- Der digitale Dschihad
Die als Isis bekannte Terrorgruppe nutzt soziale Netzwerke für Propaganda und Rekrutierung. Nun schlagen ihre Gegner zurück – ebenfalls im Netz. Twitter und Co werden zum Schauplatz von Krieg und bizarrem Merchandising
„Im Namen Gottes, des Erbarmers und des Barmherzigen“. In weißer Schrift heben sich diese Worte von schwarzem Hintergrund ab.
Eine verwackelte Luftaufnahme des Irak, Koranverse erklingen. Das Bild zoomt – offenbar mit einer Drohnenkamera – durch die Wolkendecke zum Boden, direkt in die Straßen von Falluja. Ein paar Autos und nur Männer sind unterwegs, einer reckt mit vermummtem Gesicht ein Maschinengewehr in die Höhe. Die Kamera steigt wieder auf, immer schneller dreht sie sich um die eigene Achse, bis das Bild verschwimmt. Es folgt ein harter Schnitt.
Der Lärm von Maschinengewehren und Panzerfäusten ertönt, die Silhouette eines Mannes, der soeben abgefeuert hat, zeichnet sich im Rauch ab. Durch Ruinen sind zerstörte Panzer zu sehen, wieder ist das Bild verwackelt. Gewehrsalven. Erschütterungen. Laute Rufe ertönen: „Allahu akbar!“ Die Worte klingen wie trotziger Hohn angesichts der Zerstörung.
Es folgen Nahaufnahmen von jugendlichen Kämpfern. Immer mehr von ihnen drängen in die Straßen, oft vermummt, laute Kampfesrufe von sich gebend. Männer am Straßenrand jubeln. Eine Stimme aus dem Off erläutert auf Arabisch, dass der „Dschihad eine islamische Pflicht“ und mit „vielen Bemühungen und Opfern“ verbunden sei. Ziel dieses Heiligen Krieges sei es, „die islamischen Gesetze zu verteidigen und deren Strafen anzuwenden“. Im Hintergrund ertönen laut gesungene Koranverse, die Dschihadisten werden wie Helden inszeniert.
Soziale Netzwerke als Werbeplattform
Dies sind die ersten zwei Minuten eines Propagandavideos der im Irak wütenden Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS, vormals Isis). Über eine Stunde ist es insgesamt lang. Und mit seiner Gewalt und Zerstörungswut fast unerträglich.
Es ist bereits der vierte Teil einer Reihe von Propagandavideos in Spielfilmlänge mit dem Namen „The Clanging of the Swords“ (Das Klirren der Schwerter). Darin sollen islamistische Kämpfer und deren Sympathisanten auf den bewaffneten Konflikt im Irak eingeschworen werden. Auf Youtube ist das Video zwar mittlerweile gesperrt, doch noch immer kursiert es im Internet. Hinter dem Video steckt die Firma Al-Furqan Media Productions, die in der vergangenen Woche auch das Video des zuvor nahezu unsichtbaren Chefs der IS und selbst ernannten Kalifen, Abu Bakr al-Bagdadi, im Internet verbreitete und die als Medienabteilung des IS gilt. Al-Furqan, Arabisch für „Unterscheidung“ zwischen Göttlichem und Schlechtem, so heißt auch die 25. Sure des Korans. „So gehorche nicht den Ungläubigen und eifere wider sie mit großem Eifer“, heißt es in dieser Sure unter anderem.
Mit großem Eifer treiben die Strategen des IS nicht nur ihre Kämpfer im Irak an: Auch in sozialen Netzwerken rekrutieren und radikalisieren sie den potenziellen Nachwuchs. Dass sie westliche Werte sonst ablehnen, hindert sie nicht daran, modernste Technologien zu nutzen. Mit der tausendfach auf Android-Smartphones installierten App „Dawn of Glad Tidings“ sorgten sie im April erfolgreich dafür, dass sich Nachrichten, Fotos und Tweets von der Front nahezu in Echtzeit im Netz verbreiteten. Seit Juni ist die App zwar nicht mehr im Google Play Store erhältlich.
