- Keine Waffen in die Ukraine
Deutschland wolle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, hieß es vor genau einem Jahr. Jetzt will Angela Merkel aber von Waffenlieferungen in die Ukraine nichts wissen – und erntet harsche Kritik. Dabei hat die Bundesregierung einen sicherheitspolitischen Wandel vollzogen, der die politische Landschaft langfristig verändern wird
Haben wir geliefert? Oder haben wir den Mund zu voll genommen, als Joachim Gauck vor einem Jahr versprochen hat, Deutschland werde eine größere Rolle in der Welt übernehmen? Sagen wir mal so: Im Prinzip Ja, Deutschland hat sich bewegt. An einigen Baustellen, seien wir mal ehrlich, für deutsche Verhältnisse sogar ziemlich heftig.
Die Ausgangslage: Auf der Münchener Sicherheitskonferenz spitzten die dort versammelten Spitzenpolitiker aus aller Welt plötzlich die Ohren, als im Februar 2014 Joachim Gauck und dann auch noch Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen mitteilten, Deutschland sei zu groß, um sich einfach weiter nur wegzuducken. Die Deutschen? Ausgerechnet diejenigen, die doch immer sagten, militärische Lösungen dürfe es nicht geben? Immerhin, es gab Beifall für das Bekenntnis, aber auch Skepsis, was das wirklich im Praxistest bedeuten würde.
Es war die Zeit, als hohe Generale der Bundeswehr in Vorträgen noch davon schwärmten, was man alles an gemeinsamen Vorhaben mit den Russen plane, als auch ein technisches Schieß-Trainingszentrum von Rheinmetall kurz vor der Auslieferung an Moskau stand, schließlich fanden wir moderne russische Streitkräfte legitim und förderungswürdig – kurz: Es war die Zeit, als die Welt im Vergleich zu heute ziemlich heil war. Die NATO erschien damals als träger Dinosaurier, ohne wirkliche Aufgabe, vom Aussterben bedroht.
Keine militärische Lösung
Nur ein Jahr später, wieder versammeln sich Top-Politiker aus der ganzen Welt in München. Diesmal ist auch Angela Merkel gekommen. Und welche Botschaft hat sie mitgebracht? Genau, militärische Lösungen darf es nicht geben, US-Waffenlieferungen an die Ukraine deshalb auch nicht. Was etwa bei den US-Senatoren Lindsey Graham („Schwerer Fehler“) und John McCain („Sie hat keine Ahnung“) geradezu zu Wutausbrüchen führte.
Aus amerikanischer Sicht unerhört, denn Angela Merkel ging ja noch viel weiter. Solle doch niemand glauben, man könne mit noch so viel Waffenlieferungen Wladimir Putin zum Aufgeben zwingen. Als Siebenjährige habe sie ja erlebt, dass damals beim Mauerbau in Berlin auch niemand militärisch eingegriffen habe (will heißen: auch Big Brother USA nicht). Damals habe man das hingenommen, und das müsse man jetzt eben auch tun. Autsch!
Also, hat sich wirklich nichts geändert? Sind die Deutschen, zumindest aus Washingtoner Sicht, immer noch die Weicheier der internationalen Sicherheitspolitik?
Ganz so einfach ist das nicht. Natürlich konnte in Berlin niemand ahnen, als die Redemanuskripte für die Sicherheitskonferenz 2014 mit den so wohl tönenden Bekenntnissen zu größerer Verantwortung vor einem Jahr geschrieben wurden, dass sich der Praxistest so schnell und so dramatisch ergeben würde.
Aber bei genauer Betrachtung hat sich die deutsche Politik mit für Berliner Verhältnisse geradezu rasanter Geschwindigkeit auf die so drastisch veränderte Weltlage eingestellt. Jahrzehntealte Tabus wurden gebrochen, neue, vor kurzem noch undenkbare Verpflichtungen wurden übernommen.
