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Thomas Fritta-Haas

Zeichnungen aus Theresienstadt - Das Einzige, was vom Vater blieb

Der Künstler Bedřich Fritta hat in Theresienstadt heimlich die Realität gezeichnet und wurde dafür nach Ausschwitz deportiert. Die Zeichnungen sind jetzt im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Und mit ihnen auch das Buch für den kleinen Tomáš. Bedřichs Sohn, der im Ghetto aufwachsen musste

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Suchá, Lucie

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Tomáš sitzt in seinem Rollstuhl. Um ihn herum stehen Familienmitglieder: sein Sohn David Haas, Enkel Julius. Mehrere Verwandte aus Deutschland und auch aus Israel. Ruhig schaut Tomáš auf die Zeichnungen an den Wänden des Ausstellungsraumes im Jüdischen Museum Berlin.

Eines zeigt eine Straße mit einem Lebensmittelgeschäft und einer Parfumerie. Im Hintergrund türmt sich ein Berg Leichen. Ganz am Rand lugt ein schmächtiger Mensch aus einem vergitterten Fenster hervor. Das Bild mit dem Titel „Kulissen für die internationale Kommission“ entstand im Ghetto Theresienstadt. Die Nazis hatten die Läden nur für diesen Besuchsanlass errichtet. Vor der Ankunft der Menschenrechtsvertreter wurden viele Häftlinge, die zu krank oder zu jämmerlich aussahen, nach Auschwitz gebracht.

Tomáš ist mit diesen Bildern aufgewachsen. Seine ersten vier Lebensjahre verbrachte er in Theresienstadt. In diesem Ghetto, von dem ein Teil später auch als Konzentrationslager diente, lebten 140.000 Häftlinge. Zehntausende kamen hier ums Leben. [[nid:54470]]

Sein Vater hatte das Grauen dokumentiert. Die Zeichnungen erzählen die Geschichte des Lagers, das den Nazis als Propagandaanstalt diente. Nach außen sollte hier alles normal wirken; Theresienstadt sollte der Welt zeigen, dass Juden im Dritten Reich nicht vernichtet würden. Weil Tomáš‘ Vater es wagte, diese Lüge zu skizzieren, wurde er nach Auschwitz gebracht.

Noch etwas ist in dem Ausstellungsraum zu sehen. In einer Vitrine liegt ein Original des Kinderbuches, das Tomáš zum dritten Geburtstag von seinem Vater geschenkt bekam und nun erstmals öffentlich ausgestellt hat. Darin sind ganz andere Bilder zu sehen – bunte, lustige. Mit Schmetterlingen, Blumen, Vögeln. Sie zeigen eine ganz andere Wirklichkeit. Eine, in der Tomáš eigentlich leben sollte.

Aber beginnen wir am Anfang.

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Tomáš‘ Vater, Bedřich Fritta ist in Višňová geboren. Fritta war ein jüdischer Grafiker und Karikaturist. Im Dezember 1941 wurde er mit seiner Ehefrau Johanna, Tomáš war damals nicht einmal ein Jahr alt, nach Theresienstadt deportiert. Als Künstler, der in Frankreich studiert hatte, sollte Fritta ein Zeichenstudio leiten. Ingesamt zwanzig Künstler mussten dort für die Nazis arbeiten. Weil Fritta genug Papier und Tusche hatte, nahm er sich immer mal welches heimlich mit, um den Alltag im Ghetto festzuhalten: die Bedingungen, unter denen die Menschen litten und starben.
„Er wollte aber auch eine andere Rolle ausfüllen: die des Ehemannes und Vaters. Er wollte seinen Sohn vor dem Grauen schützen. Deshalb hat er das Kinderbuch für ihn geschaffen“, erzählt David Haas, Tomáš‘ Sohn.

Es ist ein bisschen wie in Roberto Benignis Film „Das Leben ist schön“: Der Vater gaukelte seinem Jungen vor, dass das Ghetto ein normaler Ort zum Leben sei. Am Ende wurde er erschossen. Der Sohn überlebte.

