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(picture alliance) Hat ein Talent, zwischen allen Stühlen zu landen: Norbert Röttgen

Norbert Röttgen im Porträt - Der Getriebene

Die politische Karriere von Norbert Röttgen steht am Scheideweg. In Nordrhein-Westfalen gibt es vorgezogene Neuwahlen und der CDU-Umweltminister muss sich zwischen Düsseldorf und Berlin entscheiden. Dabei hat er nur ein Ziel: das Kanzleramt. Dafür hat er in den letzten Jahren viele Freundschaften geopfert. Ein Porträt

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass der heutige Bundesumweltminister seine Existenz auf Erden dort beginnt, wo er sich im Laufe seines späteren Lebens mit scheinbar pathologischem Eifer immer und immer wieder hinbewegen wird: zwischen allen Stühlen. Als Norbert Alois Röttgen am 2.?Juli 1965 auf die Welt kommt, sind auf der Säuglingsstation seines Heimatorts Rheinbach bei Bonn alle Betten belegt. Er wird darum geboren, wo er gar nicht hingehört: im benachbarten Meckenheim.

Seine Mutter Agnes, Tochter eines Maurers, ist Hausfrau und Mitglied bei den katholischen Frauen, Vater Wilhelm, genannt „Willi“, kräftig mit markantem Kinngrübchen, ist Postbeamter, Briefträger, langjähriger Vorsitzender des Männergesangvereins. Willis Vater war Bürgermeister im Ortsteil Todenfeld und Besitzer einer Schankwirtschaft, die „Tanztenne“ und Poststelle in sich vereinte. Willis Bruder Alois, Norberts Patenonkel, erbt nicht nur die „Tanztenne“ samt Post, sondern auch das Bürgermeisteramt – erste Spuren des Politiker-Gens.

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Die Familie bezieht ein schmuckloses weißes Haus mit Jägerzaun, morgens und abends wird gemeinsam gebetet, zwischen dem älteren Bruder Wilfried, Saxofonspieler, heute Seelsorger am Kölner Dom, und der kleinen Schwester Monika, heute Arzthelferin, wirkt das Sandwichkind Norbert unscheinbar. Man sieht ihn selten mit den anderen Kindern spielen. Er liest lieber in seinen Büchern. Während die Ortsjugend gemeinsam Obstbäume beklaut oder Baukräne besteigt, übt Norbert täglich sein Akkordeon, pflegt die Hühner im Garten seines Großvaters oder trainiert Judo bis zum blauen Gürtel. „Ein hartnäckiger, unangenehmer Gegner“, erinnert sich Schulfreund Oliver Hoffmann.

Er ist ein Eigenbrötler, verweigert sich sowohl den Messdienern als auch dem katholischen Pallottiner-Gymnasium, entgegen dem Vorbild des Bruders und der allgemeinen Erwartung. Dem Kind behagt die ordensmäßige Eingliederung nicht. Stattdessen wählt er das progressive Städtische Gymnasium – und damit eine Existenz als Fremdkörper: Die Freunde folgen mit Nikes aus den USA oder Jeans mit aufgenähten Seitenstreifen dem Modediktat der Achtziger, Norbert kombiniert weiße Socken mit Ledersandaletten und Hochwasserhosen aus Cord. „Er blieb dabei irgendwie immer sehr cool und unabhängig“, erzählt sein Schulfreund Nicolai Tewes, „eben nicht so verfügbar und beeindruckbar wie die anderen.“

Seine drei besten Freunde bekommen Mofas, Norbert bleibt beim Rennrad: „Darauf war er nicht abzuschütteln, er hat jeden abgehängt“, sagt Oliver Hoffmann. Die Klasse trifft sich im Jugendclub „Offene Türe“, hört Frank Zappa oder Extrabreit, knutscht, säuft, kifft – alles ohne Norbert. „Er war mehr so der häusliche Typ“, erinnert sich Kumpel Oliver Wassmann. Die friedensbewegten Pop­revolutionäre diskutieren im Teekeller der Schule Pfeife rauchend französische Nouvelle-Vague-Filme, auch damit will Norbert „null zu tun haben“, erzählt Rolf Bock, damals Schulsprecher. „Das war ihm zu klein und zu links.“

