- Die Karate-Präsidentin
Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite überzeugt durch Standfestigkeit und Unabhängigkeit
Als erste Amtshandlung halbierte Dalia Grybauskaite ihr eigenes Gehalt. Das war vor knapp vier Jahren, als die streitbare Finanzspezialistin aus Brüssel in ihre Heimat Litauen zurückkehrte, um Staatspräsidentin zu werden. Litauen steckte in der größten Wirtschaftskrise seit Erlangung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre. Die Wirtschaft schrumpfte um über 20 Prozent im Jahresschnitt. Statt wie ihre Herausforderer im Wahlkampf mit Populismus aufzutrumpfen, sprach Grybauskaite Klartext, kündigte eine schmerzhafte Sparrunde an – und gewann.
Über zwei Drittel der Litauer wählten die unabhängige Kandidatin bereits in der ersten Wahlrunde. Schmutzkampagnen in dem katholischen Land, die der Singlefrau vorwarfen, eine Lesbe zu sein, nützten ihren Gegnern nichts. Was für die Wähler zählte, waren Unabhängigkeit und Sachverstand. Heute weist Litauen wieder eine der höchsten Wachstumsraten in der Europäischen Union auf, die Euro-Einführung im Jahr 2015 gilt als sicher, und Grybauskaite ist immer noch die weitaus beliebteste Politikerin in dem größten Baltenstaat.
Dabei blieb sich die 56-Jährige treu wie kaum eine zweite Politikerin. Sie vermisse die Brüsseler Freiheit, auch mal in Jeans aus dem Haus zu gehen, klagte sie kurz nach Amtsantritt in einem Interview. Ihr Leben bestehe nun noch mehr nur aus „Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit“. Keine Klage, eher eine nüchterne Feststellung – typisch Grybauskaite.
Als EU-Finanz- und Haushaltskommissarin hatte sie in Brüssel ab Herbst 2004 Karriere gemacht. Die Brüsseler Korrespondenten stürzten sich gerne auf ihre undiplomatischen Auftritte. Die EU-Novizin aus dem kleinen 3,3-Millionen-Einwohner-Land wurde besonders als Haushaltskommissarin in Punkten deutlich, wo sich andere jahrelang hinter schönen Formeln versteckt hatten. Sie konnte schroff und arrogant sein, machte ätzende Witze und provozierte auch Schwergewichte.
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Die 1956 in Vilnius geborene Tochter einer Verkäuferin und eines Elektrikers wuchs im sowjetisch besetzten Litauen in einfachen Verhältnissen auf. Ihr Abendstudium in politischer Ökonomie in Leningrad musste sie sich selbst finanzieren – als Arbeiterin in der Pelzfabrik „Rot-Front“. 1983 kehrte sie nach Vilnius zurück und unterrichtete an der Parteihochschule der KPdSU. Daneben studierte sie in Moskau weiter. Grybauskaite schien unterwegs zu einer mustergültigen sowjetischen Beamtenkarriere, als Litauen 1991 die Unabhängigkeit erlangte. Noch im selben Jahr ergatterte sie einen Aufbaustudienplatz in Washington. In Litauens schwieriger Transformationsphase wusste sie die neuen Chancen zu packen und konnte sich rasch anpassen. In dem jungen Staat arbeitete sie bald im Finanz- und Außenministerium, verhandelte mit Brüssel den EU-Beitritt, war Botschafterin in den USA und wurde schließlich 2001 Finanzministerin einer sozialdemokratischen Regierung.
Zwar nennt sie Winston Churchill und Margaret Thatcher als ihre politischen Vorbilder, doch sieht sich Grybauskaite bis heute eher als Beamtin denn als Politikerin. Der „Goldene Schnitt“ zwischen Haushaltsdisziplin und Wirtschaftswachstum interessiert sie mehr als Machtspiele und Parteiengezänk. Als große Pragmatikerin zeigte sich Grybauskaite auch in der Außenpolitik. Nicht unumstritten ist dabei ihr freundlicher Umgang mit dem weißrussischen Autokraten Alexander Lukaschenko. Litauen könne sich keinen „hungrigen und wütenden“ Nachbarn leisten, begründet sie ihre Kritik an Wirtschaftssanktionen. Brücken sind ihr wichtiger als Gräben – auch weil Litauen eine 600 Kilometer lange Grenze mit Weißrussland teilt. Zudem mache es keinen Sinn, das Nachbarland vollends in die Hände Russlands zu treiben, warnt Litauens Präsidentin.
Grybauskaite kennt die russische Mentalität aus Studium und sowjetischer Parteihochschule. Neben Englisch und Polnisch spricht sie fließend Russisch. Das alles hilft ihr im Kontakt mit autokratischen Politikern aus dem postsowjetischen Raum. Doch sobald es um Litauens Verhältnis zu Russland geht, wird auch die Pragmatikerin zur litauischen Patriotin. Das Verhältnis zwischen Vilnius und Minsk mag sich entspannt haben, das zu Moskau ist immer noch eisig.
Das gemeinsame private Interesse für asiatische Kampfsportarten hat sie bisher nicht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammengebracht. Vielleicht liegt es daran, dass die Litauerin ihren Schwarzen Karategürtel erst Ende der neunziger Jahre in den USA erlangte, der Russe seinen Judogürtel hingegen schon als junger Bursche im Sowjetheer. Karate sei eher eine Philosophie und Lebenseinstellung, die ihre Arbeit diszipliniere und Konflikte verhindere, erklärte Grybauskaite vor einigen Jahren. Darüber hinaus hält sich die Powerfrau ohne Familie mit Angaben über ihr Privatleben zurück.
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