Bedřich Fritta verbrachte in Theresienstadt drei Jahre. Als die Nazis entdeckten, dass aus ihrem Studio auch „Gräuelpropaganda“ nach draußen geschmuggelt wurde, begann die Ermittlung. Kurz vor seiner Inhaftierung steckte Fritta die Zeichnungen und das Buch in eine Blechdose, die er im Ghetto vergrub. Dann wurden er und drei seiner Kollegen nach Auschwitz deportiert. Einer davon war sein Freund Leo Haas.

Er war der einzige Zeichner aus Theresienstadt, der den Krieg überlebte.

Als Fritta klar wurde, dass er schon bald sterben würde, habe er Leo Haas gebeten, sich um seinen Sohn Tomáš zu kümmern. „Er sollte später auch die Werke abholen“, erzählt David Haas. Schon Davids Name verrät, wie die Geschichte weiterging.

Nachdem die Zeichner nach Auschwitz deportiert wurden, blieb der dreijährige Tomáš in Theresienstadt allein. Auch seine Mutter ist nämlich dort krank geworden und gestorben. Nach der Befreiung adoptierten Leo Haas und seine Frau den Waisen Tomáš. Haas buddelte auch die Zeichnungen seines Freundes aus – und damit das Buch. Das überreichte er seinem Adoptivsohn Tomáš erst viel später, als Hochzeitsgeschenk.

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„Das einzige, was mir geblieben ist, was mir gehört, was man nur für mich gemacht hat, ist ein Buch von meinem Vater. Dort spüre ich ihn, seine Tränen, seine Hoffnung, seine Angst,“ sagt Tomáš, Tomík, Tomíček. Tommy.

Die Zeichnungen und das Kinderbuch sind die einzigen Zeitdokumente, die zeigen, wer Bedřich Fritta war. Es blieben keine Fotos. Keine Erinnerungen.  [[nid:54470]]

Seit Freitag ist das Buch im Jüdischen Museum in Berlin erstmals im Original zu sehen. Ein Vorführgerät projiziert eine Seite nach der anderen auf die Museumswand: wie Klein-Tomáš mit einem Flugzeug fliegt, wie er fremde Kulturen entdeckt, wie er auf einer Schildkröte reitet. Dabei immer ein paar Wörter, ein Satz oder die Frage: Wohin werden wir reisen? In exotische Länder? Oder nur nach Měchenice?
„Wenn ich dieses Bild sehe, möchte ich immer weinen“, erzählt eine Schwägerin von Tomáš, die zur Ausstellungseröffnung extra aus Israel gekommen ist. „Sie hatten eine Villa in Měchenice, von dort wurden sie deportiert. Sie konnten nur davon träumen, nach Hause zu kommen.“ Noch etwas berührt sie: das Bild mit einem Titel „Das ist kein Märchen, es ist wahr“.

Unter den angereisten Familienmitglieder ist auch Julius, ein 21 Jahre alter Mann mit Filzlocken. Er ist ein Enkel von Tomáš – Sohn von David Haas und einer deutschen Frau. David erzählt, dass Julius ein lebender Kontrast zwischen Opfern und Täter sei: Produkt eines metabolischen Prozesses, in dem sich diese zwei einst so konfliktreichen Teile annäherten.

„Ich betrachte die Geschichte von zwei Seiten,“ sagt Julius. Sein jüdischer Vater hat ihm vom Holocaust erzählt, seine deutsche Mutter von den schweren Nachkriegszeiten. Der junge Mann mit den Dreadlocks steht jetzt vor dem Kinderbuch: „Es ist mir sehr wichtig, dass meine Generation und die folgende sich für diese Dinge interessieren.“ Seine Altersgruppe beschäftige sich mit dieser Zeit nicht. „Sie sollte es aber tun, damit so etwas nicht wieder passieren kann,“ sagt Julius – auch mit Blick auf den NSU-Prozess in München.

Die Bildprojektion läuft weiter, bis zur letzte Seite. „Dieses Buch ist das erste einer langen Reihe, die ich für dich zeichnen werde“, steht ganz am Ende. Datum: 22. Januar 1944. Am 5. November des gleichen Jahres starb Bedřich Fritta in Auschwitz.

Sechs Monate später wurde Theresienstadt befreit.

Die Ausstellung „Bedřich Fritta: Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt“ ist noch bis zum 25. August in der Eric F. Ross Galerie des Jüdischen Museums Berlin zu sehen

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