Es ist das Jahr 1982, die Debatte um den Nato-Doppelbeschluss polarisiert die Jugend ein letztes, großes Mal. Es beginnt mit einer Entwicklungshilfe-Gruppe in der Schule, das macht Norbert Spaß, irgendwie – und inspiriert ihn, im Ort die Schülerunion zu gründen. Seine erste Debatte leitet er an einer benachbarten Hauptschule: „Einladung zu einer kontroversen Diskussion um die Nachrüstung“ – mit dicken Filzstiften malt er das auf Pappplakate, hängt sie 20 Mal in Rheinbach auf. Er wirbt Mitschüler an, und als Kohl gegen Schmidt ins Rennen geht, schleppt er seine Getreuen zu Wahlkampfveranstaltungen. „Helmut, Helmut!“, rufen sie dann, erinnert sich der damalige Mitstreiter Thorsten Ohmann: „In der Schule hat Norbert immer gewitzelt, er wird mal Kanzler. Dann haben alle gelacht.“

In Berlin lacht darüber heute keiner mehr. Dass Röttgen Kanzler werden will, dementiert nicht einmal er selbst: Er werde sich mit dieser Frage befassen, wenn sie ansteht, sagt er. Der Mann hat ja auch alles, was man dazu braucht: Er sieht gut aus, ist ein kluger Kopf, hat Ellenbogen. Machttrieb, Ehrgeiz und, wenn es nottut, Rücksichtslosigkeit – das ist der Stoff, aus dem man Kanzler macht. Röttgen verfügt darüber reichlich. Sein Programm heißt: ICH, seine Partei heißt: ICH und sein Ziel ist klar – auch wenn er nicht (wie einst Gerhard Schröder) am Zaun des Kanzleramts rüttelt: ICH will da rein.

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Er ist auf dem Sprung, aber auch auf der Hut. Denn er weiß, dass es in der Politik zugeht wie im Western. Wer sich zu früh aus der Deckung wagt, wird weggeputzt. High Noon ist immer. Einige Konkurrenten – die langjährigen Erbprinzen Koch und Wulff – sind aus dem Rennen, und auch Guttenberg steht nun endgültig nicht mehr zwischen ihm und dem großen Schreibtisch im Kanzlerbüro. Röttgen will, glauben alle. Röttgen kann, hoffen viele. Die aktuelle Frage ist: Darf er auch?

In Rheinbach darf er 1982 jedenfalls sehr bald: Kurz nach seinem Eintritt in die Junge Union wird er schon Ortsvorsitzender: „Röttgen war vom ersten Tag an konkurrenzlos“, sagt sein früherer JU?Ortskollege Paul Nelles. „Weil er sagte, was er tat, und tat, was er sagte.“ 1984 macht Röttgen Abitur, Einser-Durchschnitt, eines der schulbesten. Die Abizeitung schreibt: „Um sich als Berufspolitiker zu etablieren, hat er einen zu guten Charakter.“

Wegen einer Kinderkrankheit wird Röttgen ausgemustert. Geschichte will er studieren, aber er landet bei den Juristen – eine Karriereentscheidung. Er bezieht ein Studentenwohnheim in Bonn-Endenich, das Taschengeld kommt aus einem Begabtenstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung. In den Erdbeerfeldern seines Heimatorts verdient er sich Geld als Erntehelfer. Auch sonst bleibt er in Rheinbach bestens vernetzt: Der dortige CDU-Vorsitzende Dieter Heuel macht den inzwischen vollbärtigen Studenten zu seinem Nachfolger. Heuel ist damals Verwaltungschef der Bundes-CDU, er sagt, er kenne die Schwächen seiner Parteikollegen: „Kein einziger von ihnen hat seine Arbeit so integer und gradlinig erledigt wie der Norbert.“ Bis heute sind die beiden eng befreundet, einmal die Woche ruft Röttgen an, notfalls auch aus Afrika, erzählt Heuel.

