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Nelson Mandela - Tod eines Versöhners

Nelson Mandela ist am Donnerstag im Alter von 95 Jahren verstorben. Südafrikas erster schwarzer Präsident hat das Land von der Apartheid befreit. Vereinigt ist die Regenbogennation noch lange nicht. Nach seinem Tod ist die Zukunft des Landes ungewiss

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Köpf, Peter

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Als Rolihlahla Nelson Mandela im Dezember vergangenen Jahres im Krankenhaus lag und alle Welt dessen baldigen Tod befürchtete, stellte David Blair in der britischen Zeitung „The Telegraph“ die Frage: Was wird, wenn er nicht mehr ist? Er antwortete selbst: Der Mann, der das südafrikanische Wunder dirigiert und eine weitgehend friedliche Revolution eingeleitet hatte, sei „der stille Garant eines demokratischen und freien Südafrika”. Seine Landsleute glaubten, so Blair, solange Nelson Mandela lebe, „werden ihre gegenwärtigen Führer sich etwas wahrscheinlicher an die Übereinkünfte der nationalen Wiedergeburt vor 18 Jahren halten.“ Und er prophezeite: „Nach Mandela wird Südafrika ein ganz anderes Land sein.“

Die Übereinkünfte (principles), von denen die Rede ist, waren die Leitlinien von Nelson Mandela und seinen Weggefährten: Schluss mit Apartheid und Rassismus bedeutete auch, dass der Unterdrückung der Schwarzen keine neue folgt, die der weißen Minderheit beispielsweise. Mandela strebte gleiche politische, soziale und wirtschaftliche Teilhabe für alle Menschen an, Männer wie Frauen, schwarze, weiße und andere „coloureds“.

Es war ein langer Weg zur Freiheit – nicht trägt seine Autobiografie den Titel „Long Walk to Freedom“.

Seit 1944 ist Nelson Mandela Mitglied des African National Congress (ANC). Ausbeutung und Apartheid bekämpft er zunächst gewaltfrei. Doch die Regierung lässt sich durch Streiks nicht zu einer rassismusfreien Politik bewegen. Die Massaker von Windhoek und Sharpeville lassen Mandela schließlich umdenken: Er geht in den Untergrund – und übernimmt die Leitung des bewaffneten ANC-Flügels „Speer der Nation“. Im August 1962 greift ihn die Polizei an einer Straßensperre auf.

Die Angeklagten stehen 1964 wegen des Versuchs, eine gewalttätige Revolution zu initiieren, in Pretoria vor dem Justizpalast. Als der Staatsanwalt für alle die Todesstrafe fordert, begründet Mandela, weshalb es zum bewaffneten Kampf keine Alternative gebe: Der Staat habe auf Appelle und gewaltlose Demonstrationen allein mit Repressionen reagiert. Seine mehr als vierstündige Rede schließt er mit den Worten: „Ich habe mein ganzes Leben dem Kampf des afrikanischen Volkes gewidmet. Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft, und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft in Ehren gehalten, in der alle Menschen in Harmonie und mit gleichen Chancen zusammenleben. Ich hoffe, für dieses Ideal leben und es verwirklichen zu können. Und wenn es sein muss, dann bin ich bereit, dafür zu sterben.“

Das Urteil lautet: lebenslänglich. Insgesamt ist Mandela fast 10.000 Tage inhaftiert, zunächst auf Robben Island vor Kapstadt, dann in anderen Gefängnissen. Als Staatspräsident Pieter Botha, unter internationalem Druck stehend, ihn 1985 freizulassen anbietet, sofern er der Gewalt abschwöre, lässt Mandela durch seine Tochter in Soweto sagen: „Nur freie Menschen können verhandeln. Gefangene können keine Verträge schließen. Ich kann und will nichts versprechen, solange ich und du, das Volk, nicht frei sind.“

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Mandelas Mitstreiter Archbishop Desmond Tutu sagte später, Mandela sei ein wütender junger Mann gewesen, als er ins Gefängnis ging. Leidend habe er dort zu Großmut und Großzügigkeit gefunden. Er hat gelernt, dass es nur einen Weg gibt, den Tiger zu besiegen: ihn zu zähmen. Statt das Apartheid-Regime gewaltsam stürzen zu wollen, gelingt es Mandela, die Weißen an einen gemeinsamen Tisch zu bringen – zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen.

Am 11. Februar 1990 darf Nr. 0221141011 das Victor-Verster-Gefängnis als freier Mann verlassen. Im Stadion von Soweto wirbt er für Versöhnung, für ein nichtrassistisches, geeintes und demokratisches Südafrika. Immer wieder betont er, dass die Verhandlungen dazu führen müssten, dass künftig die Mehrheit regieren werde. „Solange die Weißen auf einer politischen Sonderstellung bestehen“, sagt er im ersten Interview, „kann es in unserem Land keinen Frieden geben.“

Vier Jahre später, bei den ersten freien Wahlen, erhält der ANC die absolute Mehrheit der Stimmen. Am 9. Mai 1994 ist Nelson Mandela der erste schwarze Präsident Südafrikas. Sein Programm lautet: Versöhnung. Unter seinen Ministern sind auch Vertreter der „weißen“ National Party, die dem Land die Apartheid verordnet hatte, sowie der Zulu-Führer Mangosuthu Buthelezi, dessen Inkatha Freedom Party gegen den von Xhosa dominierten ANC opponiert – auch mit Gewalt und bewaffnet vom Apartheidregime.

