 80,2 Millionen Menschen, die in Deutschland lebten.

Großteil der Einwanderer kommt aus dem katholisch geprägten Polen
 

Am Mittwoch jedoch bestätigte die Bundesregierung in ihrem Migrationsbericht, dass von Schrumpfung keine Spur zu sehen ist. Im Gegenteil: Binnen kürzester Zeit ist die Bevölkerung wieder um fast eine Million Menschen auf 81,1 Millionen angewachsen - um das Äquivalent einer veritablen Großstadt fast von der Größe Kölns. 470.000 Menschen wanderten allein 2014 netto nach Deutschland ein, teilte das Statistische Bundesamt diese Woche mit. Das sind fast fünf Mal so viele Menschen wie in den negativen demographischen Prognosen vorgesehen. Und es gibt keine Anzeichen, dass dieser Trend unterbrochen würde.

Die irrationalen Ängste, die mit Zuwanderung verbunden sind, erweisen sich im Licht des Migrationsberichts als völlig unbegründet: Von einer Islamisierung durch Einwanderung kann keine Rede sein. Die überwiegende Zahl der Einwanderer kommt aus anderen europäischen Ländern, vor allem aus dem katholisch geprägten Polen. Die Menschen, die zu uns kommen, sind außerdem zu einem erheblichen Teil gut gebildet und jünger als der Durchschnitt der bisherigen Bevölkerung.

Egoistisch zu sein, das würde für Deutschland bedeuten, sich über diese Zuwanderung einfach nur zu freuen und sie zu befeuern. Denn würde Deutschland vom Rest der Welt gemieden, würden niedrigere Geburtenraten und steigende Lebenserwartung schnell erhebliche Probleme verursachen: Die Rentenkasse würde sich leeren, die Leistungskraft der Wirtschaft sinken, Städte und Gemeinden schrumpfen und massiv altern. Die hohe Zuwanderung kommt in Demographie-Perspektive wie ein Geschenk des Himmels. Es wandern exakt jene jungen, arbeitswilligen, gut ausgebildeten Menschen zu, die das Land dringend braucht. Darunter sind auch solche, die, um sich eine neue wirtschaftliche Existenz aufzubauen, Jobs annehmen, die andere eher meiden.

Es gibt weiter Demographen, die sagen, dass der langfristige Schrumpfungstrend bestehen bleibt: Irgendwann sei im Extremfall auch der letzte junge Rumäne ausgewandert, werde der Bürgerkrieg in Syrien enden. Doch ist wirklich so gewiss, dass alles so kommt, wie es das Schrumpfungs-Mantra besagt? Bisher hat die Bundesregierung noch nicht einmal richtig etwas unternommen, um Zuwanderung zu forcieren. Wer heute nach Deutschland kommt, tut dies eher gegen den Widerstand von Bürokratie und trotz der hinter Pegida stehenden Mentalität. Was würde passieren, wenn es wirklich die „Willkommenskultur" gäbe, von der seit Jahren die Rede ist?

Zuwanderung als Chance ergreifen
 

Demographie ist in weit geringerem Maß ein unabwendbares Schicksal als es noch vor kurzem ausgesehen hat. Es sind politische Entscheidungen der kommenden Monate, die den Wachstumstrend entweder verstetigen oder aber abbrechen werden. Deshalb diskutiert die Bundesregierung nun auch über ein Einwanderungsgesetz, das es vor allem beruflich qualifizierten erleichtern könnte, nach Deutschland einzuwandern und hier zu arbeiten. Es könnte zu einer neuen Säule der Bildungspolitik werden, Zuwanderern Deutschkenntnisse zu vermitteln, ihre mitgebrachten Qualifikationen zu komplettieren und ihnen bei der Unternehmensgründung zu helfen.

Die Chance zu verpassen, die sich durch die hohe Zuwanderung bietet, wäre in jeder Hinsicht fahrlässig. Fahrlässig wäre es aber auch, Zuwanderung zu betreiben, ohne daran zu denken, was in den Herkunftsländern der Menschen passiert, wenn dort junge, ausgebildete Bürger fehlen. Hier liegt eine weitere neue Verantwortung des wirtschaftlichen stärksten Landes in der Mitte Europas, das von Zuwanderung eigentlich nur profitieren kann.

Die Trendwende in der Bevölkerungsentwicklung zeigt, dass es falsch ist, Politik passiv nach angeblich unabwendbaren demographischen Tatsachen auszurichten. Vielmehr ist es Aufgabe von Politik, von den Forschern eine größere Vielfalt alternativer demographischer Szenarios zu verlangen und dann aktiv und bewusst eine bestimmte Entwicklung anzusteuern. Ein Ziel könnte es sein, die Bevölkerung auf heutigem Niveau zu stabilisieren, ohne dass dies anderen Ländern schadet. 

Schon gibt es Anzeichen für die nächste Trendwende: Seit 2009 steigen die Geburtenzahlen zaghaft wieder, von 665.000 auf 682.000. Das Statistische Bundesamt rechnet 2014 mit einer Geburtenzahl von mindestens 675.000, aber hält auch bis zu 700.000 Neugeborene für möglich. Genauere Zahlen werden bald vorliegen. In den letzten Tagen meldeten Geburtenkliniken in München, Hamburg, Göttingen, Leipzig, Köln und auch im ländlichen Emsland für 2014 Rekordzahlen und Steigerungen gegenüber dem Vorjahr um bis zu neun Prozent.

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