Irgendwann zieht Norbert in die WG seines JU-Freundes Andreas Krautscheid im Bonner Kneipenkiez. Röttgens Hausrat: Nicht viel mehr als ein Küchenbrettchen und ein paar Klamotten in Plastiktüten, aus den Wochenenden bringt er mit Essen gefüllte Tupper-Boxen aus Rheinbach mit, Fresspakete von Agnes Röttgen. Seine Kochkunst beschränkt sich auf das Braten von Spiegeleiern, die Zimmereinrichtung auf ein einfaches Bett, soziale Kontakte primär auf die JU. Erst Anfang der Neunziger, als er nach dem Staatsexamen für die Kanzlei Leinen & Derichs als Kollege von Friedrich Merz Anwaltsstationen in Brüssel und Potsdam absolviert, durchbricht Röttgen das erste Mal in seinem Leben dauerhaft den 30 Kilometer weiten Aktionsradius um Rheinbach.

Vielleicht ist es die neu gewonnene Weltgewandtheit – jedenfalls zieht er 1992 eine Dame an Land, die erste, an die man sich in seinem Freundeskreis erinnert. Sie heißt Ebba Herfs, ist selbst ehrgeizige Juristin, passionierte Reiterin, Tochter eines einflussreichen Notars aus Mönchengladbach. Norbert hat soeben seinen ersten, großen politischen Triumph gefeiert: die Eroberung des JU?Vorsitzes in NRW als Nachfolger des heutigen Kanzleramtschefs Ronald Pofalla. Auch Ebba sitzt im JU?Vorstand, sie hatte gegen Röttgen gekämpft und für seinen Konkurrenten. Die beiden begegnen einander das erste Mal auf einem Podium, wo der frisch gebackene Vorsitzende sich den kritischen Fragen des CDU?Verbands Mönchengladbach aussetzt, moderiert von einer angriffslustigen Ebba Herfs, die ihm vorwirft, im Wahlkampf getrickst zu haben.

Zur allgemeinen Verblüffung ist die adrette Brünette bald fest an seiner Seite. Und macht Norbert flott: Schlabberhemden, weiche Sakkos, ausgebeulte Cordhosen verschwinden, der struppige Vollbart, bald zehn Jahre alt, ist plötzlich ab. Als die beiden zwei Jahre später heiraten, prallen Welten aufeinander: auf der einen Tischseite, etwas verschüchtert, die Rheinbacher Postbeamtenfamilie, auf der anderen der schillernde Clan des Starnotars, wortgewandt, charismatisch, perfekt gekleidet. „Manchen Gästen war der Kontrast fast peinlich, nur Norbert, der kam souverän damit klar, dass er gar nicht zu dieser Familie passte“, sagt einer, der dabei war.

Dass es Röttgen gelingt, sich für die Bundestagswahlen 1994 aufstellen zu lassen, liegt auch an einem Vorgehen, von dem ein langjähriger Wegbegleiter glaubt, es gehöre zur Politikstrategie des heutigen Umweltministers: „Er gewinnt das Spiel, indem er die Regeln verändert.“ Zu den Regeln des Kreisverbands gehört die Kandidatenaufstellung per Funktionärsentscheid. Gemeinsam mit Krautscheid setzt Röttgen auf dem Parteitag einen Mitgliederentscheid durch – der Weg ist frei für junges Blut wie den damals 29?Jährigen.

„Bist du bereit?“, fragt ihn Dieter Heuel nach einem Neujahrsempfang in Bonn. „Ja“, sagt Norbert und wirft sich ins Rennen. Kaum eine Wahlkampfveranstaltung, an der Heuel nicht im Hintergrund sitzt, genau wie Ebba Herfs. Zu dritt machen sie Manöverkritik, entwerfen Strategien vor dem Kachelofen unter den Hirschgeweihen des Hobbyjägers Heuel. Zu dritt liegen sie sich am Wahlabend auf der CDU-Party im Rheinbacher Hotel Streng in den Armen und jubeln. Die konstituierende Sitzung des 13.?Bundestags findet bereits in Berlin statt, im noch nicht umgebauten Reichstag. Es ist noch dunkel, als Norbert mit seinem Aktenkoffer in den Flieger steigt.