Statt in Gerichtssälen sucht das Land in der Wahrheits- und Versöhnungskommission nach seiner Geschichte. Die Furcht der Weißen, die um Besitz und Leben bangen, erweist sich als unbegründet; Mandela will sie mitnehmen, statt ihnen den Besitz zu nehmen. Das hat einen Teil der Weißen für ihn eingenommen, lange bevor er 1995 im Rugbystadion die Regenbogennation vereint. Mandela verlangt den einstigen Unterdrückern keine Entschädigungen ab, nicht einmal einen Solidarpakt.

Dass Mandela ein Glücksfall für Südafrika war und ohne ihn das Land vor zwanzig Jahren in Mord und Gewalt versunken wäre, räumen auch weiße Kritiker des neuen südafrikanischen Zeitalters ein. Südafrika kann sich glücklich schätzen, in den Zeiten des Umbruchs diesen milden Mediator an der Spitze gehabt zu haben.

Aber Südafrika ist noch immer eine geteilte Nation, wenn auch inzwischen durchlässiger, vor allem für die nach oben drängenden Schwarzen. Aber die Gräben zwischen den Bevölkerungsgruppen sind noch immer tief. Mandela sei es nicht gelungen, die Südafrikaner wirklich zu einigen, schrieb Khaya Dlanga vor einigen Monaten in seiner Kolumne „In my arrogant opinion“, die in der „Cape Times“ erscheint. „In Wahrheit vereinen wir uns nur beim Sport.” Aber Sport sei „nicht Einigkeit, es ist ein zeitweiliges Pflaster, das uns glauben macht, wir seien mehr miteinander verbunden als wir es tatsächlich sind. Denn wenn das Sportereignis vorüber ist, trennen wir uns wieder.“

Wie stabil ist eine Gesellschaft, die noch nicht zusammengewachsen ist, wenn der moralische Kompass nicht mehr da ist, der Mann, der alles zusammengeführt und -gehalten hat?

Nicht nur David Blair glaubt, dass Südafrika ohne Mandela Schaden nimmt. Seit er 1999 seinen Platz räumte, fürchtet die weiße Mittelschicht sich vor dem Niedergang. Geschäftsleute fühlen sich in der grassierenden Vettern- und Günstlingswirtschaft der ANC-Oberschicht benachteiligt, die auch schwarze Kirchenführer anprangern. Die vom ANC auf gut bezahlte Verwaltungsposten gehievten Gefolgsleute ließen die Schulen und Straßen verkommen, urteilen die Weißen. Nebenbei haben sich auch die Hoffnungen der Bewohner von Townships und Squatter Camps nicht erfüllt, selbst wenn sie inzwischen Zugang zu Wasser und Elektrizität haben. Arbeitslosigkeit und Armut grassieren, Gewalt ist Alltag, Kriminalität greift auch auf bisher sichere Wohngegenden über.

Mamphela Ramphele, die viele Südafrikaner als „weibliche Ausgabe von Mandela“ sehen, hat angesichts des Versagens ihrer einstigen Weggefährten kürzlich eine neue Partei gegründet. Sie nennt sie Agang, „Aufbau“. Die 65-Jährige kritisiert seit Jahren den ANC und dessen Führungspersonal – in vorderster Linie Jacob Zuma – die „sich nur für sich selbst interessieren“. Sie beklagt das Vergessen der alten Ideen, mit denen der ANC angetreten war, eine bessere Gesellschaft zu bauen. „Könnt ihr euch an unseren Traum erinnern, eine große Gesellschaft zu schaffen?“, fragte sie.

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Unter den Weißen, die der alten Zeit nachtrauern, ist ausgemacht, dass Südafrika in zehn Jahren so weit sei wie Simbabwe. Sie haben auch vernommen, dass Robert Mugabe, Simbabwes Diktator, Mandela kürzlich vorwarf, „zu sehr ein Heiliger“ und „den Weißen gegenüber zu weich gewesen“ zu sein. Was, fragen sie, wenn die Mächtigen in ihrem Land nachholen, was Mandela angeblich versäumt hatte?

Nathan Geffen hält das für „Nonsense“. Südafrika werde auch nach Madibas Tod nicht zerfallen, schrieb er im in einer wütenden Replik auf David Blairs Artikel, die auch in „The Guardian“ erschien. Die Demokratie in seinem Land funktioniere „mehr oder weniger“, es gebe zahlreiche ausgleichende Kräfte, darunter mächtige Gewerkschaften und Oppositionsparteien sowie eine mächtige Zivilgesellschaft, starke Unternehmen, effektive Gerichte und freie, lebhafte Medien und „noch immer ein paar gute Leute im ANC“. Wahrscheinlich werde das Land weiterwurschteln wie bisher.

Fakt sei: Die Regenbogennation halte nicht wegen des heutigen Nelson Mandela zusammen, der schon lange keinen Einfluss mehr auf die Politik in Südafrika hatte. Sondern wegen seiner Taten während eines ganzen Lebens.

 

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