- Schöne Bescherung
Weil das Wasser knapp geworden ist, müssen sich die Einwohner der bulgarischen Stadt Pernik einschränken: Wasser gibt es nur vier Stunden morgens und für vier Stunden abends. Schuld daran sei der Klimawandel, heißt es im Rathaus. Doch die Bürger haben einen ganz anderen Verdacht
Seinen Ruf als „ärmstes Land der Europäischen Union” hat Bulgarien lange weg und absehbar kaum Aussicht, ihn zu verlieren. Dabei gehört das Balkanland zwischen Donau und Schwarzem Meer wasserwirtschaftlich zu Europas Reichen. Über fünfhundertfünzig Mineralquellen mit Temperaturen von 20 bis 103 Grad Celsius sprudeln auf seinem Territorium, nur Island hat mehr. Bulgarien vermag seinen Wasserreichtum aber nicht zu nutzen, verschwendet ihn gar. Landesweit versickert mehr als die Hälfte seines Trinkwassers auf dem Weg von der Quelle zum Verbraucher durch lecke Rohre.
Vor allem in Dörfern im Nordosten des Landes kommt es im Sommer immer wieder zu Wassermangel. Nun aber sehen sich rund 100.000 Bürger der fünfundzwanzig Kilometer von der Hauptstadt Sofia entfernten Industriestadt Pernik und Umgebung einem Wasserregime ausgesetzt. Für die Öffentlichkeit unbemerkt ist der die Region mit Wasser versorgende Stausee Studena fast ausgetrocknet. Von normal 25 Millionen Kubikmetern Wasser sind ihm nur vier Millionen Kubikmeter verblieben. Idyllisch eingebettet in ein Tal bewaldeter Hügel wandelt sich der See zusehends zur Mondlandschaft.
Täglich zehn Stunden Wasser
Am 3. November 2019 setzte sich der Sozialist Stanislav Vladimirov in der Stichwahl im Kampf um den Posten des Bürgermeisters von Pernik durch. Nur drei Tage später erschienen in den Medien erste Meldungen, der Stadt drohe die Einführung eines Wasserregimes. Offensichtlich war lokalen und nationalen Verantwortungsträgern die kritische Wassersituation lange bekannt, aus wahltaktischen Erwägungen wurde sie den Bürgern aber verschwiegen. Seit dem 18. November 2019 hatten die Perniker dann mit täglich zehn Stunden fließend Wasser zu leben, morgens von 5 bis 10 Uhr und abends von 17 bis 22 Uhr.
Studenas Wasserstand vermochte dies nicht zu stabilisieren. Am vergangenen Sonnabend sah sich Stadtoberhaupt Vladimirov genötigt, den Katastrophenzustand auszurufen und die tägliche Wasserzuteilung auf acht Stunden zu reduzieren. Doch nicht einmal die versprochene Wasserration ist gewährleistet, berichtete die populäre Sängerin Iva Davidova im Frühstücksfernsehen von Nova TV. „Jeden Tag rufe ich das Wasserversorgungsunternehmen VIK Pernik an, und jeden Tag erklären sie mir, das Wasser läuft. Aber das Wasser erreicht uns nicht. Wir sind ausgesprochen genervt."
Betrinken geht auch ohne Wasser
Vor allem für Familien mit kleinen Kindern und für Alte und Kranke ist das Leben mit rationiertem Wasser eine schwere Bürde. Davidova vermochte ihren Frust immerhin schöpferisch zu vearbeiten. Sie hat ein typisch bulgarisches Folklorelied mit viel Galgenhumor aufgenommen, „Pernik nema Voda, Meka e golema” („Pernik hat kein Wasser, der Schmerz ist groß”) lautet sein Refrain. Dem Perniker werde es auch ohne Wasser gelingen, sich mit Rakia (Obstschnaps) und Wein zu betrinken, singt sie in dem Lied mit Hitpotenzial.
Der Erklärung des Chefs des Wasserversorgers VIK Pernik, Ivan Vitanov, die durch den Klimawandel versursachte Trockenheit in diesem Jahr sei schuld an der Ausnahmesituation, glaubt sie nicht. Eher hält Davidova menschliches Versagen für ursächlich dafür, schließlich verliert Perniks marodes Wassernetz mehr als 70 Prozent seines Wassers. „Unablässig schieben sich die Politiker die Verantwortlichkeiten zu, während wir Perniker leiden. Manchmal warte ich bis um zwei oder drei in der Nacht auf das Wasser, damit ich die Waschmaschine laufen lassen kann. Aus vielen Hähnen tropft trübes Wasser, wenn überhaupt...”.
