- Autofahren gegen die Religionspolizei
In Saudi-Arabien dürfen Frauen nicht Auto fahren. Die Religionspolizei will es so. Eine Protestbewegung ruft nun landesweit Frauen dazu auf, sich ans Lenkrad zu setzen, dies mit Videos und Fotos zu dokumentieren und unter #IWillDriveMyself ins Internet zu stellen
Am 6. November 1990 setzte sich Madeha Alajroush ans Steuer des Autos ihres Ehemannes, ließ den Motor an und fuhr los. So weit, so unspektakulär, möchte man meinen. Doch die vermeintlich harmlose Spritztour bedeutete einen Tabubruch: Denn Alajroush fuhr durch die Straßen der saudi-arabischen Hauptstadt Riyadh. „Ich hatte große Angst und wusste nicht, welche Konsequenzen mich erwarteten“, erinnert sich die heute 60-Jährige an den ersten öffentlichen Protest gegen das bis heute für Frauen geltende Fahrverbot im streng wahhabitischen Saudi-Arabien.
46 Frauen taten es Alajroush an diesem Tag gleich: In einem Konvoi fuhren sie durch Riyadh, erregten die Aufmerksamkeit Schaulustiger und ernteten auch wütende Beschimpfungen. Schon nach einer halben Stunde beendete die Religionspolizei die Aktion und nahm die Frauen in Gewahrsam. Viele von ihnen waren wie die Psychotherapeutin Alajroush hochqualifiziert und berufstätig. Frei kamen sie jedoch erst, nachdem ihre männlichen Schutzbefohlenen eine Erklärung unterzeichneten, laut der die Frauen zukünftig nicht mehr fahren würden. Die Pässe der Frauen wurden beschlagnahmt und sie wurden für ein Jahr von ihrer Arbeit suspendiert.
Eine harte Strafe für eine halbstündige Autofahrt – dennoch bereut Madeha Alajroush bis heute nicht, an der Aktion teilgenommen zu haben. Ganz im Gegenteil: „Zum ersten Mal machten wir öffentlich klar, dass wir mit der Rolle, die uns in dieser Gesellschaft zugedacht wird, nicht einverstanden sind“. Die Hauptstadt wählten die Frauen damals nicht zufällig für ihre Aktion: „Die Region um Riyadh ist die konservativste im ganzen Land. Es war wichtig, gerade dort zu protestieren und sich für einen Wandel stark zu machen“.
Autofahren beschädigt Eierstöcke
Über zwei Jahrzehnte später bleibt Frauen in Saudi-Arabien das Autofahren noch immer verwehrt. Ein explizites gesetzliches Fahrverbot für Frauen gibt es zwar nicht, doch die für das Fahren auf saudischen Straßen erforderliche Fahrerlaubnis ist Männern vorbehalten. Ein in den USA ausgestellter Führerschein, wie jener von Madeha Alajroush, wird nicht anerkannt.
Verfechter des Fahrverbots berufen sich auf vermeintlich religiöse Sitten: Frauen müssten ihr Gesicht enthüllen, um Auto fahren zu können und würden ihr Zuhause häufiger als nötig verlassen. Bei möglichen Unfällen könnten sie gar in Kontakt mit Männern kommen, mit denen sie weder verwandt noch verheiratet sind. Immer wieder ist das Verbot Thema öffentlicher Debatten. 2013 erregte der Gelehrte Scheich Saleh al-Lohaidan mit einer regelrecht kreativen Begründung die Gemüter: Autofahren könne die Eierstöcke von Frauen nachhaltig beschädigen, ließ al-Louhaidan verlauten – und erntete dafür auch von saudischer Seite Spott in sozialen Netzwerken.
Gegner des Fahrverbots versuchen, die religiösen Sittenwächter mit deren eigenen Waffen zu schlagen: Wenn frau nicht selbst fahren darf, ist sie auf einen Fahrer angewiesen – damit werde die allgegenwärtige Geschlechtertrennung verletzt. Rothna Begum, bei Human Rights Watch für Frauenrechte in Nahost zuständig, gibt zu bedenken, dass Frauen in Saudi-Arabien bis zu 70 Prozent ihres Einkommens für Taxifahrten und persönliche Fahrer ausgeben müssten. Selbst der seit 2012 amtierende Chef der Religionspolizei, Sheikh Abdulatif Al al-Sheikh, sagte im vergangenen Jahr, dass es keine islamrechtlichen Belege für das Fahrverbot gebe. Einfluss auf die politische Handhabung des Problems habe er jedoch nicht.
Für die Bewegung „Oct26Driving" ist dies eine halbherzige Haltung. In einer Online-Petition fordern die Organisatorinnen, dass auch Frauen in Saudi-Arabien eine Fahrerlaubnis erhalten können. Zudem rufen sie landesweit Frauen dazu auf, sich wie schon im vergangenen Jahr am 26. Oktober ans Lenkrad zu setzen, dies mit Videos und Fotos zu dokumentieren und diese unter den Hashtags #IWillDriveMyself und #Women2Drive ins Netz zu stellen. Den Einfall, Videos von sich selbst beim Autofahren zu drehen und diese als Protest zu veröffentlichen, hatte eine der prominentesten saudischen Frauenrechtlerinnen bereits vor sechs Jahren: Wajeha al-Huwaider stellte am Internationalen Frauentag 2008 als erste ein Video von sich hinterm Steuer ins Netz und rief ihre Landsfrauen auf, es ihr gleichzutun.
