Stromausfall hüllt Kiew in Dunkelheit
Strommangellage in Kiew im Dezember 2022. Wie gut wäre Deutschland auf Black-Outs vorbereitet / dpa

Blackout-Risiko - Exklusiv für Xing-Leser: „Alle bereiten sich darauf vor“

Die deutschen Gasspeicher sind zu 94 Prozent gefüllt, der Füllstand nimmt aber angesichts der kalten Witterung kontinuierlich ab. Ob in diesem Winter mit Stromabschaltungen oder gar einem Blackout zu rechnen ist, erklärt Volker Strotmann, Abteilungsleiter „Einsatz“ beim THW. Er plädiert für eine sachliche Diskussion ohne Panikmache, warnt aber vor möglichen Sabotageakten – und erklärt, welche Notvorräte sich die Bürger für den Ernstfall anlegen sollten.

Autoreninfo

Robert Horvath hat Biochemie und Kommunikations-wissenschaften studiert. Derzeit absolviert er ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Volker Strotmann ist Leiter der Abteilung „Einsatz“ beim Technischen Hilfswerk (THW). Rund 85.000 ehrenamtliche Helfer in 668 Ortsverbänden bilden das Rückgrat der Bundesbehörde. Der Hauptsitz des THW befindet sich in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn.

Herr Strotmann, derzeit wird öffentlich viel über die Gefahren eines möglichen Blackouts diskutiert. Wie blicken Sie, wie blickt das THW auf diesen Winter?

Wir müssen verschiedene Dinge auseinanderhalten, die auch in der öffentlichen Wahrnehmung gerne durcheinander gehen. Zuerst einmal reden wir von Stromausfällen. Einen Stromausfall haben alle schon mal erlebt, zum Beispiel, wenn bei Bauarbeiten ein Kabel beschädigt wird. Das kommt vor und hat nichts mit der Ukraine oder mit Gasmangel zu tun. Das, worauf sich die öffentlichen Diskussionen beziehen, betrifft, was in Fachkreisen als „Lastabwurf“ bezeichnet wird.

Was ist darunter zu verstehen?

Das Stromnetz muss so gemanagt werden, dass die Menge des verbrauchten Stroms stets der Menge entspricht, die produziert wird. Es muss im Gleichgewicht bleiben. Wenn mehr Strom verbraucht wird, als dem Netz zur Verfügung steht, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder führt man dem Netz mehr Strom zu, oder – wenn das nicht geht, wenn es Schwierigkeiten auf der Produktionsseite gibt – schaltet man auf der Verbraucherseite kontrolliert ab. Diese kurzzeitige Abschaltung bezeichnet man als „Lastabwurf“.

Volker Strotmann
Volker Strotmann, Abteilungsleiter beim THW / dpa

Halten Sie dieses Szenario für wahrscheinlich?

Wenn wir, gekoppelt mit deutlichen Minusgraden, in eine extreme Gasmangellage kämen, dann könnte das passieren. Grund dafür ist, dass wir einen Teil unseres Stroms mit Gas produzieren. Wenn Gaskraftwerke keinen Strom mehr produzieren, dann könnte hierzulande eine Strommangellage eintreten. Ich glaube nicht, dass das diesen Winter passieren wird. Aber es ist denkbar. Dann müsste man unter Umständen Verbraucher vom Netz nehmen. Ein solcher Lastabwurf wäre aber noch kein Blackout.

Inwiefern unterscheidet sich ein Blackout von normalen Stromausfällen und kontrollierten Lastabwürfen?

Der Begriff Blackout ist nicht klar definiert. Gemeint wird aber ein Stromausfall, der sich über Kettenreaktionen unkontrolliert ausbreitet. Die Folge wäre ein großflächiger, intensiver Zusammenbruch der Stromnetze. In diesem Fall hieße das auch, dass der Strom nicht sofort wiederkommt, sondern dass er länger wegbleibt und dass wir uns darauf gefasst machen müssen, einige Zeit ohne Strom zu leben. So einen Fall hat es in Deutschland Gott sei Dank seit vielen Jahren nicht mehr gegeben.

Sie haben erwähnt, man müsste in solch einem Fall längere Zeit ohne Strom leben?