Zweigt ein Stahlkocher das Wasser ab?
In der kommunistischen Volksrepublik Bulgarien vor 1989 galt Pernik zusammen mit seiner Nachbargemeinde Radomir als eine Art Mini-Ruhrgebiet des Balkanlandes. Kumpel bauten hier unter Tage Braunkohle ab; in Form rötlichen Rauchs stieg sie durch die Schlote des Kraftwerks Republika in den Himmel. Zigtausende Arbeiter malochten in den großen Maschinenbaufabriken. Perniks Stadtautobahn zeugt heute noch von der einstigen industriellen Blüte der Stadt. Der Übergang vom autoritären Sozialismus zur demokratischen Marktwirtschaft hat indes nicht viel von ihr übrig gelassen, allein das Stahlunternehmen Stomana hat ihn überlebt.
Nun ist ausgerechnet der Stahlkocher in den Verdacht geraten, durch Wasserdiebstahl die Wassernot der Perniker Bürger verschärft zu haben. Als deren Wasser bereits rationiert war, soll Stomana nach einem Bericht der hauptstädtischen Wassergesellschaft Sofiiska Voda noch 290 Liter Wasser pro Sekunde für seine Zwecke abgezwackt haben. Dies entspricht rund 40 Prozent des Perniker Trinkwasserbedarfs. Die Stomana-Geschäftsführung dementierte umgehend, viele Perniker argwöhnen dennoch, Stomana bediene sich unrechtmäßig ihres Trinkwassers zur Stahlproduktion.
Verhältnisse wie im Kongo
Mit jedem Tag auf dem Trockenen wächst der Unmut der Perniker Bürger. In den vergangenen Tagen blockierten besonders Wütige einen Kreisverkehr im Bezirk Istok (Ost) und damit die Zufahrt zur Autobahn nach Sofia. Am Samstagabend kam es dabei zu Zusammenstößen mit Polizeikräften. „Wo ist unser Wasser?", fragten sie auf Transparenten und forderten: „Schuldige hinter Gitter!”. Auf ihrer Facebook-Seite „Voda sa Pernik” („Wasser für Pernik”) dachten sie nun laut darüber nach, ihren Protest zur Regierung nach Sofia zu tragen, um die Rücktritte der zuständigen Minister für Regionalentwicklung und Umwelt zu erzwingen.
Perniks Wetter war in diesem Jahr nicht ungewöhnlich; einem niederschlagsreichen Frühling folgten trockene, nicht allzu heiße Sommermonate. Administratives Unvermögen und illegale Wasserentnahme sind wahrscheinlichere Gründe für den Wassernotstand als der Klimawandel. Die Stadt will nun neue Rohleitungen vom Fluss Struma verlegen, um dem Stausee Studena zusätzliches Wasser zuzuführen. Dennoch wird befürchtet, dass die Perniker bis zum April 2020 unter den Bedingungen des Wasserregimes zu leben haben. „Wir sind nicht alleine”, titelte am Montag das lokale Onlinemedium „Sa Pernik” („Für Pernik”) und führte aus: „Es gibt noch eine Stadt ohne Wasser über die Feiertage: Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo.”
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Den betroffenen Mitmenschen in Bulgarien kann ich nur zurufen: Wehrt euch weiter! Tragt den Protest auch nach Brüssel; denn ihr seid EU-Bürger! Die Gelder, die aus dem großen "Topf"
in euer Land fließen, dürfen nicht in dunklen
Kanälen versickern und die Reichen in eurem Land noch reicher machen. Sie sind für euch "normale" Bürger gedacht.
Niemand hilft euch, wenn ihr euch nicht solidarisiert und l a u t protestiert, da, wo es den Machthabern weh tut und peinlich wird.
Ansonsten wünsche ich meinen bulgarischen Brüdern und -schwestern, die an Jesus Christus glauben, ebenso wie allen anderen Christen auf der Welt, gesegnete, von Frieden und Freude erfüllte Weihnachtstage und ein gutes neues Jahr!
Christa Wallau