Diese Idee greifen die Organisatorinnen der diesjährigen „Oct26Driving“-Kampagne nun wieder auf. Ihre Namen möchten sie aus Angst vor Repressionen nicht nennen, erklären sie: „Wir leben in einem Land, in dem schon das Unterzeichnen einer Petition als terroristischer Akt gilt, für den man hier strafrechtlich verfolgt werden kann.“ Dennoch unterschrieben bereits 2400 Menschen.
Im vergangenen Jahr verzeichnete die Online-Kampagne beachtliche 17.000 Unterschriften – bis die Regierung die Webseite sperrte. Internationale Aufmerksamkeit erlangte die Aktion auch durch ihre musikalische Untermalung: Mit dem Bob Marley-Cover „No Woman, no drive“ produzierte Alaa Wardi die Hymne zur Bewegung. Über 12 Millionen Mal wurde das Video weltweit angeklickt. Den Mut, das Lenkrad in ihrer Heimat in die eigenen Hände zu nehmen, brachten 60 saudische Frauen auf – jede Strafe in Kauf nehmend. Auch Madeha Alajroush war natürlich wieder dabei.
Fahrerlaubnis als Symbol für Bürgerrechte
Die Forderung nach einer Fahrerlaubnis für Frauen sei längst zu einem Symbol geworden, erklärt Alajroush: „Mobilität ist essentiell für unsere Gleichberechtigung. Wir fordern vollständige Bürgerrechte und deren staatlichen Schutz. Diskriminierung muss strafrechtlich verfolgt und vor allem das Prinzip der männlichen Schutzbefohlenen für Frauen aufgehoben werden“. Ohne einen solchen Schutzbefohlenen dürfen saudische Frauen weder reisen noch Verträge unterschreiben, ein Bankkonto eröffnen oder über die eigene Eheschließung entscheiden. Und das, obwohl die saudische Regierung bereits vor vierzehn Jahren die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen (CEDAW) unterzeichnete, die Diskriminierung von Frauen unterbinden soll.
Der öffentliche Druck auf König Abdullah, der das Land seit 2005 regiert und zunächst als Reformer galt, wächst. Guten Willen zeigt der Monarch: 2013 führte er eine Frauenquote für den Schura-Rat ein. 30 der 150 Mitglieder sind nun weiblich. Bereits 2009 ließ Abdullah die erste Universität des Landes eröffnen, in der Männer und Frauen gemeinsam studieren dürfen. Im selben Jahr ernannte er nicht nur die erste saudische Ministerin. 2013 trat die erste Polizistin des Landes ihren Dienst an.
Zwar deutete Abdullah bereits 2008 an, dass eine künftige Fahrerlaubnis für Frauen nicht auszuschließen sei. Doch bisher ließ er seinen Worten keine Taten folgen: Auf ein entsprechendes königliches Dekret wartet frau in Saudi-Arabien bisher vergeblich. Immerhin hob er im Juli 2011 ein Urteil auf, laut dem eine Frau mit 10 Peitschenhieben für eine Autofahrt bestraft werden sollte, nachdem massive Proteste gegen das Urteil laut wurden.
Aus konservativen Reihen erhält der König nach wie vor Gegenwind, wenn es um Frauen hinterm Steuer geht. In seiner Familie mehren sich jedoch seit Jahren Stimmen gegen das Fahrverbot: 2007 wurde Prinzessin Lolwah Al-Faisal auf dem World Economic Forum gefragt, was sie als erstes tun würde, wäre sie für einen Tag lang Königin von Saudi-Arabien: „Ich würde Frauen Auto fahren lassen“, so ihre prompte Antwort. Prinz Waleed bin Talal, einer der reichsten Männer und bekanntesten Saudis der Welt, befeuerte die Debatte im April 2013 erneut: „Dürften Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren, würde unser Land 500.000 Arbeitsplätze einsparen“, twitterte bin Talal. Damit folgte er ganz der Linie seiner Frau, die sich bereits im Jahr zuvor ebenfalls für eine Aufhebung des Verbots ausgesprochen hatte.
Am 26. Oktober werden die saudi-arabischen Frauen wieder durch die Straßen ihres Landes fahren. Bereits im Vorfeld bekommen sie dieses Mal Unterstützung: Die Tageszeitung Saudi Gazette, seit einem halben Jahr mit Somayya Jabarti von der ersten Chefredakteurin des Landes geführt, berichtete wohlwollend auf der Titelseite über die Aktion, unzählige unterstützende Kommentare aus dem In- und Ausland sind jetzt schon in sozialen Netzwerken zu finden.
Auch Madeha Alajroush wird das Steuer wieder in die Hand nehmen: „Ich habe mich an allen Aktionen der Vergangenheit beteiligt und werde damit auch nicht aufhören”, sagt sie kämpferisch. Ihr Glaube an die für alle gleichermaßen geltenden Menschenrechte sei unerschütterlich, fügt Alajroush hinzu: „Ich werde niemals aufgeben.“
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