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Syrien-Intervention - „Ein Denkzettel ist unvereinbar mit dem Völkerrecht“

Eine Militärintervention gegen Syrien wäre ein Bruch des Völkerrechts, sagt der Völkerrechtler Christian Tomuschat. Die USA würden sich durch einen Angriff diskreditieren

Autoreninfo

Bachelor in Politik- und Kommunikationswissenschaft. Studiert Internationale Beziehungen im dänischen Aarhus.

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Herr Professor Tomuschat, Großbritannien wird sich nicht an einem Militärschlag gegen Assad beteiligen, die USA haben ihre endgültige Entscheidung noch nicht gefällt. Wenn es zum Angriff kommt: Wie könnten die USA und ihre Verbündeten eine Intervention in Syrien völkerrechtlich begründen?
Verschiedene Prinzipien kommen hier in Betracht, die neben dem Gewaltverbot in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind. Zunächst das Recht zur Selbstverteidigung – das kommt hier aber nicht zum Tragen. Dann könnte Syrien einer Intervention zustimmen. Davon ist ebenfalls nicht auszugehen. Eine Zustimmung des Sicherheitsrates, davon gehen wir aus, wird es genauso wenig geben. Deshalb müssen die Verantwortlichen nach einer anderen Rechtfertigung suchen.

Wie könnte diese Rechtfertigung aussehen?
Überwiegend haben sich offenbar amerikanische und britische Politiker auf das Prinzip der Schutzverantwortung berufen. Dieses hat die UN-Generalversammlung im Jahre 2005 in einer berühmten Gipfelresolution anerkannt. Das Prinzip besagt, dass jeder Staat gehalten ist, seine Bevölkerung vor schwerwiegenden Beeinträchtigungen ihrer elementaren Lebensgüter zu schützen. Es war erwartet worden, dass die UN-Generalversammlung im Falle einer Missachtung dieser Schutzverantwortung auch einzelne Staaten ermächtigen könnte, Gegenmaßnahmen gegen den Verletzer zu ergreifen. Das hat die Generalversammlung aber nicht getan, sondern es ist festgeschrieben worden, dass in solchen Fällen der Sicherheitsrat eingreifen darf. Das ist nicht ohne Bedeutung, denn grundsätzlich ist der Sicherheitsrat nur zuständig zur Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Wenn auch ein Eingreifen in interne Konflikte zulässig sein soll, ist damit ein ganz wichtiger Schritt getan.

Eine Mehrheit der Staaten lehnt einen Alleingang der USA ohne UN-Mandat ab.
Nach Auffassung der Mehrheit der Staaten darf sich nicht jeder beliebige Staat zum Anwalt des Gemeinwohls machen. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass in Extremlagen, insbesondere dann, wenn Völkermord droht, dritte Staaten eingreifen können. Es muss sich aber wirklich um eine Extremlage handeln und eine klare Absicht dahinter stecken, die bedrohte Menschengruppe zu schützen.

Wenn die Regierung Assad Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben sollte, wäre dies ein solcher Extremfall?
Die humanitäre Intervention als Wahrnehmung der Schutzverantwortung ist keine Strafaktion. Dieser Begriff bringt einen falschen Zungenschlag ein. Die Schutzverantwortung ist konzipiert als Instrument zum Schutze der Bevölkerung. Das Erteilen eines Denkzettels lässt sich mit dem geltenden Völkerrecht nicht vereinbaren. Wenn man der Bevölkerung wirklich etwas Gutes tun will, dann müssten auch die geeigneten Instrumente eingesetzt werden. Ein isolierter Militärschlag gegen Militärbasen in Syrien hat damit nichts zu tun und ändert nichts an der Tatsachenlage auf dem Boden. Es wäre eine symbolische Aktion, um Assad möglicherweise an den Verhandlungstisch zu bringen, nicht jedoch eine Aktion unmittelbar zum Nutzen der Bevölkerung.

Völkerrechtlich wäre eine solche Aktion also nicht gedeckt?
Meiner Auffassung nach ist sie ganz eindeutig nicht gedeckt. Es gibt Extremfälle, in denen man dennoch handeln kann. Aber dann müssen die Maßnahmen effektiv dem Schutz der Bevölkerung dienen.