Deutscher Paradigmenwechsel
Wer hätte sich vorstellen können, dass deutsche Soldaten in den Irak aufbrechen, um im Kampf gegen die Schlächter des Islamischen Staates Ausbildungshilfe zu leisten? Wer hätte es vor einem Jahr gewagt, deutsche Waffen eben doch in Spannungsgebiete zu schicken und jetzt auch noch mal nachzulegen? Und sich, wie der SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, in München dazu nachdrücklich zu bekennen? Wer hätte geglaubt, dass die Bundeswehr eine Führungsaufgabe in der NATO übernehmen würde beim Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe – dass mit anderen Worten deutsche Soldaten im NATO-Verbund, bei regelmäßigen Übungen, an den Grenzen im Baltikum direkt russischen Truppen gegenüber stehen werden? Dass die deutsche Verteidigungsministerin in München dazu sagt, bei der Beistandsverpflichtung im Bündnis gebe es kein Wackeln (sprich: Russland, aufgepasst, bis hier hin und nicht weiter)?
Gerade beim Thema NATO hat sich innerhalb kurzer Zeit ein tief greifender Wandel vollzogen. Zwar will die deutsche Politik die Türe für eine Zusammenarbeit mit Putins Russland weiterhin offen halten und warnt vor einer militärischen Konfrontation in der Ukraine, gleichzeitig stellt sie zusammen mit den Verbündeten militärische Stopp-Schilder an Russlands Grenzen dort auf, wo NATO-Staaten betroffen sind. Putin wollte verhindern, dass sich der Einfluss des westlichen Verteidigungsbündnisses vor Russlands Haustür weiter verstärkt. Genau das tritt nun ein. Und Deutschland ist ganz vorne mit dabei. Die weitreichenden Beschlüsse für eine Unterfütterung der NATO-Schutzgarantie durch militärische Verstärkung in Ost-Europa ist der Preis, den Wladimir Putin zahlen muss.
Das ist, hier ist nichts zu beschönigen, eine Situation, die doch sehr an den Kalten Krieg erinnert: Nato-Truppen, darunter auch deutsche Einheiten, auf der einen, russische Verbände auf der anderen Seite der Grenze. Nur mit einem Unterschied, den viele schon vergessen haben: Damals hatte Russland noch den Warschauer Pakt auf seiner Seite. Diesmal ist Moskau als militärische Macht allein, die NATO dagegen ist gewachsen – und zwar um viele dieser ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. Und in der Luft wieder die Bomber und Jagdflugzeuge, die beim Katz-und-Maus-Spiel und gelegentlichem Eindringen in den Luftraum austesten, wie weit die andere Seite geht.
Für eine stärkere militärische Präsenz
Angela Merkels Große Koalition hat sich bei diesem Engagement für eine stärkere militärische Präsenz im Osten Europas festgelegt, das die politische Landschaft auch langfristig verändern wird. Hier hat sie, wenn auch vor einem Jahr noch völlig ungeplant, bei der Übernahme einer größeren Verantwortung sehr konkret geliefert.
Auch in München war zu spüren, wie groß die Aufmerksamkeit ist, die ein Jahr nach dem deutschen Versprechen für eine größere deutsche Rolle Angela Merkel entgegen schlägt. Sie soll, so die Erwartungshaltung inzwischen weltweit, Lösungen liefern, seien die Probleme auch noch so vertrackt. Sie hat es in Moskau versucht, mit noch sehr offenem Ausgang. Ein Erfolg bei der Bewältigung der Ukraine-Krise wäre ihre ultimative Meisterprüfung, ein Scheitern würde ihr bei ihren Kritikern in Washington noch mehr Häme einbringen. Zu Unrecht, denn auch sie haben in Wahrheit keine wirkliche Lösung anzubieten. Merkel hat dabei lernen müssen, was die Präsidenten der Führungsmacht USA seit langem wissen: You are damned, if you do, you are damned, if you don´t. Mit anderen Worten: Was immer du tust, du wirst es nie allen recht machen können.
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