Im Bonner Parlament zieht im Herbst 1994 mit Röttgen eine neue Generation der Jungen-Unions-Elite ein: der damalige Bundesvorsitzende Hermann Gröhe und dessen Kumpel Armin Laschet, der niedersächsische JU?Vorsitzende Eckart von Klaeden, Röttgens Ex?WG-Partner Krautscheid und Peter Altmaier aus dem Saarland. Mit dem verbindet Norbert nicht nur die Arbeit im Rechtsausschuss, sondern auch die intellektuelle Spottlust, die dem frisch gebackenen Abgeordneten in Bonn wenig Freunde macht: „Von jemandem, der mein Sohn sein könnte, brauche ich mich nicht so herablassend belehren zu lassen!“, schimpft eine ältere Kollegin dem altklugen Rheinbacher hinterher. „Zu Norberts Schwächen gehört, dass er nichts dagegen hat, dass andere darunter leiden, wenn sie sich ihm geistig unterlegen fühlen“, sagt ein langjähriger Parteifreund.

Auch sonst geht die Truppe um Röttgen der Partei bald gegen den Strich: Als Teil der schwarz-grünen „Pizza-Connection“ trifft sie sich im Weinkeller des Bonner Nobelitalieners Sassella regelmäßig mit jungen Grünen zu Sondierungsgesprächen, argwöhnisch beobachtet von dort speisenden Partei­granden wie Kohls Pressechef. Der anfangs noch zurückhaltende Röttgen bekommt 1996 auch öffentlich Profil: Mit Altmaier, seinem inzwischen besten Freund, und Eckart von Klaeden kämpft er im Rechtsausschuss für die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren, flankiert von Gröhe und Krautscheid streiten sie für die Strafbarkeit von Vergewaltigungen in der Ehe, spalten mit ihrem Appell für das Staatsangehörigkeitsrecht die Partei.

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Der damalige Generalsekretär Peter Hintze fungiert als Spiritus Rector der aufmüpfigen Truppe und fördert Röttgen nach Kräften. Die Mehrheit der CDU dagegen schäumt, insbesondere der konservative Flügel um Innenminister Manfred Kanther, die CSU sowieso. „Euch sollte man mit der Heckenschere die Eier abschneiden“, ruft der damalige innenpolitische Sprecher Wolfgang Zeitlmann den Aufrührern hinterher, als sie in den Plenarsaal kommen. „Norbert hat die Rolle des Außenseiters nie gestört. Man denkt oft, er will sie eigentlich haben“, sagt ein Parteifreund von damals.

Als 1998 die Regierung Kohl krachend zu Boden geht, reißt sie reihenweise Mandate mit sich, unter anderen die von Krautscheid und Armin Laschet. Die gefledderte Union, jetzt auf der Oppositionsbank, bricht mit der CDU-Spendenaffäre ein Jahr später erneut in sich zusammen. Als sich der Qualm des Parteidesasters lichtet, steht Röttgen nicht mehr am Rand der CDU, sondern mittendrin: Die neue Oppositionsführerin Angela Merkel mag den asketischen Rheinbacher mit dem schnellen Köpfchen. Bald gehört Röttgen zur jungen Prätorianergarde, die abends mit Merkel im Hinterzimmer sitzt, Wein trinkt und Strategien diskutiert.

Zeit für die Familie, die ein modernes Haus in Königswinter bezogen hat, bleibt wenig: Inzwischen ist Röttgen Vater von zwei Söhnen, Johannes und Clemens, 2003 kommt Tochter Judith dazu. Die Arbeitsrechtlerin Ebba verfolgt längst ehrgeizig ihre eigene Karriere als Partnerin bei der renommierten Bonner Kanzlei Meyer-Köring v.?Danwitz, ein Kindermädchen und die Großeltern kümmern sich um den Nachwuchs. Und im fernen Berlin macht Norbert Röttgen seinen ersten Karrieresprung auf Kosten einer Freundschaft: Im Januar 2005 wird in der Union überraschend der Job des ersten Parlamentarischen Geschäftsführers frei.