Isis wirbt mit Katzenfotos
Doch der virtuelle Feldzug der Islamisten ist längst ins Rollen gekommen: Alleine auf Twitter tauchte zeitweise bis zu 10.000 Mal täglich der Hashtag #isis (benannt nach dem ursprünglichen Namen der Gruppe, „Islamischer Staat im Irak und Syrien“) auf. Auch Hashtags, die auf Themen der Fußballweltmeisterschaft hinweisen, hackten die Medienprofis der IS zeitweise. Nicht nur Twitter versuchen die Islamisten zu okkupieren. Ob Facebook, Soundcloud oder Instagram – überall, wo sich vor allem Jugendliche tummeln, sind sie zu finden.
Die Mechanismen der sozialen Netzwerke scheinen die IS-Strategen und ihre Anhänger dabei gut verinnerlicht zu haben: Um die jugendlichen Nutzer nicht zu sehr mit ihren streng religiösen Botschaften abzuschrecken, geben sie sich gerne einen vermeintlich menschlichen Touch. Das Ergebnis sind absurd anmutende Hashtags wie #CatsOfJihad und ganze Instagram-Profile voller islamistisch inspirierter Fotos mit Katzen und Kanonen. Die Katzenliebe vieler Islamisten geht auf einen der Gefährten des im Islam verehrten Propheten Mohammed zurück: Abd al-Rahman Ibn Sakhr Al-Azdi wird eine große Zuneigung zu den Vierbeinern nachgesagt, sein Beiname Abu Huraira bedeutet wörtlich übersetzt „Vater des Kätzchens“.
Nicht nur Tierliebe steht bei IS-Anhängern im Netz hoch im Kurs, auch Mode spielt eine Rolle. Von T-Shirts bis hin zu Kapuzenpullovern mit solidarischen Slogans oder IS-Labels kann online alles geshoppt werden, was das Herz begehrt. Marktführer dieses bizarren Modetrends ist die indonesische Marke Zirah Moslem. Seitdem sich jedoch im Juni Berichte in englischsprachigen Medien über den Textil-Islamismus häuften, sind weder die Webseite des Unternehmens noch deren Facebook-Seite aufrufbar. Nur ein verwaister Twitter-Account ist noch zu finden. Dort sind zwar keine T-Shirts mit IS-Slogans mehr zu sehen, Bekleidung mit anti-israelischen Aufdrucken wurden jedoch nicht entfernt.
Auf der Seite des Unternehmens Raayah High Quality, ebenfalls in Indonesien ansässig, ist jedoch nach wie vor islamistische Mode erhältlich: Kufiyahs, eigentlich eine traditionelle arabische Kopfbedeckung für Männer, werden hier mit der Parole „Wir sind alle ISIS“ beworben. Aufnäher und Buttons mit islamistischen Slogans und Symbolen sowie Stirnbänder gibt es während des islamischen Fastenmonats Ramadan gar zum halben Preis. Bezeichnenderweise ging die Seite am 24. Juni online – also zur selben Zeit, als Zirah Moslem von Facebook verschwand.
Die Gegner wehren sich
Facebook, Twitter und Co. versuchen, sich gegen die IS-Invasion auf ihren Plattformen zu wehren. Immer wieder sperren sie Seiten, löschen Accounts, die islamistische Propaganda oder Aufrufe zu Gewalt im Irak verbreiten. Doch immer wieder rücken neue Nutzer nach. Deren Gegner im virtuellen Krieg werden jedoch immer zahlreicher: Auf Twitter etwa wächst die Zahl der täglichen Erwähnungen von Hashtags wie #No2ISIS oder #NotMyCaliph, die sich gegen Gewalt und gegen den Kalifats-Anspruch von Abu Bakr al-Bagdadi wehren.
Zu Hunderten distanzieren sich vor allem Muslime von al-Bagdadi auf Twitter, zu Tausenden tun sich IS-Gegner in Facebook-Gruppen zusammen. Ein Gefühl der Solidarität eint die Netz-Aktivisten in ihrem virtuellen Widerstand gegen die Gewalt. „Lasst uns unsere Ablehnung dieses ‚Kalifen‘ deutlich zeigen“, lautet ein Aufruf auf Twitter: „Schweigen bedeutet Mittäterschaft“. Es ist ein Aufschrei gegen die Gewalt im Irak – und gegen den islamistischen Feldzug im Netz.
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