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Auschwitz-Gedenkstätte

Restauratoren in Auschwitz - „Das war wie ein Sog“

Auschwitz, das größte Vernichtungslager der Nationalsozialisten, wurde vor 70 Jahren befreit. Ein Großteil der Häftlinge kam damals aus Polen. Heute kümmern sich eine Deutsche und ein Pole gemeinsam um die Restauration der Gedenkstätte

Autoreninfo

Philipp Daum ist Schüler an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. Vorher hat er Politik, Geschichte und Jura in München und Santiago de Compostela studiert. Er schreibt für Cicero Online.

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Als Margrit Bormann 16 Jahre alt war, sah sie einen Dokumentarfilm, die Sixtinische Kapelle, die Fresken von Michelangelo und dachte: „Das ist es.“ Bormann will den Dingen nah sein, die Farbe berühren, die Aura des Künstlers spüren. Jahrhundertealte Wandgemälde bewahren.  

18 Jahre später sitzt Margrit Bormann an einem hölzernen Küchentisch einer Museumswerkstatt. Draußen scheinen rote Ziegelsteinbauten gegen den Schnee an. Bormann, 34 Jahre, arbeitet als Restauratorin im staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Sie trägt ihre Haare kurz und Brille, spricht ruhig und bedächtig. Bormann sagt: „Der Ort hat mich angezogen, ich musste wieder hierherkommen. Das war wie ein Sog.“

1,1 Millionen Menschen starben in Auschwitz


Das 1940 in der Nähe der polnischen Stadt Oświęcim errichtete Vernichtungslager war das größte Symbol der Nationalsozialisten. Wie kein anderes ist es zum Symbol für den Holocaust geworden – dem geplanten Massenmord an Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, politischen Gegnern und Kriegsgefangenen aus ganz Europa. Rund 40 Prozent der Häftlinge waren Polen. Bis zum Kriegsende 1945 kamen in den drei Lagern Auschwitz, Birkenau und Monowitz mindestens 1,1 Millionen Menschen ums Leben. Sie wurden vergast, erschossen, starben an Hunger, Krankheiten oder in Folge von medizinischen Experimenten.

Warum will man einem Ort wie Auschwitz nah sein?

Margrit Bormann ist Restauratorin, spezialisiert auf Steinobjekte und Wandmalereien. Sie kümmert sich um abblätternden Putz, spritzt Bindemittel, bewahrt die Struktur der Wände. Sie restauriert Wandgemälde, so wie jenes, das Kinder auf Holzpferden zeigt und im „Kinderblock“ von Auschwitz-Birkenau hängt, wo Hunderte zusammengepfercht lebten, ohne Decken, ohne Strohsäcke. Bormann wird gerufen, wenn das Museum umgebaut wird und dafür eine Wand eingerissen werden soll. Dann stellt sie mithilfe der Baupläne fest, ob die Mauer original ist oder nach 1945 eingezogen wurde.

„Diese Leichenberge, diese ausgemergelten Menschen“


60 Leute arbeiten in der Konservierungsabteilung des Museums. Das Handwerk ist nach Materialien unterteilt: Konservatoren bewahren zum Beispiel Papier, Textil, Stein, Wandmalereien. Jedes Material braucht seinen eigenen Raum, seine eigene Temperatur, seine eigene Luftfeuchtigkeit.

2006 kam Bormann das erste Mal nach Auschwitz, als Praktikantin, sie studierte damals an der Fachhochschule Köln. Bormann blieb zwei Wochen, heute sagt sie: „Es war schrecklich.“ In Deutschland hatte sie sich mit dem Konzentrationslager beschäftigt, in Büchern, im Geschichtsunterricht, in Dokumentarfilmen. Aber als die Gruppe von Studenten zu Beginn der ersten Führung Aufnahmen der Roten Armee sah, die direkt nach der Befreiung des Lagers gemacht wurden, brach sie in Tränen aus: „Ich dachte, ich wäre gut vorbereitet. Aber nicht auf diese Leichenberge, diese ausgemergelten Menschen.“ Nicht darauf, diese Bilder an dem Ort zu sehen, an dem sie aufgenommen wurden.

Später entdeckte sie in dem Teil des Lagers, in dem Sinti und Roma untergebracht waren, einen Brief, den ein 14-jähriger Junge an seine Eltern geschrieben hatte. Darin tröstete er seine Eltern, er schrieb, macht euch keine Sorgen um mich. Es war ein Brief eines 14-Jährigen, aber er las sich wie der eines Erwachsenen. Damals, bei ihrem ersten Besuch, hätte Bormann sich niemals vorstellen können, einmal in Auschwitz zu arbeiten. „Damals war ich nicht frei im Kopf. Ich war zu blockiert, um über Restaurierung nachzudenken.“

Und doch kam sie wieder. Ein Jahr später, dieses Mal für sechs Monate. In den darauffolgenden Semesterferien. In denen darauf. Und in denen darauf. Sie arbeitete umsonst in der Werkstatt. Als das Studium vorbei war, wusste sie nicht, was sie nun machen sollte, ohne die Semesterferien, ohne die Arbeit im Museum. Also fragte sie, ob sie bleiben könne. Sie durfte.

