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Europas Rechte - „Eine neue Bereitschaft der Zusammenarbeit“

Für die radikale Rechte in Europa ist das Parlament das einzige politische Organ, in dem sie aktiv sein kann. Dass ihre Macht nach den Europawahlen zunimmt, ist zu erwarten. Die Konsequenzen sind umstritten

Autoreninfo

Laetitia Grevers hat Geschichte in London studiert. Ihre Texte sind unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

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Andreas Speit ist deutscher Journalist und Buchautor. Er hat sich auf die Themen Rechtsextremismus und Neonazismus spezialisiert

Cicero Online: Seit 2009 sitzen rechtsradikale Abgeordnete aus 12 Mitgliedsländern im Parlament. Wird ihre Zahl nach den Europawahlen steigen?
Andreas Speit: Diese Entwicklung wird erwartet. Eine Studie der Deutschen Bank geht davon aus, dass 136 Abgeordnete aus der radikalen Rechten, die zwischen radikalen Positionen und moderatem Auftreten changieren, ins Parlament ziehen.

Wäre das genug, um eine Fraktion zu bilden?
Zur Bildung einer Fraktion müssen sich mindestens 25 Abgeordnete aus einem Viertel der Mitgliedsstaaten zusammenschließen. Diese seit 2008 geltende Regelung dürfte die radikale Rechte erfüllen.

Welche Parteien werden voraussichtlich am stärksten vertreten sein?
In den vergangenen Monaten zeichnete sich ab, dass der Front National in Frankreich, die Partei der Freiheit aus den Niederlanden und die Jobbik in Ungarn mit großem Erfolg rechnen können. Aus Deutschland dürften die AfD und die NPD ins Europaparlament ziehen.

Welche dieser Parteien werden sich ihrer Meinung nach zu einer Fraktion zusammenschließen?
Schon jetzt agieren Geert Wilders und Marine Le Pen gemeinsam. Im vergangenen Jahr riefen sie eine „Faust gegen Europa“ aus. Eine Aktion mit Signalwirkung, da die Parteien sich zuvor ignoriert haben. In der Fachliteratur gilt die Partei von Marine Le Pen als rechtsextrem und die Partei von Geert Wilders als rechtspopulistisch. Das gerade diese Parteien sich aufeinander zu bewegen, offenbart die neue Bereitschaft der Zusammenarbeit. Und eine neue nach außen hin getragene Gelassenheit. Marine Le Pen hat sinngemäß gesagt: „Selbst in einer Ehe muss man nicht zu 5000 Prozent einer Meinung sein.“ Schnell erklärten der Vlaams Belang, die Lega Nord und die Schwedendemokraten, dass sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen können.

Welche Inhalte legitimieren eine Zusammenarbeit zwischen diesen Parteien?
Vier Neins sind für diese Parteien charakteristisch: Sie lehnen die Europäische Union ab, weisen eine plurale und liberale Gesellschaft zurück, fordern jede Einwanderung und die vermeintliche Islamisierung des christlich-abendländischen Europas zu stoppen.

Welche Positionen könnten ein Miteinander belasten?
Dieses Milieu belastet Konflikte über die Grenzen der Staaten nach 1945, Diskussionen über den vermeintlichen Einfluss "der Juden" oder Debatten über das Anfeinden von "Fremden" aus rassistischen oder kulturellen Vorurteilen. Marine Le Pen hat im Cicero ja auch schon erklärt, dass die NPD bei ihnen unerwünscht sei, sie wäre "rechtsextrem". Diese Argumentation ist nicht neu. In der Szene erklären  Rechtsextreme gerne, die anderen wären die "wirklichen" Rechtsextremen. Eine rhetorische Volte, um selbst moderater zu erscheinen.

Was kritisieren sie am europäischen Krisenmanagement?
In den ökonomisch starken Staaten nutzt die radikale Rechte das Krisenmanagement, um die Sorgen vor Zahlungen für die wirtschaftlich getroffenen Staaten zu befeuern. In den ökonomisch schwachen Ländern warnen sie, dass mit der finanziellen Unterstützung ein starker Einfluss der Europäischen Union einhergeht.