Merkel hatte den bisherigen Amtsinhaber Volker Kauder zum Nachfolger ihres Generalsekretärs Laurenz Meyer bestimmt, der soeben über eine Affäre wegen RWE-Zahlungen gestolpert war – um Kauders alten Posten kommt es in der Union zum Streit. Röttgens Freund und Förderer Peter Hintze schickt sich an, das Amt zu übernehmen. Doch die CSU stellt sich quer: Hintze gilt als Kohl-Jünger und damit als politisch überholt. Stattdessen tritt sein Ziehsohn Norbert aus dem Schatten, bekommt den Posten. Später wird es zwischen den beiden noch einmal rasseln, als Röttgen auch nach dem Vorsitz der mächtigen Landesgruppe NRW greift. Diesmal gewinnt Hintze das Amt. Und Röttgen verliert einen Freund.

In Berlin hat nun auch der Letzte begriffen, dass der 39-jährige neue Parlamentarische Geschäftsführer den Ehrgeiz hat, ganz nach oben zu kommen. Doch zunächst folgt eine Kette von Ereignissen, die Röttgens enge Wegbegleiter als Abfolge von Traumata bezeichnen, auch wenn er selbst das energisch dementiert. Es beginnt damit, dass Röttgen im Zuge der von Gerhard Schröder 2005 ausgerufenen Neuwahlen als Kanzleramtsminister gehandelt wird. Merkel lässt sich Zeit mit der Besetzung, doch niemand zweifelt mehr: Tagesschau und FAZ melden Röttgen als neuen Chef des Kanzleramts, Jürgen Rüttgers gratuliert öffentlich, doch am Tag vor der Regierungsbildung greift Merkel zum Telefon und informiert ihren Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer darüber, dass Thomas de Maizière das Amt bekommen wird und nicht er.

Der gehörnte Röttgen tut gelassen, doch kein Jahr später steht er vor dem Absprung in die Wirtschaft: Er wird zum neuen Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI gewählt. Parteifreunde sagen, ihn treibt die Verletzung, von Merkel fallen gelassen worden zu sein. Er selbst erklärt, ihn locke die Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Tatsache ist aber: Der Rechtspolitiker wäre in der Wirtschaft ein Fisch auf dem Trockenen; eine Rolle allerdings, die ihn noch nie abgeschreckt hat, im Gegenteil. Verbandsinterne Intrigen, eine Kampagne der Bild-Zeitung und die Feststellung, dass er sein politisches Mandat aufgeben müsste, zwingen Röttgen schließlich zum Rückzug – doch immerhin hat er seinen Marktwert getestet und sich eine neue Bühne zum Glänzen erschlossen: die Wirtschaftspolitik.

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Tatsächlich fehlt in der Union auf diesem Feld ein präsentabler Bauer: Friedrich Merz ist abgetaucht, Michael Glos als Wirtschaftsminister eine traurige Erscheinung, der Stratege Röttgen erkennt seine Chance. Er baut ein Vortragsrepertoire zum Thema auf, 2008 hält er auf dem Höhepunkt der Lehman-Krise eine Bundestagsrede, die so brillant ist, dass Merkel und Steinbrück begeisterte Blicke tauschen und der SPD-Finanzminister Röttgens Worte am nächsten Tag im Bundesrat zitiert, 2009 veröffentlicht Röttgen mit dem Buch „Deutschlands beste Jahre kommen noch“ sein ökonomisches Manifest: Der Parlamentarische Geschäftsführer hatte sich mühevoll, zielstrebig und erfolgreich als wirtschaftspolitisches Gesicht der CDU profiliert.

Doch dann fällt plötzlich Guttenberg vom Himmel. Auf einmal ist er es, der auf Röttgens Bühne herumstolziert und aus dem Stegreif exakt die Rolle spielt, für die Röttgen jahrelang geprobt hatte, nur mit mehr Sex-Appeal. „Das war Röttgens zweites großes Trauma. Er hat gedacht, er sei im falschen Film“, sagt ein alter Parteifreund. Dieser dritte Rückschlag in kurzer Zeit bleibt nicht der letzte. Denn Röttgens Ehrgeiz hat sich bald ein neues Ziel gesucht: Schon länger knirscht es zwischen ihm und seinem Vorgesetzten, dem neuen Fraktionschef Volker Kauder. Dem blitzschnellen, sachlichen Analytiker Röttgen mangelt es an Geduld im Umgang mit dem behäbig-präsidialen Generalisten Kauder. Der wiederum beginnt irgendwann, dem detailversessenen Besserwisser zu misstrauen.

