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Weißrusslands Lukaschenko - Das stille Comeback des letzten Diktators

Die EU lockert Sanktionen gegen den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Als Belohnung für die Abkehr Lukaschenkos von Wladimir Putin. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Lukaschenko eine vermeintliche Loslösung von Moskau ins Gegenteil verkehrt

Autoreninfo

Maxim Kireev studierte VWL an der Universität zu Köln und absolvierte die Kölner Journalistenschule. Er ist gebürtiger Sankt-Petersburger und kam mit 10 Jahren nach Deutschland. Seit 2010 lebt er wieder in Russland und berichtet für verschiedene deutsche Medien über russische Politik und Wirtschaft.

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Auch ein Diktator ist nur eine kleine Nummer. Zumindest in den Amtsblättern der EU. Anhang 5, Nummer 119 in der alphabetischen Liste, wohnhaft in der Kirow Straße Nr. 43, Lukaschenko Alexander Grigorievich, Präsident der Republik Weißrussland.

Vergangene Woche veröffentlichte der Rat der Europäischen Union seine Entscheidung 2015/1957, mit der die Sanktionen, etwa Reiseverbote und wirtschaftliche Sperren gegen den weißrussischen Herrscher und etwa 170 mit seinem Regime verbundene Personen, zunächst für vier Monate außer Kraft gesetzt werden.

Der Schritt war so etwas wie die Belohnung für die Wahl vor wenigen Wochen, die Lukaschenko mit über 83 Prozent gewann. Diese war zwar nicht demokratisch, dabei habe es etwa nach Worten von Außenminister Frank-Walter Steinmeier jedoch weniger Repressalien gegeben als bei den vergangenen Urnengängen. Noch vor fünf Jahren sah die Situation vollkommen anders aus. Damals ließ Lukaschenko nach seiner Wiederwahl seine Gegenkandidaten ins Gefängnis werfen und eine Anti-Regierungsdemo gewaltsam auflösen. Dieses Vorgehen bescherte dem Regime damals eben die Sanktionen, die nun auf Eis gelegt werden.

Dabei sind die Wahlen nur eine Episode in einem bemerkenswerten Tauwetter, das bereits vor Monaten zwischen Europa und den USA einerseits und dem weißrussischen Regime andererseits eingesetzt hat. Erst durfte sich Lukaschenko als Vermittler im Ukraine-Konflikt und Gastgeber von Angela Merkel und François Hollande zeigen. Bereits im Sommer ließ die EU einige Sanktionen gegen hochrangige Beamte fallen, woraufhin Lukaschenko die Gefängnistore für politische Gefangene öffnete. Weißrusslands Präsident traf sich zudem im September, während seiner Reise zur UN-Vollversammlung, mit US-Präsident Barack Obama. Allein die Fotos, die Lukaschenko mit seinem Sohn in Gesellschaft von Obama und seiner Ehefrau zeigen, wären vor kurzem noch undenkbar gewesen. Es war seine erste USA-Reise seit zehn Jahren.

Alliierter gegen Bargeld
 

Alexander Lukaschenko, mittlerweile vierfacher Präsident eines Landes, das als letztes auf dem Kontinent die Todesstrafe vollstreckt, erlebt ein Comeback. Bereits im Frühjahr, erheiterte sich der weißrussische Präsident daran, dass er jetzt wohl nicht mehr der letzte Diktator Europas sei, wie man ihn gerne in europäischen Hauptstädten bezeichne. Es gebe schlimmere, sagte er der Agentur Bloomberg. Die Anspielung auf seinen Kollegen Wladimir Putin war kaum zu übersehen. Tatsächlich ist es ausgerechnet Russlands rabiates Vorgehen in der Ukraine und der Bruch mit dem Westen, was dem weißrussischen Dauerpräsidenten einen Spielraum ermöglicht und den es seit der Unterzeichnung des Unions-Vertrages zwischen Minsk und Moskau im Jahr 1997 nicht mehr gehabt hat. Damals einigte sich Lukaschenko mit dem einstigen Präsidenten Russlands Boris Jelzin auf eine schrittweise Integration.

„Seit dem hatte Weißrussland sehr gut von russischen Ressourcen gelebt und die Integration dagegen nur sehr schleppend vorangetrieben“, erklärt Andrej Suzdalzew, Vize-Dekan der Fakultät für Internationale Politik und Wirtschaft an der Moskauer Higher School of Economics. Suzdalzew gehört zu den lautesten Kritikern von Lukaschenko in Russland. Lukaschenko habe sich bereits in der Georgien-Krise, dann später in Sachen Krim und nun auch in Syrien nicht als richtiger Verbündeter gezeigt. „Seinen Status als Alliierten hat sich Lukaschenko stets fürstlich vergüten lassen, während die Bindung an Russland meist nur auf dem Papier bestand. Das hat Moskau natürlich durchschaut und will seinem vermeintlichen Verbündeten nicht mehr einfach so unter die Arme greifen“, erklärt der Experte. Der aktuelle Flirt mit dem Westen sei eine Demonstration gegenüber Putin und ein Versuch, den Preis, den Russland zahlen soll, in die Höhe zu schrauben. Schließlich brauche das Land Verbündete derzeit mehr denn je.