Ist das die vorherrschende Meinung auch unter anderen Völkerrechtlern?
Daran habe ich keinen Zweifel. Das Prinzip der Schutzverantwortung setzt eine Idealvorstellung voraus: Es gibt den bösen Tyrann auf der einen und auf der anderen Seite das gute Volk. Aber in Syrien haben wir es mit einem echten Bürgerkrieg zu tun, in dem beide Seiten Kriegsgräuel verüben. In dieser komplexen Lage weiß man gar nicht, gegen wen sich die Abwehrmaßnahmen richten sollen. Man würde direkt in den Bürgerkrieg eingreifen – und aus dieser Verwicklung kommt man dann kaum mehr heraus.

Ergibt sich aus übergeordneten Rechtsnormen, wie dem Verbot von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, trotzdem keine Verantwortung für die internationale Gemeinschaft, in den Konflikt einzugreifen?
Das Gewaltverbot gehört ebenfalls zu den zwingenden Normen des Völkerrechts. Wir sollten nicht das Normgebäude des hergebrachten Völkerrechts aus der Emotion des Augenblicks heraus umstoßen. Man hat mit gutem Grund das Gewaltverbot in das Völkerrecht eingefügt. Mir klingt alles zu populistisch: ein Militärschlag - und dann sind die Probleme beseitigt. Das sind sie natürlich nicht. Wenn man einen Militärschlag plant und ausführt, übernimmt man Verantwortung und kann sich dann nicht von heute auf morgen davonstehlen. Andere Maßnahmen als ein Militärschlag würden den Syrern sehr viel mehr helfen.

Zum Beispiel?
Man könnte großzügige Finanzbeträge zur Verfügung stellen, um den Flüchtlingen im Libanon und Jordanien zu helfen.

Sollte es trotzdem zu einem Militärschlag kommen: Was wären die Folgen für die Verbindlichkeit des Völkerrechts?
Ich denke, dass sich vor allem die USA dadurch diskreditieren. Die USA sind die führende Macht der westlichen Welt und sollten selbst ernsthaft darauf achten, dass sie die Regeln des Völkerrechts einhalten. Die Regierung von Barack Obama hat auch ganz andere Möglichkeiten: Sie müsste sich mit Russland verständigen und den Kontakt zu anderen arabischen Staaten suchen. Der Weg der Diplomatie bleibt den USA ohnehin nicht erspart. Darin sollten sie ihre Energie stecken. Der Militärschlag wird offenbar nur von der Ankündigung Obamas getrieben, dass mit dem Einsatz von Chemiewaffen eine rote Linie überschritten würde. Damit hat er sich selbst unter Zugzwang gesetzt und muss Stärke zeigen. Das hat mit der Logik der Hilfe nicht mehr viel zu tun.

Würde zu den anderen Maßnahmen, die man ergreifen könnte, auch eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof gehören?
Auf jeden Fall. Man müsste natürlich genau wissen, wer der Urheber dieses Angriffs gewesen ist. Es ist sehr schwer, vor dem Internationalen Strafgerichtshof ein Verfahren gegen Unbekannt zu eröffnen. Man kann aber Ermittlungen einleiten und dann einen Antrag stellen, dass der UN-Sicherheitsrat den Fall an den Strafgerichtshof überweist. Ganz gewiss würden sich die Russen schwer tun, den Urheber eines bewiesenen Giftgasangriffs zu schützen und sich zu weigern, ihn in die strafrechtliche Verantwortung zu schicken.

Würde der UN-Sicherheitsrat eine Überweisung beschließen, auch wenn weder die USA noch Russland den Internationalen Strafgerichtshof anerkennen?
Der Sicherheitsrat hat schon gelegentlich solche Überweisungsbeschlüsse erlassen, zum Beispiel  im Falle von Libyen. Die Veto-Mächte sind durchaus bereit, in einzelnen Fällen eine Überweisung mitzutragen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Tomuschat hat Völkerrecht an der Humboldt-Universität Berlin sowie an zahlreichen europäischen Hochschulen gelehrt. Neben seiner Arbeit als Professor war er immer wieder für die Vereinten Nationen und die Bundesregierung tätig. Von 1992 bis 1993 war er Vorsitzender der UN-Völkerrechtskommission.

 

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