Nicht ganz zu Unrecht, denn Röttgen wittert vor den Bundestagswahlen 2009 Morgenluft: Er will Kauders Stuhl, den Fraktionsvorsitz. Unterstützt von Jürgen Rüttgers wirbt er im Hintergrund um die Gunst der Fraktion, ohne Absprache mit der Landesgruppe NRW oder Merkel. Als Merkel Wind vom Putschversuch bekommt, lässt sie ihn schlagartig abwürgen. Und Röttgen, der in seinem Amt bisher zum engsten Kreis um die Kanzlerin, der morgendlichen „Lagebesprechung“ gehörte, fällt in Ungnade. Auch bei seinem ehemals engsten Freund Peter Altmaier, der sich bedingungslos hinter Kauder und Merkel stellt. Wieder wird es ein wenig einsamer um Norbert Röttgen.

Sein neues Amt als Bundesumweltminister hilft seiner Beliebtheit unter den Kollegen nur bedingt. Während Röttgen noch 2009 vor einem „isolierten nationalen Ausstieg aus der Kernenergie“ gewarnt hatte, gelangt er im neuen Ressort bald zu einer anderen Überzeugung. Sein Coming-out gegen die Parteilinie kommt im Februar 2010: In der Süddeutschen Zeitung erklärt er, die Union müsse sich „gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will“. In den kommenden Monaten setzt Röttgen sich im Streit ums Energiekonzept – wieder einmal – zwischen alle Stühle. Mit großen, fast pathosgeladenen Reden über grundlegende Zukunftsfragen des Planeten bedient er zwar Merkels Hoffnung auf ein neues, entstaubtes umweltpolitisches Profil der Union. Doch den Umweltschützern ist er nicht radikal genug und dem Wirtschaftsflügel zu grün. Als dann die Laufzeiten der Atommeiler im Herbst 2010 gegen seinen Willen verlängert werden, ist das der vorerst letzte Rückschlag für Röttgen, der anderswo längst eine Serie von Triumphen gefeiert hat.

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Was genau sich vom Herbst 2009 bis zum Herbst 2010 in NRW abspielte, darüber gibt es verschiedene Thesen. Laut Röttgen handelte es sich eher um eine Verkettung von Umständen, für seine Kritiker dagegen um den von hinten durchexekutierten Masterplan eines Machtjunkies, der eines Tages Kanzler werden will. Dafür, so die These, brauchte er Hausmacht in der Partei. Die ist nur mit der Parteifunktion auf Landesebene zu haben. Und die wiederum nur mit regionaler Macht. Eine solche Lokalmacht wird 2009 mit dem Bezirksvorsitz Mittelrhein frei.

Röttgens alter Freund Andreas Krautscheid ist Kreisvorsitzender im Bezirk, der mächtigste von fünfen, und damit wahrscheinlichster Kandidat für das Amt. Doch dann kündigt aus Berlin auf einmal auch der Umweltminister seine Kandidatur an. Die Kandidatenaufstellung obliegt am Ende einem Landesgremium, Krautscheid glaubt sieben der 14 Delegierten fest auf seiner Seite, bis ihn eine davon kurz vor der Abstimmung anruft: Sie werde nicht für ihn stimmen, sie wolle das nicht erklären. Krautscheid tritt gar nicht erst an, Röttgen gewinnt gegen seinen alten Freund, der bald keiner mehr ist. Der Ehemann der Anruferin dagegen wird wenige Wochen später Staatssekretär im Umweltministerium.

Röttgens Gegner glauben bald zu verstehen, was den Minister aus Berlin zum Griff nach der Provinzmacht trieb: Er ist nun einer von acht Kurfürsten in NRW und kann damit als Landesvorsitzender antreten. Was er kurz darauf auch tut – wieder gegen einen alten Bekannten: Armin Laschet. Und während das Düsseldorfer Establishment sich hinter Laschet stellt, profitiert Röttgen von einem ähnlichen Trick wie vor seiner Aufstellung als Bundestagskandidat: Er setzt einen Mitglieder- statt eines Funktionärsentscheids durch und profitiert so von seinem Prominentenstatus. „Wie ist es, neben so einem George Clooney aufzuwachen?“, will die Bunte für eine Homestory von Ebba Herfs-Röttgen wissen. Die Rheinbacher Kumpels denken an Wuschelbart, Schlabberpullis und Mittelscheitel und wundern sich.