Stromnetze sind relativ komplex. Wenn so ein Netz ausfällt, ist es tatsächlich schwierig zu reaktivieren. Das kann Tage bis Wochen dauern und hängt davon ab, wie stark der Ausfall war. Hierzu muss man wissen, dass dabei immer Schäden entstehen können. Falls das der Fall ist, hängt die Dauer natürlich vom Ausmaß der entstandenen Schäden ab und wieviel Zeit benötigt wird, die zu reparieren. Das ist durchaus eine Herausforderung.

Erwarten Sie einen solchen unkontrollierten Zusammenbruch in diesem Winter?

Wie wahrscheinlich so ein Blackout ist? Meine ganz persönliche Einschätzung ist: Ich glaube nicht, dass wir aufgrund einer Gasmangellage einen Blackout bekommen. Unsere Sorge wäre eher eine ganz andere – und dazu haben sich weder Habeck noch Scholz geäußert. Unsere Sorge im Zivil- und Katastrophenschutz ist: Was ist eigentlich, wenn Anschläge auf unsere Stromnetze ausgeübt werden? Willentliche, wissentliche Sabotageakte, so wie wir es bei den beiden Nordstream-Gasleitungen und bei der Deutschen Bahn erlebt haben, wo mit sehr gezielten, punktuellen Anschlägen auf Kommunikationssysteme der Bahnverkehr nachhaltig gestört wurde. Ich kann nicht sagen, wer das war. Aber wenn diese Personen sich als nächstes das Stromnetz vornehmen, hat das nichts mit Gasmangel zu tun, könnte aber trotzdem dazu führen, dass wir ein Stromversorgungsproblem bekommen.

Sie meinen, derartige Anschläge könnten zu einem Blackout führen?

Ja. Wenn man die geschickt und mit Verstand macht. Die Sabotageakte bei der Deutschen Bahn waren ja sehr gezielte und offensichtlich auch mit Insiderwissen ausgeführte Tätigkeiten. Das ist in meinen Augen die Gefahr, die wir jetzt vor uns haben. Die hat gar nicht so viel mit dem Winter zu tun oder mit Gasmangel, sondern viel mehr mit der Frage: Wer ist eigentlich die Person, der Staat, die Organisation, die solche Sabotageakte ausführt? Und: Werden Anschläge auf die Strominfrastruktur ausgeführt?

 

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Rechnen Sie mit Anschlägen auf die Stromnetze?

Der Bundeskanzler und Robert Habeck haben sich nicht zur Wahrscheinlichkeit eines Anschlagsszenarios geäußert. Und auch ich kann die Wahrscheinlichkeit nicht voraussagen. Das wäre ein Blick in die Glaskugel. Aber ich halte es nicht für undenkbar. Wenn es um Blackouts geht, glaube ich allerdings, dass die Wahrscheinlichkeit wegen eines Anschlages höher liegt als die Wahrscheinlichkeit aufgrund von Gasmangel.

Wenn es zu einem Blackout kommen sollte, wäre das durchaus gefährlich. Warum?

Weil heutzutage unheimlich viel am Strom hängt. Ich nenne als Beispiele jetzt mal Festnetz- und Mobiltelefone, Internet, Trink- und Abwasser, Aufzüge, Ampeln, Bankautomaten, die Kassen und automatischen Türen in Supermärkten, Straßenbeleuchtung, Heizung, Krankenhäuser. Das sind alles Dinge, die ohne Strom nicht mehr funktionieren. Es gibt wohlgemerkt einige Strompuffer. Die sind aber nur für eine bestimmte Dauer haltbar. Batterien, die mitlaufen, haben eine relativ kurze Haltbarkeit von einigen Stunden. Darüber hinaus gibt es Stromnetzgeneratoren, allerdings nur für wesentliche Bereiche. Und die brauchen irgendwann Benzin.

Hätten wir tatsächlich den sehr unwahrscheinlichen Fall eines flächendeckenden Stromausfalls in Deutschland, dann könnten alle verfügbaren Notstromkapazitäten das nicht kompensieren. Das geht gar nicht. Es ist mir wichtig, dass Menschen wissen, dass so etwas passieren kann. Ich will aber betonen, dass ich mir eine sachliche Diskussion zu dem Thema wünsche. Keine Panikmache, sondern ein ernsthaftes, nüchternes Darüber-Nachdenken.

Sollte man sicherheitshalber auf Blackouts vorbereitet sein?

Darauf sollte jeder vorbereitet sein. Diese Aufrufe von der Bundesregierung gibt es ja auch.

Was raten Sie den Bürgern diesbezüglich?

