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Junkie-CDU - Süchtig nach Angela Meth

Angela Merkel steht im Zenit ihrer Macht, sie regiert unangefochten, die CDU ist von ihr abhängiger denn je. Doch hinter der Kanzlerin tut sich ein christdemokratischer Abgrund auf

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Der Beifall wollte gar nicht enden, neuneinhalb Minuten feierte der Parteitag ihre Angie. In einer für ihre Verhältnisse fast schon kämpferischen Rede und mit nur zwei kurzen Seitenhieben gegen den Koalitionspartner SPD hatte die Parteivorsitzende die Delegierten auf die kommenden Jahre eingeschworen. Anschließend wurde Angela Merkel am Dienstagnachmittag mit einem Rekordergebnis zum achten Mal zur Parteivorsitzenden gewählt. 96,72 Prozent, viel mehr geht nicht.

Stürzt die CDU wie die SPD nach der Ära Gerhard Schröder?


Angela Merkel steht im Zenit ihrer Macht, seit neun Jahren ist sie Kanzlerin und zugleich nicht nur die dienstälteste, sondern auch die mächtigste Regierungschefin in Europa. Sie ist bei den Deutschen beliebter denn je, auch die Zufriedenheit der Wähler mit der Großen Koalition ist groß. Die Christdemokraten liegen ihr zu Füßen. Und obwohl Merkel in ihrer Parteitagsrede mit keinem Wort auf diese Frage einging, waren viele Christdemokraten in Köln nach ihrem Auftritt fest davon überzeugt: Merkel will es 2017 noch einmal wissen. Sie werde in drei Jahren noch einmal für ihre Partei in den Bundestagswahlkampf ziehen.

So unangefochten Angela Merkel ist, so abhängig ist zugleich ihre Partei von ihr. Die CDU, das ist Merkel, Merkel und noch einmal Merkel. Die CDU ist von Merkel so abhängig wie ein Junkie von seiner täglichen Linie, seinem täglichen Schuss: Meine tägliche Dosis Merkel gib mir heute, morgen und vor allem bei der Bundestagswahl 2017. Hinter der Kanzlerin jedoch tut sich ein tiefer Abgrund auf. Ohne Merkel droht der Partei der Absturz. Ohne Merkel könnte die CDU in der Wählergunst so tief fallen wie die SPD nach der Ära Schröder.

Bei Christdemokraten heiligt der Erfolg die Mittel


Natürlich war die CDU schon immer ein Kanzlerwahlverein, die Mitglieder interessierte schon immer vor allem die Macht, Programme waren für die CDU zweitrangig. Inhaltlich sind die Christdemokraten flexibel, das hat sich zuletzt bei Themen wie Atomenergie, Rente mit 63 oder Mindestlohn gezeigt. Solange es dem Wahlsieg dient, macht die große Mehrheit der Mitglieder jede programmatische Pirouette mit. Zu mehr als einem Murren sind die Mitglieder der Partei, solange die Machtmaschine läuft, mental gar nicht in der Lage. Die Konservativen in der CDU hingegen, die schon seit Jahren die Sozialdemokratisierung ihrer Partei und den Verrat traditioneller christdemokratischer Werte beklagen, haben kaum noch Einfluss. Der Erfolg heiligt die Mittel.

Seit neun Jahren ist Merkel mittlerweile Kanzlerin. Der Markenkern der CDU hat sich in dieser Zeit weitgehend aufgelöst. Die CDU ist irgendwie modern, sie marschiert irgendwie an der Spitze des gesellschaftlichen Fortschritts und ist ansonsten die Merkel-Partei.

Die Zeiten der Stammwählerschaft sind passé


So erfolgreich der christdemokratische Modernisierungskurs unter Merkel in den letzten Jahren einerseits war, so konturlos ist die CDU zugleich geworden. Auf ihre Stammwähler kann sie nicht mehr alleine bauen, wenn sie Wahlsiege feiern will. Unter Helmut Kohl war das anders. Solange dieser Kanzler war, solange war er weniger beliebt als seine Partei. Die Stammwähler standen zur CDU. Doch die Zeiten sind vorbei, seit die Wechselwähler den Ausgang von Wahlen entscheiden. Inzwischen muss sich die CDU in jedem Wahlkampf neu erfinden, um möglichst viele Wechselwähler für sich zu gewinnen.