Wie würde die radikale Rechte Europa neu konzipieren?
In der radikalen Rechten gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen für ein anderes Europa. Manche sprechen von einem "Europa der Vaterländer". Die Formulierung Charles de Gaulles wird hier aufgegriffen. Er war Vertreter einer europäischen Gemeinschaft, die auf unabhängigen Nationalkulturen gegründet ist. Weitere sprechen von einem "Europa der Regionen". Die in diesen Territorien lebenden Menschen sollen gleicher Abstammung oder kultureller Herkunft sein. Die Rechtsradikalen konkretisieren ihre Vorstellungen aber nicht. Trotzdem ist ihre einheitliche Stimme gegen die Europäische Union nicht zu unterschätzen. Ihr Nein befeuert die anhaltenden Ressentiments gegen "die Brüsseler Elite" in der Mitte der Gesellschaft.

Wie groß wäre der Einfluss einer rechtsradikalen Fraktion? Würde eine „große Koalition“ der Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen im Parlament sie nicht neutralisieren?
Eine Fraktion der radikalen Rechten wird kaum Gesetze für eine offene Europäische Union kippen. Im Parlament können aber ihre Abgeordneten eine stärkere diskursive Macht entfachen. Schon jetzt berichtet der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, dass rassistische Äußerungen und antisemitische Vorurteile "zum Alltag" geworden seien. Die verbale Hetze gegen Sinti und Roma könnte sich auch verschärfen. Worte sind aber eben nicht bloß Worte, die radikalen Rechten können so Atmosphären und Diskurs beeinflussen. In der Bundesrepublik konnten wir diesen Effekt gerade wahrnehmen.

Können Sie das genauer erklären?
Nach dem knappen Scheitern der Alternative für Deutschland bei der Bundestagswahl spricht die CSU lauter von einer vermeintlichen Armutseinwanderung. „Keine Einwanderung in die Sozialsysteme“ war ein Wahlslogan der Alternative für Deutschland. Die NPD hat unlängst betont: Sie würde das schon länger fordern. In diesem Diskurs erscheinen Ressentiment geladene Positionen plötzlich als legitim.

Können Rechtsradikale im EU-Parlament nicht auch die Debatte über die europäische Krisenregulation fördern?
In der Literatur wird diskutiert, inwieweit ein Aufkommen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen ein Indikator dafür ist, welche Sorgen und Ängste der Wähler von anderen Parteien nicht aufgegriffen werden. Ihr Erscheinen ist aber auch Ausdruck von bestehenden Ressentiments, denen in einem gesellschaftlichen Diskurs nicht entgegengewirkt wurde. Die Volksabstimmung in der Schweiz gegen Einwanderung spiegelt Stimmungen in anderen europäischen Ländern wider. Statt den Ressentiment geladenen Positionen entgegen zu treten, wird ihnen teilweise hinterhergelaufen. Der Erfolg der radikalen Rechten beginnt in dem politischen Vakuum, den die anderen Parteien entstehen lassen.

Soll die EU ihre politische Linie ändern, um den Rechtsradikalen keine Angriffsfläche mehr zu bieten?
Die Politik des Europäischen Parlaments scheint für viele Bürger wenig transparent. Eine Nachvollziehbarkeit könnte pauschalen Vorhaltungen entgegenwirken. Die Linie ändern? Hat die Europäische Union denn immer eine Linie? Wir haben eine Währungsunion, aber wo ist die soziale Union? Vor diesem Widerspruch haben Experten schon seit Jahrzehnten gewarnt. Wenn wir die soziale Union nicht verwirklichen, wird es weiter soziale Probleme und Verwerfungen geben. Konflikte, die die Chancen der radikalen Rechten verstärken.

*Von oben links: Marine Le Pen (Front National), Geert Wilders (Partei der Freiheit), Heinz-Christian Strache (FPÖ), Roberto Maroni (Lega Nord), Nigel Farage (UKIP), Nikolaos Michaloliakos (Goldene Morgenröte), Timo Soini (Die wahren Finnen), Jimmie Akesson (Schwedendemokraten).

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