Legt euch einen kleinen Vorrat an. Man sollte dafür sorgen, dass man genügend Wasser und haltbare Lebensmittel hat. Gleiches gilt für Medikamente, falls notwendig. Und ganz wichtig: ein batteriebetriebenes Radio, damit man im Notfall weiß, was los ist und wie man sich zu verhalten hat. Im Netz gibt es sehr gutes Informationsmaterial, falls man an einer solchen Vorsorge interessiert ist. Wenn man gar nichts hat, kann es sehr ungemütlich werden. Jeder sollte sich individuell klar machen, was passiert und was er braucht, wenn kein Strom da ist. Vor allem wäre es wichtig, dass alle, die gesund sind, sich erst einmal selbst helfen können, damit die Helferinnen und Helfer sich auf die Fälle konzentrieren können, in denen Menschen wirklich Hilfe brauchen, wie in Pflegeheimen und Krankenhäusern.

Wenn man sich entsprechend vorbereitet, ist die Gefahr gebannt?

Erstmal können Sie eine gewisse Zeit überstehen. Die Frage ist ja, wie lang so etwas dauert. Mit Vorbereitung sollte jeder ein bis vier Tage ohne Strom schaffen. Wenn es länger dauert, wird es kritisch. Dann kommt es noch darauf an, wie man lebt. Im Einfamilienhaus oder im eher ländlichen Umfeld ist es etwas ganz anderes als im Ballungszentrum mit tausenden von Menschen um sich herum.

Sie haben gesagt, dass Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Krisensituation aufgrund einer Gasmangellage für gering halten. Gibt es beim THW trotzdem vermehrt Übungen und Vorbereitungen auf einen möglichen Blackout?

Ja. Im Moment haben wir aufgrund der Ukraine-Lage nochmal erhöhte Aufmerksamkeit auf dieses Thema gesetzt. Das betrifft viele Dinge. Zum Beispiel: Sind wir beim THW stromausfallresistent? Kann man das elektrische Garagentor auch händisch öffnen? Das Thema Kommunikation ist ein großes Problem. Wie gehen wir damit um, wenn die Kommunikationsstrukturen wegbrechen? Wie alarmieren wir dann noch? Dann sind wir dabei, unseren Treibstoffvorrat aufzufüllen. Diese und andere Vorbereitungen laufen schon den ganzen Sommer. Wobei wir ja auch nur ein Akteur von vielen sind. In der Praxis arbeiten wir mit Feuerwehren und anderen Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz und den Johannitern zusammen. Da gibt es auch gemeinsame Übungen und Trainings. Alle sind im Moment damit beschäftigt, sich darauf vorzubereiten. Hinzu kommt ein wichtiger Punkt, den Landkreise gerade erarbeiten: das Einrichten von „Leuchttürmen“. Im Falle von Stromausfällen soll es an bestimmten Orten einer Stadt Anlaufstellen mit Notstromversorgung geben. Menschen können sich dort im Krisenfall informieren, aufwärmen, sich melden, Suchanzeigen aufgeben und ähnliches.

Gehen wir einmal vom unwahrscheinlichen Ernstfall eines unkontrollierten Stromausfalls aus. Wie würden das THW und andere Organisationen agieren?

Das ist von der spezifischen Lage abhängig. Bei Stromausfällen ist es unsere Aufgabe, neuralgische Punkte abzusichern. Fällt in einem Krankenhaus beispielsweise der Notstromgenerator aus, kommt das THW oder die Feuerwehr und liefert einen Stromerzeuger. Eine andere Aufgabe wäre die Organisation von Treibstoffnachschub. Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass während eines Stromausfalls das Leben normal weiter geht. Damit meine ich, dass deswegen nicht weniger Menschen einen Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommen. Vermutlich sogar mehr. Die müssen versorgt werden. Weil es aber unter Umständen nur noch eingeschränkt Notrufe geben würde, müssten wir mit Polizei, THW und Feuerwehr Streife fahren, damit es mögliche Anlaufpunkte gibt, falls irgendwo etwas passiert.

Und abschließend dürfen wir die Brandgefahr auch nicht vernachlässigen. Die ist eine große Sorge der Feuerwehren. Wenn es keinen Strom gibt, werden die Leute vermehrt Kerzen anzünden oder sich mittels Feuer zu wärmen versuchen. Es wird in solch einer Lage also vermutlich mehr Brände geben. Wenn man dann nicht mehr die 112 rufen kann, muss das anders organisiert werden. Es würde reichlich zu tun geben.

Das Gespräch führte Robert Horvath.

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