Er gewinnt die Wahl, verliert zwei Freunde und landet damit wieder einmal zwischen allen Stühlen: In Nordrhein-West­falen sorgt man sich, dass der neue Vorsitzende in Berlin zu eingespannt ist, um sich um Landesbelange zu kümmern. Und in Berlin reagiert Merkel frostig: Sie freue sich, nun einen „starken Umweltminister“ im Kabinett zu haben, lässt sie ausrichten.

In Wirklichkeit hat sie jetzt vor allem einen starken Rivalen: Denn Röttgen bekommt als neuer Chef des stärksten CDU-Landesverbands nun, was mancher für das eigentliche Ziel seines Durchmarschs in NRW hält: Er wird an Merkels Seite zum Unionsvize gewählt. Bald darauf bescheren ihm zwei spektakuläre Schicksalsschläge späte Genugtuung für seine Niederlagen: Am 1.?März des vergangenen Jahres tritt Rivale Guttenberg zurück, zehn Tage später leitet das Erdbeben von Fukushima die Energiewende ein. Die Katastrophe gibt Röttgen im Nachhinein recht und düpiert seine Gegner. Gäbe es einen politischen Gewinner des Jahres 2011, er hieße Norbert Röttgen.

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Wer glaubt, der Himmel über dem Solitär aus Rheinbach sei nun offen, irrt. Er mag einer der kompetentesten und unabhängigsten Köpfe der Union sein, in Beliebtheitsumfragen dümpelt er im Mittelfeld: Das Volk mag ihn nicht allzu sehr. Und die Hausfrauenherzen, die er bisher nicht brauchte, könnten eines Tages kriegsentscheidend werden. Seine Gegner sind Legion, darunter Dutzende Parteifreunde, denen er im Laufe seines Aufstiegs in die Parade gefahren ist. „Man nimmt ihm das übler als anderen, weil er sonst der rücksichtsvollste, reizendste Mensch überhaupt ist“, sagt einer von ihnen. „Aber sein Machttrieb ist stärker als er selbst.“ Ein anderer glaubt: „Er würde jedes Schnitzel mit uns teilen, aber niemals ein politisches Amt. Da ist er eiskalter Darwinist: Auf der High Street zieht er, egal wer vor ihm steht.“ Und während zerbrochene Männerfreundschaften seinen Weg pflastern, stehen auf der politischen High Street zwei Damen, an denen er erst einmal vorbeikommen muss:

Da wäre zunächst die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sie hat den abwesenden Landesvorsitzenden Norbert Röttgen mit ihrer Entscheidung für vorgezogenen Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen in eine schwierige politische Situation manövriert. Der Bundesumweltministers steht am Scheideweg. Er muss sich entscheiden, zwischen Land und Bund, zwischen Düsseldorf und Berlin, zwischen Steinkohle und Energiewende. Schwer zu sagen, welcher Weg ihn dem Kanzleramt näherbringt. Die Gefahr, dass seine politische Karriere vorerst in der politischen Sackgasse endet ist groß. Dabei scheint es zweitrangig, ob nach der Wahl am 13. Mai er als geschlagener Hoffnungsträger nach Berlin zurückkehrt oder als Oppositionsführer im nordrhein-westfälischen Landtag Platz nimmt. Es würde wohl Jahre brauchen, sich von einem solchen Rückschlag zu erholen.

Die zweite hohe Hürde für Röttgen aber bleibt Merkel. Sie kann er nur herausfordern und nach dem Kanzleramt greifen, wenn er die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewinnt. Denn nur dann bleibt „Muttis Bester“ auch Muttis Gefährlichster. Denn nur dann bleibt „Muttis Bester“ auch Muttis Gefährlichster.

 

(Das Porträt von Norbert Röttgen ist in der März-Ausgabe des Magazins Cicero erschienen und wurde wegen der vorgezogenen Neuwahlen in Nordrhein Westfalen für die Online-Veröffentlichung aktualisiert.)

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