Und da war Merkel bei der Bundestagswahl 2013 ein unschlagbares Argument.

Doch über die strategischen Herausforderungen der CDU wollte man auf dem Parteitag in Köln nicht sprechen. Niemand traut sich, in den christdemokratischen Abgrund zu blicken. Dabei wäre dies dringend nötig. Schließlich bedeutet im Zenit der Macht zu stehen auch, dass es von nun an bergab geht. Natürlich weiß niemand in der CDU, wie schnell es bergab geht. Aber viele ahnen: Irgendwann wird es steil werden.

Strategielos gegen die AfD, personalschwach in der zweiten Reihe


Spätestens dann, wenn Merkel eines Tages abtritt, wird offenbar werden: sowohl personell als auch programmatisch und machtstrategisch ist die CDU denkbar schlecht aufgestellt.

Hinter der Kanzlerin ist erstens die Personaldecke ziemlich dünn. Die Merkel-Nachfolge ist nicht geklärt, einzig Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen macht sich Hoffnungen auf die Kanzlerschaft. Doch in der CDU ist sie nicht besonders beliebt. Von den Delegierten auf dem Parteitag in Köln wurde sie bei der Wahl der Stellvertreter mit dem schlechtesten Wahlergebnis der vier Bewerber abgestraft. In den Ländern, aus denen über viele Jahrzehnte der politische Nachwuchs in der CDU nach oben drängte, sieht es noch dünner aus. Nur noch vier Ministerpräsidenten stellt die CDU, so wenig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. So verzweifelt ist die Lage der CDU, dass sogar schon Julia Klöckner in der CDU als Hoffnungsträgerin gilt – bei der Stellvertreterwahl erhielt die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende sogar noch mehr Stimmen als Merkel. Dabei hat sie noch nicht einmal eine Landtagswahl gewonnen: Ihre große Bewährungsprobe steht 2016 erst noch an.

Machtstrategisch machen der CDU zweitens die Erfolge der AfD mehr zu schaffen, als sie einräumen mag. Die AfD ist entscheidend mit dafür verantwortlich, dass die FDP nicht mehr im Bundestag sitzt und der CDU der natürliche Koalitionspartner abhandengekommen ist. Wiederauferstehung völlig ungewiss. In Thüringen zeigte sich zudem, dass der Abgrenzungsbeschluss brüchig ist. Gelingt es der AfD, sich zu etablieren, dann könnte dies der Union ähnliche Probleme bereiten, wie sie die SPD mit den Linken hat. Aber eine Strategie gegen die Gefahr von rechts findet die Partei nicht.

Gespenstische Liebe für Schwarz-Grün


Eigentlich müsste die CDU sich jetzt neu erfinden. Doch das einzige Neue ist, dass Angela Merkel bereits auf den nächsten Koalitionspartner schielt. Nach der Bundestagswahl 2017 will Merkel statt mit der SPD gerne mit den Grünen koalieren, auch das hat sie in ihrer Parteitagsrede ziemlich deutlich gemacht. Und der Beifall, den es für Merkels Schwarz-Grün-Bekenntnis unter diesen Delegierten gab, machte deutlich, dass die Partei auch diesen Weg mitgehen würde. Vergessen, dass es bei der CDU bis vor kurzem noch zum guten Ton gehörte, vor den Öko-Spinnern, der grünen Gefahr oder der Verbotspartei zu warnen. Ein bischen gespenstisch wirkt es schon, dass die Christdemokraten dabei sind, plötzlich ihre Liebe zu den Grünen zu entdecken. Aber Merkel lässt ihnen keine andere Wahl. 

Doch wie realistisch die schwarz-grüne Option 2017 sein wird, ist noch völlig offen. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Zudem haben da erstens die Grünen und zweitens die Wähler noch ein entscheidendes Wort mitzureden. Rot-Rot-Grün in Thüringen sei eine „Bankrotterklärung der SPD“, sagte Merkel in Köln. Warum Rot-Rot-Grün in Thüringen nicht zugleich eine Bankrotterklärung der Grünen ist, erklärte sie nicht.

Vielleicht wollte der Beifall nach der Merkel-Rede auf dem Parteitag also auch deshalb nicht enden, weil die Delegierten schon ahnen, dass die Party irgendwann vorbei sein wird.

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