Tatsächlich ist Weißrusslands wirtschaftliche Abhängigkeit immens. Gleichzeitig hat es das Land bisher immer verstanden, den maximalen Nutzen aus den Beziehungen zu Moskau herauszuholen. Fast 40 Prozent des Exports gehen an den Nachbarn im Osten. Gleichzeitig bezieht Weißrussland russisches Öl zu Binnenpreisen und verkauft Ölprodukte weiter in die Europäische Union, die mit weiteren 30 Prozent der zweitwichtigste Importeur weißrussischer Güter ist. Experten schätzten 2013 den Erlös daraus auf sechs Milliarden Dollar, oder zehn Prozent des BIPs. Mit dieser Quasisubvention hat sich Minsk etwa die Zustimmung zur Teilnahme an der von Putin vorangetriebenen Eurasischen Zollunion bezahlen lassen.

Nun steckt Putins Reich in der Krise und zieht Weißrussland mit nach unten. Doch während Russland selbst noch über beträchtliche Währungsreserven verfügt, war Minsk stets auf Moskauer Kredite angewiesen. Auch jetzt braucht das osteuropäische Land dringend finanzielle Hilfe. Die Wirtschaft schrumpft – wegen der fallenden Ölpreise, gleichzeitig werden bald alte Darlehen in Gesamthöhe von zehn Milliarden Dollar fällig, während die Währungsreserven des Landes gerade fünf Milliarden betragen. Seit Monaten verhandelt nun Minsk mit der Eurasischen Wirtschaftsunion um einen neuen Kredit in Höhe von drei Milliarden Dollar. Doch dieser wird derweil noch von Moskau blockiert. Das Geld soll nicht ohne Gegenleistung fließen.

„Lieber Diktator als schwul“
 

Zum Beispiel wäre da der Wunsch nach einem Luftwaffenstützpunkt, mit dem Moskau in Minsk kürzlich abgeblitzt ist. Auch einige Schlüsselindustrien und Militärzulieferer stehen auf der Liste der Russen. Doch Lukaschenko, der nicht ohne Grund Morgenluft wittert, stellt sich quer. Und lässt keine Möglichkeit aus, gegen Russland zu sticheln. Das Land habe weder Geld noch Verstand, ließ er kürzlich bei dem Besuch eines Rüstungsbetriebs fallen, den Russland gerne übernehmen würde. Wenig später nutzte Lukaschenko seine USA-Reise für ein Treffen mit IWF-Chefin Christine Lagarde. Der Währungsfonds gilt als zweiter möglicher Geldgeber für Minsk, sollte sich Russland weiterhin weigern.

Vor diesem Hintergrund haben Experten ernsthafte Zweifel daran, dass die angebliche Hinwendung Lukaschenkos zum Westen ernst zu nehmen ist. „Natürlich waren die Sanktionen erniedrigend für den Diktator, der nur zu gerne als salonfähig gelten würde“, erklärt Alexander Feduta, ein ehemaliger Mitarbeiter von Lukaschenkos Administration in den 1990er Jahren. „Doch eine Hinwendung zum Westen sei der Wunsch diese Sanktionen loszuwerden noch lange nicht“, erklärt der Politologe. Weitgehende Reformen seien ausgeschlossen. Zumal Lukaschenko ganz genau wisse, dass Russland ihn an der kurzen Leine halte, auch weil ein Großteil der weißrussischen Güter anderswo als auf dem russischen Markt kaum konkurrenzfähig seien. „Die Beziehung zu Russland war eigentlich immer sehr bequem für Weißrussland, weil Moskau im Tausch gegen Geld den außenpolitischen Spielraum beschränkt hat, sich jedoch nicht in innere Angelegenheiten eingemischt hat.“ Vielmehr sei das Tauwetter eher eine Episode, die schließlich damit enden werde, dass Russland seine Militärbasis bekommt.

Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal, dass Lukaschenko eine vermeintliche Loslösung von Moskau abrupt ins Gegenteil verdreht. Diese Erfahrung musste etwa Guido Westerwelle machen, der 2010 als erster deutscher Außenminister nach 1995 die weißrussische Hauptstadt besuchte und freie Wahlen anmahnte. Ein Jahr später sagte Lukaschenko vor Kameras, dass er lieber „Diktator als schwul“ sei. Kurze Zeit später trat das Land der Eurasischen Zollunion bei. Auch jetzt spricht Lukaschenko zwar offen davon, dass Russland wohl nervös sei, wegen seines Wunsches die Beziehungen mit dem Westen zu normalisieren. Gleichzeitig deutete er Gesprächsbereitschaft an, als er Putin bei einem Gipfel in Kasachstan traf. „Falls es irgendwelche Unstimmigkeiten gibt, können wir uns, sagen wir, einen halben Tag in Moskau hinsetzen, und diese ausräumen“. Nun kommt es wohl darauf an, was Moskau anzubieten hat.

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