- Kein Tanz mehr mit Papa
Die USA sind das Mutterland der politischen Korrektheit. Deshalb müssen sie nun Schluss machen mit einer uramerikanischen Tradition: Den Vater-Tochter-Tanzabenden. Weil damit der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird
Noch 15 Tage – und am 6. November wählen die USA ihren Präsidenten: Cicero-Online-Korrespondent Malte Lehming berichtet zu diesem Anlass in einem Countdown über besondere Ereignisse und Kuriositäten während des Wahlkampfs.
Vor einigen Wochen wurde in der Stadt Cranston im US-Bundesstaat Rhode Island, etwa 200 Kilometer nordöstlich von New York an der Atlantikküste gelegen, eine Tradition beendet. Künftig seien Vater-Tochter-Tanzabende und Mutter-Sohn-Baseball-Nachmittage verboten, teilte die oberste Schulleitung mit. Öffentliche Schulen dürften unter keinen Umständen Kinder von Veranstaltungen ausschließen, hieß es. Das gelte erst recht, wenn diese Veranstaltungen auf geschlechtsspezifischen Stereotypen basieren würden.
Der Entscheidung vorausgegangen war die Klage einer allein erziehenden Mutter, deren vaterlose Tochter an den Vater-Tochter-Tanzabenden nicht hatte teilnehmen können. Der amerikanische Bürgerrechtsverband „American Civil Liberties Union“ (ACLU) schloss sich der Klage an. Dessen Direktor, Steven Brown, sagte: „Geschlechtsspezifische Veranstaltungen sollten an öffentlichen Schulen grundsätzlich verboten werden. Nicht jedes Mädchen will heute wie Cinderella aufwachsen, auch in Cranston nicht. Stattdessen könnte manch eines Karriere auf dem Baseballfeld machen.“
Kurz nachdem der Beschluss der Schulbehörde bekannt wurde, brandete ein Sturm der Entrüstung auf. Zuerst distanzierte sich der Bürgermeister von Cranston, Allan Fung. Er sei bitter enttäuscht über diesen „Angriff auf eine bewährte Tradition“ und flehe die Schulbehörde an, ihre Entscheidung zu revidieren. Dann schaltete sich Sean Gately ein, der sich für die Republikaner um einen Senatssitz in Rhode Island bewirbt. Er wertete die Entscheidung als Beleg für eine „Amok laufende politische Korrektheit“. Sein Gegenkandidat, der Demokrat Frank Lombardi, ist selber Mitglied der obersten Schulleitung.
Pikanterie am Rande: Das auf Bundesebene geltende Antidiskriminierungsgesetz lässt Ausnahmen wie Vater-Tochter-Tanzabende und Mutter-Sohn-Baseball-Nachmittage durchaus zu. Doch in Rhode Island wurden die Bestimmungen verschärft. Die Schulbehörde von Cranston darf geschlechtsspezifische Diskriminierung nicht dulden.
Längst hat die Aufregung über den Beschluss ganz Amerika erreicht. Alle großen Fernsehsender und überregionalen Zeitungen berichten über den Fall. Petitionen an Präsident Barack Obama werden verfasst.
Vater-Tochter-Tanzabende sind eine uramerikanische Tradition. Variationen davon gibt es zuhauf. Die meisten dieser Abende finden in Schulen statt, oft um den Valentinstag herum. Töchter und Väter werfen sich in Schale, der Vater mimt den Gentleman, die Tochter soll sich als Frau fühlen. 50er-Jahre-Ideal pur. Keinesfalls dürfen solche Abende indes mit den „purity balls“ evangelikaler Christen verwechselt werden, auf denen die Töchter im Pubertätsalter ein bis zu ihrer Hochzeit geltendes Keuschheitsgelöbnis ablegen.
Amerika ist die Wiege der politischen Korrektheit. Hier finden sich sowohl besonders stark ausgeprägte Beispiele für Rücksichtnahmen auf Geschlecht, Rasse und Religion, als auch die konservative, ins Negative gedrehte Umwidmung des Begriffs „political correctness“ zur Verteidigung traditioneller Werte. Was die eine Seite perfektioniert, wird von der anderen Seite verhöhnt.
Das spiegelt sich in der Tendenz wider, Schicksalsfragen vor ein Gericht zu bringen. Kinder klagen, weil sie zu wenig Weihnachtsgeschenke bekommen, hässliche Menschen wollen ihr Aussehen als Behinderung anerkennen lassen, in der TV-Serie „Ally McBeal“ gab es sogar einmal ein krebskrankes Kind, das den lieben Gott verklagen wollte.
In Cranston legt sich der Sturm inzwischen etwas. Die Schulbehörde hat an das Parlament appelliert, die strengen Antidiskriminierungsgesetze ein wenig zu lockern. Vorher noch sollen die Vater-Tochter-Tanzabende vom Charakter her geändert und umbenannt werden. Künftig sollen die Töchter entscheiden dürfen, wen sie mitnehmen. Das hieße dann „ladies choice dance“. Oder so ähnlich.
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