Bormann spricht von ihrer Arbeit wie von einer Mission: „Meinen ersten Aufenthalt in Auschwitz habe ich nie vergessen. Und deshalb ist es wichtig, dass auch weiterhin Jugendliche hierherkommen können.“ Drei Jahre lang lebte sie in einer WG in der Pileckiego-Siedlung, einer ehemaligen Lagererweiterung des Geländes. Nach der Arbeit sprach Bormann mit Überlebenden des KZs und las Bücher über die Geschichte des Lagers. Ihr Leben kreiste um Auschwitz.

Wasser bedroht die Baracken


Für niemanden ist die Arbeit hier leicht, aber Bormann hatte es als Deutsche anfangs schwerer als ihre Kollegen. „Als Deutsche trage ich hier ein Gewicht mit mir herum. Meine Vorfahren sind ja dafür verantwortlich.“

In der Küche der Werkstatt setzt sich Andrzej Jastrzębiowski zu Bormann an den Tisch. Jastrzębiowski, 37 Jahre, schwarze Haare, Vollbart, hat eine Tasse Tee in der Hand. Für ihn ist Margrit aber nicht die Deutsche, sondern eine gute Kollegin: „Die Nationalität spielt hier keine Rolle“, sagt er.

1,5 Millionen Menschen besuchten im vergangenen Jahr das Museum Auschwitz. Ein Rekord.

Was den Direktor freut, bedeutet für Restauratoren harte Arbeit. Löcher in den Wänden, herausfallende Steine, Kritzeleien an den Wänden. „Die größte Herausforderungen gibt es in Birkenau“, sagt Jastrzębiowski, der für die Erhaltung der Gebäude zuständig ist, „vor allem in den gemauerten Baracken.“ Das Außenlager des ehemaligen Konzentrationslagers ist auf Sumpfgebiet gebaut. Der Boden besteht aus Kies und Löß. Wenn der Pegel der nahen Weichsel ansteigt, steigt auch das Grundwasser in Birkenau. Dann bewegt sich der Boden. Die Holzbaracken sind elastischer und können sich anpassen, die gemauerten Ziegelbaracken aber bekommen Risse. Zurzeit werden sie mit Holzstützen in Form gehalten.

Das Museum Auschwitz kämpft für Erinnerung. Und gegen die Zeit. 70 Jahre nach der Befreiung werden die Menschen, die das Lager noch mit eigenen Augen gesehen haben, immer weniger. Umso wichtiger wird die Arbeit von Restauratoren, sagt der Pressesprecher der Gedenkstätte, Paweł Sawicki: „Ein Teil von dem, was wir hatten, wird bald verschwinden. Was uns bleibt, sind die Gebäude und die Struktur des Geländes.“ Authentizität ist der Königsweg für das Museum Auschwitz, weil es mehr Originalgebäude hat als jedes andere ehemalige Konzentrationslager.

Zeugnisser derer, die keine Gräber haben


Als Margrit Bormann 16 Jahre alt war, beschloss sie, den Dingen nah zu sein. Den Dingen nah zu sein, das heißt im Museum Auschwitz: 10.000 Schuhen nah zu sein, 3800 Koffern, 40 Kilogramm Brillengestellen, 470 Prothesen, sieben Tonnen Haar von etwa 140.000 Frauen. Es sind die Zeugnisse einer historisch einzigartigen Mordmaschine, der Selektion und systematischen Ausbeutung menschlichen Lebens. Es sind Zeugnisse derer, die nicht überlebten und an die nun Dinge erinnern müssen, weil es keine Gräber tun.

Das Unvorstellbare immer wieder zu erforschen, zu berühren, zu erhalten – das überfordert selbst die Profis manchmal.

Durch das Fenster seines Gästezimmers konnte der Pole Jastrzębiowski bei seinem ersten Besuch im Museum 2002 den Galgen sehen, an dem KZ-Kommandant Rudolf Höß 1947 gehängt worden war. Auf der anderen Seite lag der elektrische Zaun des Lagers. „Diese Nacht habe ich nicht geschlafen“, erinnert sich Jastrzębiowski.

Margrit Bormann lebt jetzt in der Stadt Oświęcim. Zwischen der Gedenkstätte und ihrer Wohnung liegt nur ein Fluss. Seitdem sie hier wohnt, spürt Bormann eine Veränderung an sich. „Ich muss auf mich aufpassen, wenn ich hier weiterarbeiten will.“

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